Monthly Archives: April 2012

Fringe: Worlds Apart (4×20)

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Somewhere over the rainbow / Way up high / And the dreams that you dreamed of / Once in a lullaby / Somewhere over the rainbow / Bluebirds fly / And the dreams that you dreamed of / Dreams really do come true (…) Somewhere over the rainbow / Bluebirds fly / And the dream that you dare to dream, / why, oh why can’t I? / Well I see trees of green / And red roses too / I’ll watch them bloom / For me and you / And I think to myself / What a wonderful world!

So lautet der Text von “Somewhere over the Rainbow” (von Judy Garland gesungen), und eine bessere Beschreibung der neuen Fringe-Episode ist kaum vorstellbar. Diese Beschreibung trifft aber nicht nur die Serie selbst, sondern auch den Gemütszustand, in den die FOX-Verantwortlichen die Fringe-Fans überall auf der Welt versetzten, als sie die Verlängerung um eine letzte fünfte Staffel mit dreizehn Episoden bekannt gaben. Ein Traum ging in Erfüllung! Wie heißt es so schön: So lange man träumen kann, ist nicht alles verloren… oder doch? Worlds Apart bietet eine höchst emotionale Gratwanderung zwischen Traum und Trauma, eine Erzählung von Blau und Rot, von der Sehnsucht nach einem Regenbogen. Einen solchen Regenbogen hatte Fringe mit dieser Season erzeugt: als Brücke zwischen den beiden Universen. Und alle Figuren überquerten sie, um zu sich selbst zu finden, um sich in den roten Dorothy-Schuhen des/der jeweils Anderen zu sehen. Kansas is where the heart is, könnte man Peters Aussage gegenüber Lincoln paraphrasieren.

Wo das Herz ist, liegt auch Fringes größte Stärke, die hier in vielen Eins-zu-Eins-Gesprächen demonstriert wird: Die Schönheit liegt in den Gedanken, die Fringe vor unseren Augen wie eine Picknickdecke ausbreitet, so dass sich jede/r bedienen kann – und wer das nicht kann oder will, nun, der ist selbst schuld. Menschen wollen von TV-Serien Unterhaltung, eine spannende Handlung, bewundernswerte Helden und Heldinnen; sie wollen vor sich selbst und ihrem Alltag flüchten. Aber letztendlich wird man doch immer wieder eingeholt: von der Welt, von sich selbst, von den Gedanken an die eigene Nichtigkeit innerhalb des großen Ganzen. Warum also soll man dann nicht das Erzählte bzw. Gezeigte manchmal einfach nur schön finden und als schön beschreiben, sei es als Gedanke oder als Bild? Nehmen wir als Beispiel Walters Erklärung von Jones’ Vorhaben: beide Welten auf dieselbe Wellenlänge zu bringen, zusammen pulsieren zu lassen, wie ein und dasselbe Herz. Aber dieses Herz soll nicht als Ganzes existieren, sondern als etwas Neues. Jones‘ Rechnung, das Zusammenbringen beider Welten, lautet nicht 1+1=2, sondern 1+/-1=0 (1).

Dabei steht die Null für einen Neuanfang, für die Schöpfung eines neuen Universums aus der Asche der roten und der blauen Welt. Das Bild des Phönix drängt sich auf, wenn man an Jones‘ fliegende Stachelschwein-Menschen denkt. Einige Kreaturen hat er, wie wir wissen, an Bord seiner Arche Noah versammelt, die irgendwo den neuen Urknall erwartet – in einer Safe Zone, wie der in Westfield. Jones’ Traum von einer neuen Welt ist ein Traum von sich selbst als dem ultimativen Schöpfer. Diesen Traum erkennt Walter in seinem eigenen, wie er den zwei Fringe-Teams am Anfang der Episode mitteilt. Er stellt sie vor die Entscheidung, entweder Jones umgehend zu stoppen oder das Abschalten der Maschine in Erwägung zu ziehen. Zum ersten Mal in dieser Staffel treffen Walter und Walternate aufeinander, und Walters Schuldgefühle kommen wieder hoch. Wir erfahren, dass Jones an 27 unterschiedlichen Orten in beiden Welten die Cortexiphan-Kinder Erdbeben verursachen lässt, aber die Erschütterungen sind nur ein Ergebnis: Ergebnis der Angleichung beider Welten.

Mit jeder weiteren Erschütterung werden diese instabiler, überlappen einander, bis sie irgendwann ineinanderstürzen werden. Durch einen alten Bekannten – Nick Lane, das als “reverse empath” bekannte ehemalige Cortexiphan-Kind – kommen die Fringe-Teams Jones‘ Plänen auf die Spur. Der Nick auf der roten Seite kontaktiert Lincoln, den er für den verstorbenen Lee hält, und erzählt ihm von seinen Träumen: Alpträume, die von der Verbindung zum “blauen” Nick herrühren, in die dann Olivia eindringt, um das nächste Erdbeben zu verhindern. Warum spielt ausgerechnet Nick hier eine so große Rolle? Aus Empathie? Ironie beiseite: Fringe vollbringt wieder einmal einen metaphorischen Fringe-Akt. Nicks Fähigkeit besteht darin, seine Gefühle auf andere zu übertragen, die sie dann als ihre eigenen empfinden. Ist es nicht genau das, was Fringe mit den Menschen aus den zwei Welten tat – und gleichzeitig mit denen aus unterschiedlichen Zeitlinien? Sie gleichen einander äußerlich, aber sind innen verschieden; diese Differenz sorgte anfangs für Abstand, gar Feindseligkeit, bis irgendwann der Regen aufhörte, die Sonne durch die Wolken brach und ein Regenbogen die rote und die blaue Welt miteinander verknüpfte.

Die Beteiligten lernten einander kennen – und vor allem lernten sie, dass die Differenz, der Unterschied zwischen ihnen oft dasjenige ausmacht, was sie in ihrem Leben bzw. in sich selbst vermissen, wovon sie vielleicht träumen. Das Kennenlernen der Träume des/der  Anderen, seiner/ihrer Gefühle, der gemeinsame Blick auf die Welt(en) (ich erlaube mir hier einen Verweis auf meinen Text zu Fringes Episode “A Short Story About Love”) hat eine heilsame Wirkung. Und die rote Welt heilt mit Hilfe der Verbindung zur blauen. In Worlds Apart führen die beiden Olivias eine Unterhaltung über Regen und Regenbögen, darüber, Schönheit mit Hilfe der Anderen wieder sehen zu können. Als sie Abscheid voneinander nehmen, sagt Olivia zu ihrem “roten” Gegenpart: Keep looking up after the rain.

Abschied müssen sie nehmen, denn die Spur zu Jones, auf die Nick Olivia & Co. setzt, verläuft ins Nichts. Übrigens: Als sie (vermeintlich) zu Jones fahren, ist nicht nur die Nissan-SUV-Werbung allzu gut zu sehen, sondern auch extra deutlich ein Reifen, der durch die Pfütze fährt. Regen, Pfützen, Wasser, dazu das an Wasser erinnernde Geräusch der Klimaanlage in dem verlassenen Gebäude – alles Spuren zu, Hinweise auf Jones, aber keine von ihm. Es bleibt nichts Anderes übrig, als die Brücke zu zerstören, die Maschine auszuschalten. Wird damit nicht nur die andere Seite, sondern auch Peter verschwinden? Für die blaue Welt wird Lincoln verschwinden, denn er entscheidet sich endgültig, drüben zu bleiben… bei Olivia (Liv), deren Gesicht die Farbe ihrer Haare annimmt, als er ihr das mitteilt.

Geplagt von dem Gedanken an Peter und daran, wie er vor 35 Jahren alles ins Werk setzte, sitzt Walter im Korridor. Aber er bleibt nicht allein. Walternate setzt sich zu ihm, … und John Noble verdient für diese kleine Abschiedsszene den Emmy, so wie schon für Tausende Szenen davor! Walternate verabschiedet sich von Walter mit einem Zitat des römischen Imperators und Philosophen Marc Aurel: The universe is change; our life is what our thoughts make it.

Und wenn diese Gedanken schön sind, dann gibt es immer einen Regenbogen, samt Hoffnung auf Gold oder Honig an seinem anderen Ende – auch wenn sich die Welt nach dem Ausschalten der Maschine einsam und unvollständig anfühlt für Peter und den Rest des “blauen” Teams.

Hierin eben liegt Fringes Schönheit: diese Gefühle zu den unseren zu machen.

Justified: Measures (3×11)

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Die Zeit ist gekommen, aneinander Maß zu nehmen, und Measures bereitet als eine der letzten Episoden der Staffel deren Ende vor. Es geht nicht um Einschätzung des Gegners, sondern um Einschätzung der Situation, so dass man mit dem richtigen Partner an der je eigenen Seite in den Showdown hineingeht. Darüberhinaus liefert Measures einen weiteren Beweis für die Qualität dieser dritten Justified-Staffel. Beim Zuschauen hat man das Gefühl, dass jede Sekunde buchstäblich wie die Faust aufs Auge passt.

Oder wie das Auge auf die Bartheke, um gleich in die erste Szene der Episode einzusteigen. In dieser versucht Raylan (Timothy Olyphant), am frühen Morgen allein mit Lindsey in der Bar, ihr zu erklären … ja, was eigentlich? Schon letzte Woche haben wir die Barinhaberin als eine Frau kennen gelernt, die genauso flott mit Worten umgeht, wie Raylan mit seinem Revolver bei der Hand ist. Und sie ist genauso treffsicher, was Raylan betrifft. Da sie ihn nicht ausreden lässt, macht er dasselbe mit den zwei gerade eingetroffenen Männern aus Detroit, die nach Quarles suchen. Einer davon endet umgehend mit dem Gesicht auf Holz, während Lindsey erneut das Bild betritt und weitere Auseinandersetzungen vermeidet: „Another time“, sagt Raylan. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Nur: Hätte Raylan die beiden ausreden lassen, dann hätte er sich Einiges erspart. Denn die beiden wollen Quarles nicht unter die Arme greifen, sondern ihn an den Armen ergreifen und in die Hölle befördern. Mittlerweile ist Wynn Duffy (Jere Burns) auch mehr an seinem Nach- als an seinem Vornamen interessiert, und dieses Wortspiel leitet ironischerweise Quarles selbst ein: „You can’t have the Duffy without the Wynn.“ Wynn will gewinnen, und Quarles scheint nicht der richtige Partner zu sein, um das (Tennis-)Match zu gewinnen. (Huldigen wir doch auch einmal Duffys Hobby und nicht immer nur seinen Augenbrauen!) Jeder braucht einen Partner. Den richtigen Partner.

Auch Dickie Bennett ist auf der Suche und glaubt, in dem Drogendealer Rodney die nötige Unterstützung gefunden zu haben, um der drei Millionen Dollar habhaft zu werden. Ob es diese Summe wirklich irgendwo gibt, spielt keine Rolle: Man kann das Geld als eine Art McGuffin sehen, der alle Beteiligten in Gang setzt. Wichtiger als die Sache selbst sind ihre Auswirkungen auf die Beteiligten und ihre Handlungen. Das Geld und Quarles, die buchstäbliche Wildcard in der Geschichte, zwingen alle zu Allianzen, deren manche bis vor kurzem unvostellbar gewesen wären.

Dabei tauchen auch neue Gesichter auf. Michael Ironside in der Rolle des Hitmans aus Detroit ist immer willkommen in einer Krimi-Story, genauso wie Adam Arkin (Sons of Anarchy), der schon bei etlichen Justified-Episoden hinter der Kamera stand. Arkin spielt Sammys Vater, den Detroit-Mafiaboss Theo Tonin, der hunderttausend Dollar für einen toten Quarles und zweihunderttausend für einen lebendigen bietet. Und für Duffy würde das vermutlich noch heißen, die Geschäfte in Kentucky übernehmen zu dürfen.

Sowohl Tonin als auch Duffy, die Quarles am besten kennen, würden jedem raten, sich mit der kleineren Summe zu begnügen und auf Nummer sicher zu gehen. Aber Boyd ist keiner, der sich mit wenig zufrieden gibt. Er stellt Quarles eine Falle, nachdem dieser die Drogendealer unter Boyds (Walton Goggins) Schutz getötet und ausgenommen hat. Jetzt ist es Quarles, der nackt angekettet auf einem Bett liegt, während Duffy und Boyd über die Details verhandeln.

Dickies Verhandlungen wiederum gehen dank einer anderen Parnerschaft schief: Die beiden Marshals Tim und Rachel bringen Rodney davon ab, mit Dickie gemeinsame Sache zu machen, und beschlagnahmen außerdem das Geld, das ihm Limehouse zuschiebt – wir wissen ja, den angeblichen Rest der drei Millionen. Also bleibt Dickie nichts anderes übrig, als Errol für die Schatzsuche zu gewinnen. Der aber weiß genau, dass sie zu zweit dem sicheren Misserfolg entgegen sehen, und schlägt einen weiteren Partner vor: Boyd Crowder.

Und wo bleibt Raylan? Auch er arbeitet mit einem Partner, nämlich mit Art, der Raylan mit seiner Besorgnis um ihn angenehm überrascht und auf der Suche nach Quarles gar begleitet. Welche dieser Partnerschaften zum Erfolg führen wird, erfahren wir in den letzten zwei Episoden.

Aber es verspricht noch “lustig” zu werden – oder um Duffys Augenbrauen zu be(un)ruhigen: Es wird ein Match in fünf Sätzen…

Justified: Guy walks into a Bar (3×10)

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Aufstieg und Fall des Robert Quarles. So heißt das Theaterstück, das uns die neue Justified-Episode präsentiert. Quarles’ Eintreffen in Harlan sah nach einer neuen Übermacht aus, die alles und jeden unter ihre Kontrolle bringen würde. Nun ist Robert Quarles selbst derjenige, der die Kontrolle verliert – jemand, der sich selbst schon vor langer Zeit verloren und nie einen Weg zurück gefunden hat. Als Boyd (Walton Goggins) ihm mit einem geschickten Schachzug bei den Sheriff-Wahlen den nächsten Tiefschlag verpasst, scheint Quarles das Spiel verloren zu haben.

Sogar Wynn Duffy (mit zunehmend besorgten Augenbrauen) legt ihm nahe, Harlan zu verlassen. Aber Quarles kann nirgendwo hin, wie er Duffy erklärt. Er fällt zurück in die Leere, die immer schon da war – seit seiner Kindheit. Im nächsten Atemzug erfahren wir Quarles’ Geschichte, nämlich als er von einem bewaffneten jungen Mann in Duffys Wohnwagen aufgesucht und bedroht wird. Der Freund, nach dem der junge Mann sucht, ist vermutlich derjenige, den wir gefesselt in Quarles Haus sahen.

Neal McDonough (Quarles) schafft es in dieser kurzen Szene, das Menschliche und das Monströse für einen kurzen Moment unzertrennlich erscheinen zu lassen. Man verspürt dabei nicht etwa Mitleid mit der Figur, sondern einfach Verständnis für die Ausweglosigkeit ihrer Situation. Für Quarles ist der Weg zu Ende, aber er will nicht allein gehen…

Quarles geht es nicht mehr um Geschäftliches, er will nur noch an Boyd und Raylan Rache üben. Das hält ihn am Leben.

Die gleiche Ausweglosigkeit jedoch kennen wir von Raylan, auch wenn er sie nicht eingesteht. Boyds ironisches „Yes, we can“ während der Sheriff-Wahl kann man in das “Yes, we can’t” von Quarles und Raylan verwandeln: Beide können nicht von sich selbst weg, und genau das bringt sie einander näher, lässt ihre Wege sich kreuzen. Quarles geht mit einem etwas unwilligen Duffy schnurstracks in die Bar, wo Raylan mittlerweile wohnt. Er droht, ihn eines Tages zu erschießen. Raylan kann und will natürlich eine solche Ansage nicht auf sich sitzen lassen: Mit einem Schuss in die Bardecke bringt er alle dazu, den Raum zu verlassen, und Quarles dazu, sich umzudrehen. „Why wait?“ fragt ihn Raylan (Timothy Olyphant) beinahe liebevoll.

Das einzige, was zwischen den beiden steht und den echten Showdown vermeidet, ist… eine Frau mit Pumpgun. Nicht nur ist eine Pumpgun anscheinend die Lieblingswaffe der Frauen in Kentucky, sondern Justified hält an der eigenen Tradition fest. Dabei denkt man natürlich an Ava. Auf den ersten Blick scheint Lindsey Ava sehr zu ähneln: der Ava nach der Beziehung mit Raylan – vielleicht der Ava, die jetzt mit Boyd zusammen ist. Lindsey scheut nicht davor zurück, nach der Nacht mit Raylan den Finger in die Wunde zu legen, als er meint, sein Job bringe ihn ständig in Gefahr: „Sure it’s not one of the hazards of being you?“

Als sie zusammen im Bett liegen, dringt ein Lichtstrahl durch das Loch, das Raylan in die Decke schoss. Eine schöne Aufnahme, die man auf vielerlei Art und Weise als metaphorische Bemerkung über Marshal Raylan Givens weiter denken kann…

Raylan wird gegenwärtig nur und nur von dem Wunsch getrieben, Quarles und Dickie zu beseitigen. Für den zweiten bemüht er sogar den Rechtsweg und erklärt sich einverstanden, im Gerichtssaal vor seinem alten Bekannten, dem Speedo-Richter (Stephen Root), eine Rede zu halten, die Dickies Freilassung verhindern soll. So sehr Raylan in Unter-vier-Augen-Situationen das Erzählen beherrscht, so sehr hadert er mit Ansprachen vor größerem Publikum. Vielleicht, weil Showdowns meistens zu zweit stattfinden… ? Arts (Nick Searcy) Reaktion auf Raylans misslungenen Versuch ist Gold wert: „Did that go the way you rehearsed it?“

Auf jeden Fall scheint alles so zu laufen, wie Limehouse und Boyd es wollen, denn es kann den beiden nur in die Karten spielen, wenn sich Quarles und Raylan gegenseitig bekämpfen und im Eifer des Gefechts womöglich Dickie mit in die Hölle schicken.

Die Frage ist: Wäre eine Kugel für die Kentucky-Roulette-Spieler eine Strafe oder eine Erlösung?

Justified: Loose Ends (3×09)

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Wir haben oft über die Melodie des Kentucky-Dialekts gesprochen: über seinen Fluss, dem sich das Ohr nicht entziehen kann, in dem es sich treiben lässt. Dieses Treiben aber verläuft weder unkontrolliert noch ziel-, sinn- oder gesetzlos. Nein, es gibt ein sprachliches Muster: An bestimmten Stellen fällt die Betonung – und wenn sie fällt, dann tut sie es hart. In Justified gibt es kein Blubbern. Entweder geht man unter, oder man treibt weiter. Und Robert Quarles wird untergehen, wie Raylan verkündet, auf die eine oder andere Weise: „I’m either gonna put him in prison or in the ground.“

Warum? Weil Quarles nicht weiß, wo die Betonung zu setzen ist, genauso wenig wie Sheriff Napier. Quarles ahmt die Sprache nach, aber das macht ihn nicht zum Teil der Harlan-Community, wie wir in der Szene mit Limehouse sehen und hören. Quarles begreift langsam, dass er nichts Anderes als Treibholz ist… und Limehouse der Schleusenwärter. Diese Rolle haben er und seine Familie immer schon gespielt. Da Raylan (Timothy Olyphant) beschlossen hat, Quarles zu beseitigen, sucht er – wie Boyd vor ihm – Limehouses Unterstützung, wie wir am Ende der Episode sehen, aber der scheint kein Interesse zu zeigen. Noch nicht. Vielleicht, weil auch er damit beschäftigt ist, lose hängende Enden abzuschneiden…

Loose Ends könnte vom Inhalt her dem eigenen Titel nicht besser gerecht werden. Die Episode räumt in jeder Hinsicht auf – und lockert zugleich so manchen Knoten, wie es scheint, womit sie neue lose Enden schafft. Das betrifft zum Beispiel Ava und Boyd, denen Loose Ends letztlich gehört. Sie bekommen je einen großen Auftritt, bewaffnet mit Pumgun und genauso vernichtender Rhetorik. Ich muss hier einfach Mike aus der gestrigen Luck-Episode zitieren: „Syntax is how I know! Syntax!“

Ava (Joelle Carter) Crowder setzt ihre Ausrufezeichen gern mit Hilfe einer Pumpgun. Pimp Delroy hat Ellen May, die lokale Prostituierte, und zwei weitere “Kolleginnen” zu einem Banküberfall “überredet”. Die Sache geht schief, und eine der Frauen wird tödlich angeschossen. Delroy (William Mapother) versucht seinerseits, lose Ende zu vermeiden, aber May flieht und geht direkt zu Ava.

Wie Johnny Ava klar macht – wobei er sogar von seinem Rollstuhl aufstehen kann -, handelt es sich hier um einen Interessenkonflikt, da Delroy Schutzgelder an Boyds Organisation zahlt. Avas Lösung besteht darin, Delroys Geschäfte zu übernehmen: Als er May abholen will, pustet sie ihn weg. „If that’s the decision you felt you needed to make, I respect that“, sagt Boyd (Walton Goggins) zu ihr, aber über sein Gesicht sehen wir für einen Moment den Schatten der Beunruhigung huschen… Ava steht an seiner Seite und trifft Entscheidungen. Wird sie, geführt von ihren Emotionen, irgendwann auch zu einem “losen” Ende?

Mit dieser Frage kommen wir zum nächsten Schlusspunkt, der in dieser Episode gesetzt wird, und zwar in Tanner Dodds Leben. Tanners Schicksal war schon besiegelt, bevor er auf die Landmine trat. Er stand längst darauf, egal, ob sie Limehouse oder Quarles hieß – nur eine Frage der Zeit, wann sie hochgehen würde. In seinen Szenen sowie denen mit Raylan und Tanners Mutter herrscht die typische Justified-Gefühlsmischung aus Amüsement, Trauer und Unausweichlichkeit. Auch für Sheriff Napier geht die Bombe hoch, nur dieses Mal voller Betonungen, Fragezeichen und Auslassungspunkte… mit anderen Worten: angefüllt mit Boyd Crowder.

Der bekommt seinen großen Auftritt während der Wahlversammlung, so wie Mags in der letzten Staffel: in einer ähnlichen Situation mit einer ähnlichen Ansprache. Dank Boyds rhetorischen und politischen Fähigkeiten wird Shelby zum neuen Sheriff ernannt, aber damit ist die Schachpartie in Harlan noch lange nicht entschieden.

„There’s a war coming“, sagt Raylan in der letzten Szene. Ja, bald haben wir wieder einmal „Fire in the Hole“…

Justified: Watching the Detectivs (3×08)

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In dieser Justified-Episode hagelte es so viele geflügelte Sätze, dass man nur aus Zitaten ein komplettes Review verfassen könnte. Mit einer sehr amüsanten Aussage von Wynn Duffy (Jere Burns) wollen wir eröffnen: „Between you and me, Raylan Givens is a very angry man.“ Das teilt Duffy mit begeisterten und gleichzeitig nachsichtigen Augenbrauen den Detectives mit, die hinter Raylan her sind. Warum?

Weil er Gary tötete – sagen die Beweise. Beweise? Nun, damit sind nicht so sehr die faktischen Beweise gemeint, die die eigentlichen Henker Quarles und Duffy fabriziert haben. Eher geht es um Raylans (Timothy Olyphant) Naturell, das schließlich alle Beteiligten kennen. Kein Wunder, dass plötzlich alle erdenklichen Verdächtigungen auftauchen und alle an Raylan zu zweifeln beginnen. Auf diese Art und Weise bringt Justified die komplette Geschichte ins Spiel und erinnert uns daran, dass und wie Raylan bisher auf einem Seil balanciert hat.

Das FBI, das ein Gespräch von Sammy abhört, beschuldigt Raylan, sich von Boyd bezahlen zu lassen – ein dreckiger Cop zu sein, wie Agent Barkley (Stephen Tobolowsky) es ausdrückt. Barkley bringt sogar Vasquez mit, den Mann, der Raylan schon einmal auf den Fersen war und seine Schießereien unter die Lupe nahm.

Gleichzeitig verdächtigt ihn die Mordkomission, Gary getötet zu haben. Wir erwähnten schon, dass Quarles die Beziehung zwischen Boyd (Walton Goggins) und Raylan falsch einschätzt. Was er dabei jedoch bewusst oder unbewusst ausnutzt, ist das Wissen aller, wie oft sich Raylan in den Randgebieten des Gesetzes aufhält und, wie es vor Duffy schon Winona (Natalie Zea) auf den Punkt gebracht haben, was für ein “angry man” er ist.

Wie dem auch sei: Diese Anschuldigungen holen Raylan aus dem leicht melancholischen Zustand heraus, in dem wir ihn an der Bar sitzen und die Live-Musik genießen sehen. Die einzige Musik, bei der Raylan gern mitspielt, ist die der in den Lift sausenden Kugeln. Und diese Kugeln suchen nach ihm. Auch ein Ricochet kann tödliche Konsequenzen haben. Ein paar Episoden zuvor warf Raylan Quarles und Duffy den Handschuh bzw. die Kugel zu – und die kommt schneller zu ihm zurück, als er gedacht hätte.

„It’s gonna rain tomorrow. You might want to bring an umbrella“, sagt Raylan ironisch zu Art (Nick Searchy). Eine der Stärken von Justified lag immer in weiser Voraussicht. Die „next one’s coming faster“- Szene mit der Kugel ist nicht nur „might be the coolest thing I’ve ever laid ears on“, wie der Detective bei Raylans Verhör anmerkt, sondern belegt auch die Detailfreude, mit der die Autoren die Entwicklung geplant haben. Dabei gibt Raylan – typisch für Elmore Leonards Figuren – offen zu, den Kugel-Spruch seinerseits zitiert zu haben: aus einer The-Tonight-Show-Episode, womit er sich eines popkulturellen Erbes bedient hat.

Quarles bedient sich des “menschlichen” Erbes: der Gier, sprich Sheriff Napiers. Dieser lässt einen von Quarles’ Leuten seinen Dienstwagen in die Luft jagen und hängt die Tat Boyd an. Vermutlich wird sich die nächste Episode mit Boyds Antwort auf diese Verhaftung beschäftigen, während diese sich vorerst weiterhin auf Raylans Probleme konzentriert. Aus der Schlinge bekommt Raylan seinen Kopf noch einmal heraus – mit Winonas, Tims und Arts Hilfe, der Barkleys Frage nach Raylans Verbleib mit „Could be takin’ a shit!“ beantwortet. Wie es Vasquez so schön formuliert: „You dodge another in a long series of bullets!“

Das Unausweichliche, das Sammy schon angekündigt hatte, geschieht. Quarles wird von Detroit allein gelassen, so dass er sich gezwungen sieht, Limehouses Angebot anzunehmen und mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Dabei übersieht er vermutlich, dass Limehouse, wenn er von der Gewinnerseite spricht, sich selbst meint: seine Seite.

Zum Abschluss dieser hervorragenden Episode bekommen wir endlich Wynn Duffys gemeingefährlichen Augenbrauen zu sehen. (Und seine Leidenschaft ist tatsächlich Frauentennis!) Sogar Raylan merkt zufrieden an, dass jetzt der Duffy hervortrete, den er kennen und (nicht) lieben gelernt habe. Bleibt abzuwarten, in welcher Farbe die Wände noch bemalt werden…

Justified: The Man Behind the Curtain (3×07)

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Wissen, wann man reden und wann man den Mund halten soll. Oder besser gesagt: wann Lärm machen und wann nicht. Denn Verbrechen zahlen sich in Harlan dann aus, wenn man nicht viel Aufmerksamkeit erregt, wenn man leise arbeitet. Eigentlich genauso wie Limehouse, der diese Lektion am Ende der letzten Episode seinem viel zu eifrigen Mitarbeiter erteilen musste. Aber Boyd (Walton Goggins) scheint derjenige zu sein, der die Botschaft gehört hat.

Zwar nicht direkt, aber dafür deutlich: Keine Aufmerksamkeit erregen, sondern zuhören und weiter graben, bis man die Schwachstelle, i. e. das Gold, gefunden hat. Für Quarles liegt das Gold an der Oberfläche, auf der Hand, vor der Nase, auf dem Präsentierteller oder in welcher sprachlichen Variante auch immer man es fassen will. Nun, nicht alles, was glänzt, ist Gold – vor allem dann nicht, wenn es zum Greifen nahe scheint. Harlans Wurzeln liegen tief in der Erde – oder, um es makabrer auszudrücken, unter der Erde. Graben in jedem erdenklichen Sinne tun die Menschen hier seit jeher, und es hält sie am Leben.

Raylan und Boyd haben zusammen in den Minen gearbeitet, dort waren sie beste Freunde – ihre Beziehung wurzelt also tiefer, als Quarles denkt. Er begehe weiterhin Fehler, sagt ihm Raylan, als Quarles ihm in seiner neuen Unterkunft einen Besuch mit einem Geldangebot abstattet. Eigentlich sind die Züge, die die Spieler machen – abgesehen von denjenigen Limehouses – Versuche, einander die Fußmatte unter den Füßen wegzuziehen…

Quarles verabschiedet sich von Raylan (Timothy Olyphant) mit der Drohung, er wisse jetzt, wo Raylan wohne. Dann bezahlt er den Sheriff, um Boyds Bar unter die Lupe zu nehmen und letztendlich zu schließen, während Raylan im Gesetzbuch eine Möglichkeit auftut, um seinerseits Quarles’ Quartier zu beschlagnahmen. Der Unterschied liegt darin, dass Quarles nirgendwo zu Hause ist, wie wir erfahren: Aus Detroit wurde er weggeschickt; von Sammy Tonin, Quarles’ Chef und Sohn von Detroits Mafia-Paten, erfährt Raylan, dass man Quarles dort eigentlich ebenso loswerden will, wie Raylan ihn loswerden will.

Sammy (Max Perlich) wurde, obwohl er von praktisch nichts eine Ahnung hat, nach Harlan geschickt, um Quarles’ Tun zu begutachten – und zu entscheiden, ob man ihm eine Finanzspritze genehmigt. Das FBI wiederum verfolgt die Tonin-Familie auf Schritt und Tritt und kommt den Marshals, sprich Raylan, in die Quere, was unangenehme Konsequenzen hat. Nach wie vor schaffen es weder Quarles noch Raylan, ihre “Mitarbeiter” mit Leib und Seele auf die eigene Seite zu ziehen. Stattdessen nutzen sie sie schlichtweg aus, so wie Raylan Tim ausnutzt.

Sowohl Raylan als auch Quarles werden von ihren eigenen Gefühlen, ihrer Wut und ihren Obsessionen geblendet, was sie zu übereifrigem Handeln provoziert. Umgangssprachlich könnte man es so ausdrücken: Sie machen den Lauten. Apropos Lauten: „The Power Of You: Turning Your Personality Into Profit!“ Das ist die neue, laute Devise von keinem Geringeren als Gary Hawkins, Winonas Ex-Mann, den Quarles und Duffy (Happy-Augenbrauen! endlich!!) besuchen – vermutlich, um ihn gegen Raylan und Winona ins Spiel zu bringen.

Währenddessen trifft sich Boyd mit einem alten Freund aus Minen-Zeiten, Shelby (Willkommen, Jim Beaver!), den er für die Sheriff-Wahl ins Rennen schicken will. So leitet er den Gegenzug ein, denn was auch Sammy kapiert hat, weiß Boyd schon lange:

„Twice the horses is twice the horseshit.“

Justified: When the Guns Come Out (3×06)

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Winonas Verhalten, das uns seit Anfang dieser dritten Staffel schon oftmals als untypisch auffiel, bekommt mit dieser Episode die – eigentlich naheliegende – Erklärung. Winona hat begriffen und akzeptiert, dass sie Raylan (Timothy Olyphant) niemals wird ändern können, sei es mit Streit oder mit Verbesserungsvorschlägen und -versuchen. So betrachtet, war der Waffenstillstand von Winonas Seite ein Angebot, das Raylan erwartungsgemäß nicht als solches sah.

Man erinnere sich an die erste Staffel, als Raylan ohne Voranmeldung mitten in der Nacht bei Winona (Natalie Zea) und Gary auftauchte, um Winona zu sehen. Damals sagte sie zu ihm, er sei „the angriest man“, den sie je gesehen habe. In demselben Haus, mitten in irgendeiner der vielen einsamen Nächte, scheint Winona endgültig realisiert zu haben, dass nicht einmal ihre Schwangerschaft den „angry Raylan“ ändern kann. So lange es in Harlan Gegenspieler wie Limehouse, Quarles und – vor allem – Boyd (Walton Goggins) und Raylans Vater Arlo gibt, kann Raylan keinen Milimeter weg – und solche Gegenspieler wird es immer geben! Es geht nicht darum, dass Raylan ein Workaholic ist. Die Wahrheit lautet, dass er geradezu nach Gegenspielern sucht und das weiter tun wird, bis die Kugel ihn findet.

Interessant, wie die Autoren die Winona-Story weiter aufziehen werden angesichts der Tatsache, dass die am Krieg beteiligten Parteien bei den jeweils anderen nach Schwachstellen suchen und eine schwangere Winona definitiv eine sein könnte – vor allem in Quarles’ Augen. À propos Schwachstellen: Quarles zeigt eine Blöße in dieser Episode. Der Mann aus Detroit verbringt offenbar mehr Zeit mit dem Genuss seiner sadistischen Exzesse (die sogar Wynn Duffys Augenbrauen in Panik versetzen) als mit dem Sammeln zutreffender Informationen über seine Gegner. In der Geschichte liegt die Wahrheit, hat ihm Boyd bei ihrem Treffen in der letzten Episode gesagt. „The Carpetbagger“ kennt nicht wirklich die Geschichte des Ortes, die Geschichte von Raylan und Boyd und nimmt an, dass die beiden zusammen arbeiten.

Er glaubt, Boyd würde Raylan bezahlen, womit er ihre Beziehung vollkommen falsch versteht. Man könnte sagen: Quarles versteht die Sprache, aber nicht die Melodie. Folglich sieht er auch nicht, wohin diese Melodie, der Singsang Harlans, das geübte Ohr führen kann. Limehouse zum Beispiel hat ein solches Ohr. Das erfährt Boyd, als er zusammen mit Ava (Joelle Carter – wie immer großartig) Limehouse einen Besuch abstattet. Er bekommt demonstiert, wie Limehouse und seine Leute seit langen Jahren immer die richtige Position einnehmen und die richtige Entscheidung treffen können: indem sie lauschen, zuhören und Wissen sammeln in Gestalt von Geschichten über den Ort und seine Bewohner.

Boyd ist auf der Suche nach der Wahrheit. Wer hat seine Oxy-Basis (zu Raylans Entsetzen Tante Helens Haus) angegriffen und sowohl den Arzt getötet als auch einen von Boyds Leuten und eine Prostituierte? Alles weist auf Quarles hin – aber tatsächlich hat sich einer von Limehouses Leuten ohne Limehouses Wissen einen Yojimbo-Move erlaubt, um offenen Krieg zwischen Boyd und Quarles zu provozieren.

Während Boyd die Sache klug abwägt und nach der richtigen Information sucht, hinterlässt diesmal Raylan die blutige Spur: In seinem Zorn über Winona, Arlo, Boyd (Raylan: „The dance we do subsequent to that will not end with you finding Jesus in a hospital bed.“) und eigentlich alles und jeden verfolgt er die Spur der einzigen Überlebenden und verpasst dann Quarles’ Operation einen Schlag, indem er den Oxy-Wohnwagen hochnimmt. Auch Delroy the Pimp (sehr gut: William Mapother), der seine Mitarbeiterinnen gelegentlich misshandelt, bekommt Raylans Zorn “nasal” zu spüren.

Man muss es Justified lassen: Selbst aus Neben-Neben-Figuren wird irgendwann auf dem Erzähl-Weg eine größere oder kleinere, aber auf jeden Fall sehenswerte Story herausgeholt. Die Krönung dieser Episode ist kein Showdown, sondern wir sehen einen glücklichen Charlie, der mit dem entwendeten Geld aus der Beweissicherungskammer mit den quietschenden Reifen eines neuen Chevys in seine Pensionszeit in Mexiko startet. Und Raylan dachte, Winona hätte das Geld zum zweiten Mal genommen… Nein, sie hat sich einfach zum zweiten Mal gegen die Ava-Variante, das Mitspielen, entschieden; sie geht von ihm und überlässt ihn seinem Spiel. Das furios werden dürfte…

Justified: Thick as Mud (3×05)

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Was gibt es über die neue Justified-Episode zu sagen? Kein Geringerer als Dewey Crowe (ein grandioser Damon Herriman) nimmt die Erzählung in die Hand und ist hiermit offiziell Man on Fire. Sein Kamikaze-Lauf liefert den vor Blut triefenden Beweis, dass Hauptfiguren wohl das Herz, Nebenfiguren aber die Nieren einer Serienerzählung bilden: Wenn sie nicht funktionieren, ist die Erzählung dem Tod geweiht. „I told him! I told all of you! I’m a desperate man!“ Immer wieder erzählt bzw. von der Erzählung Anderer hin und her geschubst zu werden – durchaus Grund genug, um irgendwann Rot zu sehen.

Aber nein, Justified inszeniert alles sehr figurengerecht und lässt uns damit sogar etwas wie hilflose Sympathie empfinden für den Mann mit dem tätowierten Reichsadler auf der Brust. Die FX-Serie zeigt uns, was passiert, wenn man die Erzählungen Anderer ernst nimmt. Dewey dreht nicht deswegen durch, weil er genug von allem hat, sondern weil ihm der sadistische Hobby-Chirurg Lance Folgendes erzählt: Ihm, Dewey, blieben vier Stunden, um genug Geld dafür aufzutreiben, dass er seine Nieren wiederbekäme. Die blutige Badewanne, in der Dewey aufwacht, und die Schnitte an seinen Körperseiten reichen ihm als Beweis: Er glaubt Lance.

Dies entspricht seiner Lebenshaltung: Stets geht Dewey von der Autorität Anderer aus, die wissen, wie die Welt funktioniert, und ihm das mitteilen, was ihn unmittelbar angeht. Lance hat das realisiert und schickt Dewey auf einen Amoklauf à la „Crank“: Der verzweifelte Mann überfällt einen Elektrofachmarkt (wo jeder, natürlich, mit Kreditkarte zahlt), eine Strip-Bar (um zehn Uhr morgens), eine Reinigung und abschließend eine Drogerie, wo er sich mit dem starrsinnigen alten Verkäufer – buchstäblich wegen Gott und der Welt – eine Schießerei liefert. Dann flüchtet er in den fensterlosen Lagerraum.

Und nein, eine Hintertür gibt es auch nicht. Zwar steigt die Spannung, und die Sache spitzt sich zu – aber nicht hinsichtlich Deweys Amoklauf: Der findet sein Ende mit Raylans (Timothy Olyphant) Tipp für Dewey, wie er herausfinden könne, ob Lance die Nieren wirklich herausoperiert hat. Ladies and Gentlemen – this is Dewey Crowe: „You mean I had four kidneys?!“ Jedenfalls: Raylans Geschichten zu glauben, ist doch sicherer für Dewey, den wir hoffentlich wiedersehen werden.

Mit dem Zuspitzen der Spannung also meine ich das Pulsieren des Justified-Herzens im Hintergrund der Dewey-Geschichte. Dieses Herz der Erzählung bilden natürlich Raylan und Boyd. Letzte Woche waren Winona und Ava abwesend, bekommen aber dafür in Thick as Mud zwei bemerkenswerte Auftritte, in welchen sie ihre Männer ihres Vertrauens versichern, ihnen bestätigen, dass sie an ihrer Seite bleiben werden. Ob Winona das ehrlich meint? Wir werden es erst wissen, wenn wir mehr über den Brief erfahren, den Raylan am Ende der Episode auf dem Küchentisch findet…

Das zweite Paar, Ava und Boyd, führt ebenfalls eine romantische Unterhaltung, aber mehr im Justified-Style. In Johnnys Bar, wo Boyd über Devils Verrat sinniert, erinnert ihn Ava daran, was sie beide verbindet: zwei alte Narben – von den Kugeln, die ihre Herzen verfehlt haben. Zwei Treffer, die sie am Leben ließen und füreinander bestimmen. Als Boyd von der gegenwärtigen Übermacht seines Gegners erfährt, kommen ihm Bedenken. Aber in der vermutlich besten Szene der Episode, als Quarles (Neal McDonough) und Boyd (Walton Goggins) aufeinander treffen, kann Boyd einen Treffer landen: Seine „Carpetbagger“-Rede scheint Quarles an die Nieren zu gehen.

Nicht nur, weil Boyd ihm klar macht, dass er Harlan nicht als Erster überrennen wolle, um dann zu versagen, sondern weil er Quarles auf seinen Kern festnagelt: ihm sagt, was und wer er ist. Die beiden tauschen bei dieser ersten Begegnung literarische Zitate aus, aber wie wird es bei der nächsten sein? Es scheint, als hätten beide nicht erwartet, was sie nun erleben – nicht nur voneinander, sondern auch von Limehouse, der als dritte Macht in Harlan derzeit nur den neutralen Beobachter spielt und Informationen sammelt. Auch Raylan erlebt am Ende der Episode eine unangenehme Überraschung, und damit ist nicht der Brief gemeint.

Zum ersten Mal seit Beginn der Serie – wenn ich mich nicht täusche – sieht er sich gezwungen, eine Frau zu erschießen, nämlich Lances Komplizin, die mit ihm flirtende Krankenschwester. Damit nicht genug: Er erschießt sie im Grunde durch Lance hindurch, der, als Leiche, auf ihm liegt. „I can’t believe you shot me“, sagt sie. „I can’t believe it, either“, antwortet Raylan. Harlan ist immer für eine Überraschung gut…

Justified: The Devil You Know (3×04)

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The Devil You know is… Devil. Mit teuflischen Plänen konnten die Figuren in Justified immer schon glänzen. Der Glanz in den Augen zeugt nun zwar von Begeisterung, aber die wird nicht jedes Mal von genügend Weit- und Durchsicht begleitet, um den Plan tatsächlich durchführen zu können. Außerdem muss man sich stets fragen, wer sich zu wem loyal verhält und auf wen man zählen kann. Es gibt manche, die nicht einmal auf sich selbst zählen können.

Das Einzige, was in Justified feststeht: Jeder, der ungeduldig und dumm handelt, endet tot. Es sei denn, er heißt Dewey Crowe. Im Grunde besteht der Teufel, den wir kennen, in menschlicher Dummheit, manchmal in Kombination mit Gier. In dieser Episode verlaufen die Handlungsstränge von Devil und Dickie/Dewey parallel und ähneln einander stark – mit einem Unterschied, nämlich dass mit bösen und hinterhältigen Absichten gepaarte Dummheit bestraft wird.

Wir wissen, dass weder Devils Plan, Boyd (Walton Goggins) zu hintergehen, noch Dickies von Gefängniswächter Murphy erzwungener Plan, an das Geld heranzukommen, erfolgreich enden werden, aber diese zwei Versuche dienen hier als Mittel zum Zweck: Auf der einen Seite kreiert man eine Menge schwarzhumoriger Situationen, auf der anderen tun im Hintergrund der Ereignisse die Hauptspieler des Harlan Roulette ihre ersten Schritte. Immer schon erzählte Justified von Alt und Neu, von familiären Bindungen und von den Beziehungen, die die Figuren eingehen: jenen Bindungen zum Trotz oder erst recht ihretwegen.

Mags ist zwar nicht mehr da, aber Limehouse und seine Community nehmen ihren Platz ein. Seine Organisation funktioniert so, wie sie ist und seit Ewigkeiten funktioniert hat. Limehouse vertritt die Tradition, während Quarles auf Innovation setzt; beide Männer pflegen ihren Stil, für Loyalität unter ihren Leuten zu sorgen. Vertrauen und Loyalität können Verschiedenes bedeuten. Boyd fordert von seinen “Mitarbeitern” Vertrauen – und solche wie Devil können keines in ihn setzen, denn sie verstehen Boyd nicht; nicht als Menschen und nicht als kriminellen Anführer.

Quarles wiederum setzt Devil auf Boyd an, genauso wie er in der letzten Episode Duffys Leute auf Raylan (Timothy Olyphant) ansetzte. Falls Devil Erfolg hätte, wäre Boyd weg – und falls nicht, dann gäbe es einen dummen Kriminellen weniger in Harlan! In Quarles’ Organisation gibt es keine Geschichte, keine Familie und keine Freunde. Und schon gar nicht solche wie Boyd und Raylan, die einander riechen können, bevor sie sich auch nur erblickt haben.

In einer durchaus actionreichen Episode macht Justified wie gewohnt zweimal Halt, um uns Dialoge und Sprachspiele genießen zu lassen: bei Raylans Besuch in Johnnys Bar, als er Boyd von seiner Mutter und seinem ersten Treffen mit Limehouse erzählt, und bei seinem Treffen mit Loretta, die Raylan wegen Mags’ Geld ausfragt. In diesen Dialogen hört man, wie vorsichtig Worte gewählt werden – und wie diese Vorsicht vom jeweiligen Gegenüber registriert wird. Vorsicht ist besser als Nachsicht, aber dahinter steckt – Absicht. Murphy und seine Komplizen beabsichtigen Dickies Geld zu kassieren.

Vor allem dank Dewey Crowe verläuft die Flucht aus dem Gefängnis als Verkettung gelungener Slapstick-Einlagen, angefangen mit seiner Betäubung im Gefängnis über das Gewühle im Leichensack bis hin zu dem Zustand, in dem wir ihn hinterlassen: vermutlich als – wenn auch unfreiwilliger – zukünftiger Organspender. Während Devils Unvermögen, Sachverhalte zu verstehen, ihn in den Angriff treibt, ergreift Dewey lieber die Flucht. Für Murphy, den Gefängniswärter, gibt es keine Möglichkeit zu fliehen, denn Raylan hat ein Auto zur Verfügung, und Murphy ist zu Fuß.

Wieder einmal schafft es der Marshal, jemanden ohne Waffeneinsatz außer Gefecht zu setzen. Aber angesichts der unterschiedlichen Parteien, die in Harlan gegeneinander antreten, wird dieser Zustand vermutlich nicht mehr lange aufrecht zu erhalten sein…

Justified: Harlan Roulette (3×03)

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„Next one is coming faster“, sagt Raylan am Ende dieser Episode zu Duffy, nachdem er ihm mit der Hand eine Kugel auf die Brust geworfen hat. Nicht nur ist dies eine wunderbare Inszenierung und “Coolness” im Spitzenbereich, sondern es erinnert uns an die Kugelmetapher, über die wir schon in der ersten und der zweiten Staffel gesprochen und gestritten haben. Es ging um die Metaphorik der Kugel, die immer ihren Bestimmungsort erreicht. Diese Kugel muss sich nicht unbedingt im materiellen Sinne, sondern kann sich auch als Wort, als Geste, als Blick manifestieren – und damit als Versprechen.

Solche macht Raylan Givens (Timothy Olyphant) gern und versucht sie auch zu halten. Er macht seine Versprechen verbindlich, genauso wie Kugeln verbinden. Aber warum besteht die Verbindung zwischen den männlichen Protagonisten in herumirrenden und -suchenden Kugeln, die früher oder später ihren Bestimmungsort erreichen werden? Weil sie, um endlich den thematischen Boden dieser Episode zu betreten, im gewissen Sinne “Abhängige” sind. Sie spielen für ihr Leben gern Harlan Roulette! In einer stillen Szene in der Bar, die Boyd (Walton Goggins) im Handumdrehen übernommen hat, fragt ihn Devil, welcher Boyd er jetzt sei, welchem Boyd er folgen solle.

Damit werden wir an den Weg erinnert, den Boyds Figur bisher bestritten hat – immer dem eigenen, tatsächlichen Standpunkt einen Schritt voraus. Mit Poker-Terminologie beschrieben, liegt Boyds Stärke im perfekten Leveling: Er kann haargenau abschätzen, auf welchem gedanklichen Level sich sein Gegner befindet, um selbst stets eins drüber und damit den besagten Schritt voraus sein zu können. Nur sein alter Freund Raylan bereitet ihm immer wieder Schwierigkeiten. Warum? Weil Raylan selbst ähnlich handelt – mit dem Unterschied, dass er als begabter Geschichtenerzähler seine Zuhörer genau dahin manövriert, wo er sie haben will.

Auch der neue Mitstreiter in Harlan, der Mann aus Detroit, zeigt in dieser Episode, dass er die Fähigkeiten zum Mitspielen besitzt. Er verfährt wiederum etwas anders als Raylan und Boyd, indem er Anderen das Gefühl gibt, Oberwasser zu haben – während er selbst die Asse im Ärmel trägt, in Gestalt der Kugeln seiner im Ärmel versteckten Pistole und seines Scharfsinns. Er spielt schmutzig, könnte man sagen, aber Regeln sind fließend – wie die Tischdecke, die Raylan ganz sachte an sich heranzog, um dem Ice-Pick-Nix-Spielchen ein Ende zu bereiten.

Mit dieser dritten Episode etabliert Justified in gewissem Sinne die Spielregeln, und wir beobachten, wie sich in Harlan ein Dreieck zu bilden scheint – mit etlichen Variablen darin. Eine Spielhierarchie, denn wie gesagt: Diese Männer sind spielsüchtig. Sie wollen die beste Hand, wollen die anderen ausspielen. Und die Kugeln, die sie aufeinander abschießen? Nun, die finden unterwegs auch andere Ziele, während sich die unterschiedlichen Gruppierungen zu organisieren beginnen.

„That is why it’s called organized crime“, sagt Quarles aka The Carpetbagger zu Duffy, als er ihm erklärt, wie er das Oxy-Business zwischen Harlan und Detroit betreiben will. Quarles, der seine Taxi-Driver-Inspiration in dieser Episode bestätigt, setzt den Pfandleiher Mr. Fogel auf Raylan an. Fogel gehört zu Duffys Leuten und spielt mit seinen drogensüchtigen Mitarbeitern gern “Harlan Roulette”. Da Fogels Truppe, allen voran Raylans alter Bekannter Wade (James LeGros), die Aufmerksamkeit des Marshals auf sich gezogen hat, kann Quarles nur gewinnen: Entweder erwischen sie Raylan – oder er erwischt Fogel & Co.

Übrigens wird Fogels Rolle großartig gespielt von Pruitt Taylor Vince, der schon in Touching Evil zusammen mit Jeffrey Donovan eine grandiose Leistung bot. Ich fand es geradezu schade, dass dieser Auftritt so kurz war, denn Fogel und Wally Beckett (Eric Ladin, The Killing) verpassen einander die Kugel, anstatt gegen Raylan anzutreten. Da Fogel die Phrase „break bad“ benutzt und Moira Walley-Beckett als Autorin bei Breaking Bad arbeitet, gebe ich den US-Kritiker-Kollegen Recht: es könnte sich um einen Insiderwitz handeln…

Marshal Raylan Givens mag Insiderwitze und stattet Duffy einen Besuch ab, um ihm zu verkünden, dass jetzt die Konversation stattfinden werde, die er ihm damals versprochen habe, und zwar mit Kugeln. Nach einem kurzen Treffen und einem ersten kleinen Deal mit Limehouse (Mykelti Williamson) sehen wir Boyds Plan Form annehmen, als Johnny wieder die Bühne betritt und Unterstützung mitbringt, während Dickie Bennett („You’re gonna have to h-h-hold your horses.“) solche im Gefängnis gebrauchen könnte: Der Wärter, der sein Gespräch mit Boyd abhörte, will an Mags’ Geld herankommen…

Das Spiel kommt in Schwung mit dieser Episode. Anders gesagt: Die Revolvertrommel wurde gedreht, und das Roulette kann beginnen.