Mit dieser für meinen Geschmack phantastischen vierten Episode hat Luck definitiv auch die letzten Ich-warte-ab-was-passiert-Zuschauer verloren. Weder gibt es ein Zurück für diejenigen, die seit Anfang der Serie dabei sind, noch einen Neueinstieg für weitere Zuschauer. Die dramaturgische Struktur der einzelnen Episoden, über die wir letztes Mal sprachen, hat sich etabliert, und jeder weitere Schritt bzw. Ritt führt immer tiefer hinein in diese Welt und in die Seelen der Figuren, die sie bevölkern.
Ihrer sind nicht wenige, und man muss es der David-Milch-Erzählung hoch anrechnen, mit welcher Liebe zum Detail, zu den kleinen Augenblicken im Leben des Einzelnen sie den Zuschauer durch die Episoden führt. Es gibt unterschiedliche Strategien, um eine breit gefächerte Geschichte aufzuziehen. Luck wählt die für ein Massenpublikum “unpassendste”, indem die Serie anstatt großer Ereignisse Stück für Stück Details preisgibt: über die Figuren, ihr Leben und wie und warum sie es so führen und nicht anders. Slow Motion: davon macht die Serie Gebrauch, sowohl im technischen als auch im metaphorischen Sinne.
Sehr bezeichnend ist da natürlich die Pferderennen-Musikmontage in der Mitte der Episode. Trotz zunehmender Geschwindigkeit der Pferde wird alles immer langsamer, die Kamera streicht über die Gesichter sämtlicher Beteiligter – ganz egal, ob sie sich gerade in der Nähe oder ganz woanders befinden. Denn in Gedanken sind sie alle immer dort: an der Rennbahn. Jede kleine Regung auf diesen Gesichtern versucht man einzufangen, als ob man Angst hätte, etwas Wichtiges zu verpassen, was wir über diese Figuren wissen müssen.
Rosies Sieg hat definitiv etwas Rührendes an sich, etwas Befreiendes: eine Sekunde Glücksgefühl darüber, dass überhaupt jemand gewonnen hat in einer Welt, wo eigentlich niemand wirklich gewinnt. Gettin’ Up Mornin’ ist nicht Walters Pferd, sondern es ist Walter selbst, es sind alle.
Die Bilder fangen die ultimative Schönheit eines Gefühls ein, das uns nur unsere Obsessionen geben. In diesem Augenblick gehört der Sieg irgendwie allen, deren Geschichten wir vor und nach dem Rennen wieder separat voneinander betrachten dürfen. Denn sie alle sind allein – manche gar verloren, wie zum Beispiel Jerry. Er kann nicht vom Poker wegkommen und lässt sich auf ein Heads-Up-Match mit Leo ein. Im Cash Game zwei Buben preflop wegzuwerfen, zeugt nicht von Besserung, Jerry! Obwohl die Hand mit dem Siebener-Pärchen bitter war – bitterer noch als mein später Ausstieg gestern Nacht in Party Pokers 200K-Turnier…
Aber Luck erzählt nicht davon, wie Jerry sein Pokerspiel verbessert, sondern davon, wie er sich dabei fühlt – und von seiner Hoffnung, dass es besser wird. Vielleicht steht das Glück ja doch einmal auf seiner Seite? Während Rosie das Glück in der eigenen Überzeugung, in ihrer Leidenschaft und in einem Gebet sucht – und es dann auch findet, sowohl auf Gettin’ Up Mornin’ als auch auf Leon -, ist Ace Bernstein (Dustin Hoffman) weiterhin damit beschäftigt, sein Glück zu erzwingen bzw. das Rennen gegen seine alten Komplizen zu machen. Denn vor allem mit den kleinen Szenen um Leon und mit Joeys pathetischem Monolog lehrt uns Luck, dass wir unsere Chance ergreifen müssen, wenn sie da ist: egal wie klein.
Andernfalls sind wir selbst schuld. An Aces Schicksal freilich trägt jemand eine besondere Schuld, nämlich Mike (ein großartiger Michael Gambon). Mit ihm trifft sich Bernstein, um ihm einen Teil des zukünftigen Glücks anzubieten: einen Teil von seinem Projekt. Mike ist durchaus interessiert, aber mehr daran, wie Ace ihn aufs Kreuz legen will. Es sieht nach einem gefährlichen Katz-und-Maus-Spiel aus, das noch nicht einmal richtig angefangen hat, aber den Beteiligten alles abfordern wird. Ace ist bereit, eine hohe Geldsumme in Claires Projekt zu investieren. Kann Claire zu seinem Glück beitragen? Oder ist er nur auf seinen Plan fixiert? „Answers a question with a question“, würde Bernstein antworten, bevor er und Gus dem Schlaf zum Opfer fallen und träumen: von Pferden und vom Glück.