Game of Thrones: What Is Dead May Never Die (2×03)

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Schon in der ersten Episode der neuen Staffel sahen wir uns mit dem übergreifenden Thema konfrontiert: Woher kommt Macht, wer kann sie wie ausüben und behalten? Macht der Worte bzw. der politischen Intrigen, Macht des Schwertes oder aber Macht der Liebe: Welche ist von Dauer? Wie kann Macht ergriffen werden? Vielleicht kehrt die Welt aus Game of Thrones sogar zu einer viel älteren Machtquelle zurück: zur Magie, zu übernatürlichen Kräften? What is Dead May Never Die lehrt uns, dass all diese Fragen an Bedeutung und Gewicht verlieren können im Vergleich zu einer viel wichtigeren: Wie manifestiert sich Macht, und wer glaubt an sie? Es geht um die Auswirkungen von Macht auf das Leben Anderer und umgekehrt darum, an eine machtvolle Präsenz zu glauben. Auch Gottes Existenz ist in diesem Sinne irrelevant.

Wie der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek sagt, spielt es keine Rolle, ob Gott existiert oder nicht – so lange seine (Nicht-)Existenz Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat. Ähnlich verhält es sich mit Macht, die man an bestimmten Orten und in bestimmten Menschen vermutet: Der Glaube an sie erzeugt sie allererst. Auch wenn man, in Varys’ Worten, nur einen Schatten an der Wand sieht. Es ist unwichtig, wer den Schatten wirft. Erscheinung und Ereignis fallen zusammen, während die Wahrheit in der Ecke lauert, weit vom Kerzenlicht entfernt. Eine Repräsentation, ein Erscheinungsbild – es geht darum, wie man von Anderen wahrgenommen wird. In dieser Episode werden viele Stories unter vier Augen erzählt; ich leiste mir also einen Hinweis auf den Witz über den Mann, der sich für ein Korn hält. Er wird in eine Anstalt eingewiesen, wo ihn die Ärzte anscheinend erfolgreich davon überzeugen können, ein Mensch zu  sein. Als er das Krankenhaus verlässt, schreckt er plötzlich zurück, da er auf der Straße ein Huhn sieht. Er sagt dem Arzt, er habe Angst, gefressen zu werden. Der Arzt beruhigt ihn: er wisse doch, dass er ein Mensch sei und kein Korn. Der Patient antwortet: Natürlich weiß ich das, aber weiß das Huhn es auch?

Was wissen die einfachen Leute, was weiß das Volk über all die Könige in Westeros, über all die Menschen an der Macht? Wer, glauben sie, kann sie regieren? Power resides where men believe it resides, sagt Varys zu Tyrion. It’s a trick, a shadow on the wall. Robert Baratheon beendete die lange Herrschaft der Targaryen-Dynastie und damit, könnte man behaupten, wurde auch alles Übernatürliche aus Westeros’ Welt verbannt. Keine Drachen mehr, keine “children of the forest” (wie Maester Luwin zu Bran sagt), keine von höheren Mächten auserwählten Könige und Herrscher. Macht gehört denen, die sie für sich beanspruchen können – sei es mit Worten und politischen Intrigen (die Lannisters), sei es mit Gottes Hilfe (Stannis), mit dem Schwert (Robb) oder aber mit Liebe (Renly). Aber dieser Kampf der Könige beeinflusst natürlich ihre Untergebenen.

Auch wenn Game of Thrones noch nicht so sehr auf die Zustände und Befindlichkeiten der Menschen in Westeros eingeht, kann man schon deutlich sehen, was Loyalität oder Misstrauen hervorzurufen vermögen. Wie Varys Tyrion warnt, werden die Menschen sehr schnell feststellen können, dass Joffrey nicht der richtige Herrscher für sie ist. Genauso schnell hat Renly in der  Zwischenzeit eine Riesenarmee um sich geschart – und alle scheinen ihn zu mögen, vom einfachen Diener bis hin zu einer gewissen Brienne of Tarth (Gwendoline Christie). Mit dieser Episode führt Game of Thrones eine weitere faszinierende Frauenfigur ein. Die Kenner der Bücher unter euch wissen, was ich meine!

In den Abhandlungen über The Night Lands sprachen wir über die Positionierung von Männern und Frauen innerhalb der Machtkontexte, die Game of Thrones konstruiert. Oft werden diese Positionen erschüttert von der Suche nach dem eigenen Selbst, von drohendem Identitätsverlust. In meinen Augen zieht Game of Thrones hier einen sehr geschickten Vergleich zwischen zwei sehr ungleichen Frauen, nämlich Sansa und Brienne. Sansa, gefangen in Cerseis Klauen, scheint sich völlig verloren zu fühlen. Das wird visuell sehr schön demonstriert, als sie allein in ihrem Zimmer in den Spiegel schaut und ihr Abbild nur verschwommen sieht: Sie weiß nicht mehr, wer sie ist und was sie tun soll. Als Shae hereinkommt und sich als ihre neue Dienerin präsentiert, übt Sansa verzweifelt das einzige Stückchen Macht aus, das ihr gegenwärtig zu Gebote steht, und verhält sich übertrieben grob zu Shae. Aber wir sehen die Tränen in Sansas Augen.

Von Brienne wiederum sehen wir zunächst nichts – nur einen großen Menschen in Ritterrüstung, der gerade zur Überraschung aller Anwesenden im Zweikampf einen der besten Ritter in Westeros besiegt: Loras Tyrell, The Knight of Flowers und Renlys Liebhaber. Als Preis gibt ihr Renly zu Loras’ Entsetzen die Erlaubnis, Teil seiner King’s Guard zu werden. Das nämlich ist Briennes einziger Wunsch: für ihren König zu leben und zu sterben. Catelyn, gerade zu Verhandlungen eingetroffen, ist beeindruckt von solcher Loyalität – und erkennt zugleich rasch, dass bei aller Beliebtheit Renlys vielleicht nur Brienne ihm derartig ergeben ist. Der Rest seiner Anhänger ist schlichtweg geblendet: von Sonne und Pflanzen, von Sommerspielen und dem Gedanken an die Macht. Aber Macht erkämpft man sich nicht im Spiel, schon gar nicht spielerisch – und einfach so gegeben ist sie auch nicht. Das muss sich Renly vor Augen führen, vielleicht gar sich selbst überwinden, um seine Macht zu behalten.

Denn wie seine Frau Margaery (die von dem Verhältnis mit Loras weiß) ihm mitteilt, kann das Bündnis mit dem Hause Tyrell nur über ein Baby intakt bleiben. Macht geht einher mit starken Allianzen. Balon Greyjoy jedoch will keine. Er will nehmen, was ihm gehört – und Theon soll eine Rolle am Rande spielen, wenn die Iron Men den Norden angreifen. Sehr gut gefällt mir die Trostlosigkeit und zugleich Entschlossenheit, die die Bilder von den Iron Islands ausstrahlen. Für Theon ist die Anerkennung seines Vaters, das Ergreifen einer Machtposition in der eigenen Familie tatsächlich ein Schatten an der Wand. Wird er sich selbst verlieren in der Verfolgung dieses Schattens? Er wählt die Macht des Blutes über diejenige des einzigen Familienbundes, den er besaß, nämlich mit den Starks. Theon vermittelt das Gefühl, dass er tatsächlich ertrinkt, nur um im nächsten Moment wiederbelebt zu werden – so, als ginge er in einem Ohnmachtszustand mit einer Welle unter, um ein Stück stromabwärts wieder aufzutauchen. What Is Dead May Never Die, lauten die Worte der Iron Men. Und sie lassen sich sehr schön auf zwei andere Handlungsstränge beziehen, nämlich auf unseren kurzen Aufenthalt in Winterfell mit Bran und auf Jons Auseinandersetzung mit Craster.

Bevor wir dazu kommen, sei gesagt, dass mir in der laufenden Staffel diese dritte Episode bisher am besten gefällt. Während die ersten zwei eher als Einführung dienten, fließt hier alles und erscheint kompakt, wodurch die Geschichten mehr Gewicht erhalten – auch wenn wir sie nicht alle zu sehen bekommen; Dany und Melisandre etwa treten nicht auf. Game of Thrones bringt Themen auf den Punkt und schafft einen Fluss, der weniger Kurven nimmt als in den Büchern, wo sich das Fließen überdies an manchen Stellen zu einem See ausbreitet, was den Eindruck von Stillstand erweckt. Solche Reflexionen bilden in einem Buch einen wichtigen Teil des Leseerlebnisses, sind aber kaum bis unmöglich in eine Bildschirm-Erzählung einzubinden. Ebenso können unmöglich in jeder Episode alle Schauplätze und Figuren auftauchen. Hier liegt die Stärke der Fernsehserie Game of Thrones: den Fluss stark vorankommen zu lassen – ohne allzu viele Abweichungen, dafür aber mit dem einen oder anderen überraschend eingebauten Wasserfall.

Die Enthüllung dessen, was Craster mit den neugeborenen Jungen tut, bietet eine solche Überraschung. Sie erinnert daran, dass manche “Dinge” nicht sterben, auch wenn man sie gestorben glaubt – seien es die White Walkers oder die Drachen. Vielleicht auch die so genannten “skinchangers”? Ist Bran einer? Erneut sehen wir Bran durch seine eigenen Augen als Direwolf durch Winterfells Gänge gehen, um schließlich… zu sich selbst zu kommen. Durch die Augen des gerade auf sein Bett gekletterten Direwolfs sieht Bran sich selbst, schlafend – und wacht auf. Im Grunde kehrt er aus dem Traum, aber eigentlich zu sich selbst zurück. Liegt die Möglichkeit der Macht für ihn genau in diesem Einklang mit sich selbst? Maester Luwin sagt, dass die Magie und das Übernatürliche aus dieser Welt verschwunden seien, aber – What Is Dead May Never Die. Das gilt auch für politische Intrigen am Königshof. Tyrion beweist Überlegenheit, indem er ausgerechnet mit den Puppenspielern Varys, Pycelle und Littlefinger ein geschicktes Spiel treibt, um herauszufinden, wer in Cerseis Ohr flüstert.

Aber er weiß nicht nur Geschichten zu erzählen, sondern damit auch die Begehren der Beteiligten anzusprechen oder aber allererst zu wecken. Was er den dreien über die Pläne erzählt, Myrcella nach Dorne zu schicken, um sie mit Theon oder aber mir Robert Aryn zu verheiraten, sind im Grunde mögliche Schachzüge, die Tyrion erwägt – womit er gleichzeitig bestätigt bekommt, wo Cerseis Schwäche liegt. Aber wie ihm Varys trotz aller Anerkennung mit seiner Story mitteilt, wird es mehr als solche Spielchen erfordern, seine machtvolle Position zu halten. Ein Schatten an der Wand schrumpft nur zu schnell im Licht… Von anderen Schatten handelt Aryas Geschichte: von solchen, die nicht weichen wollen und die man nicht mit dem Schwert bekämpfen kann. Oder doch? In einer sehr schönen Szene spricht Arya mit Yoren über ihre Alpträume von Neds Tod; Yoren erzählt daraufhin seine eigene Geschichte und davon, wie er mit Schatten umgeht: Anstatt ihnen auszuweichen, versucht er sie irgendwann zu wirklichen Schatten zu machen – mit dem Schwert.

Im abendlichen Rezitieren der Namen von Menschen, die man für das eigene Leid verantwortlich macht, liegt nicht nur das In-den- Schlaf-Wiegen, sondern ein Versprechen an sich selbst, irgendwann die Macht zur Abrechnung zu erlangen. Ob Arya Yorens “Methode” übernimmt? Denn Yoren wird nicht mehr da sein, um ihr zu helfen. Als Lannisters Leute auftauchen, wird er getötet – trotz brutaler Gegenwehr seinerseits. Ein weiterer männlicher Begleiter in Aryas Leben mit schneller Zunge und schnellem Schwert wird zu einem Schatten – man denke an die Schatten an der Wand, als in Staffel 1 Syrio im Kampf gegen die Lannister-Leute (vermeintlich) starb. Vielleicht sollte er nicht als Letzter Arya nahe legen, dass die Kombination aus beidem, Schwert und Zunge, Macht bringen könnte. Wir sehen, wie Arya die drei Männer im Käfig befreit, und ich sage euch: Sorry für den Spoiler – wir sehen sie nicht zum letzten Mal! Arya rettet zwar Gendrys’ Leben, aber alle werden nach Harrenhal verfrachtet, einen laut Littlefinger verfluchten Ort. Soll man die Schatten an der Wand fürchten oder selbst ein solcher werden? Je nachdem, was man von sich glaubt…

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