Justified: The Lord of War and Thunder (1×05)

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Wer kann es Raylan (Timothy Olyphant) übel nehmen, dass er immer wieder in Avas (Joelle Carter) Armen landet? Nach dieser Episode kann ihm ebenso wenig übel genommen werden, seinen Vater nicht besuchen zu wollen.

In The Lord of War and Thunder lernen wir Raylans Vater Arlo (Raymond J. Barry) endlich kennen. Was Raylan nicht gerne hört, aber insgeheim selbst weiß: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, Raylan verspüre einen Drang zum Verbrechen, sondern vielmehr, was in früheren Episoden angedeutet wurde:

Seine Wut gegenüber der Welt ist auch die Wut auf sich selbst – egal wie sehr er es auch versucht voranzukommen, gelangt er immer wieder dahin zurück, wer er eigentlich ist. Das ist die Moral aus der Geschicht’ dieser Episode – und aus dem verzwickten Spielchen zwischen Vater und Sohn hinsichtlich des Streits mit Parkins: Ob Raylan will oder nicht, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!

Aber wie kommt es überhaupt zu dem Aufeinandertreffen von Vater und Sohn? Während Raylan sich undercover als Gärtner ausgibt zur Aufspürung eines Flüchtigen, bekommt er einen Anruf von seiner “Tante” (Stiefmutter) Helen (Linda Gehringer), die ihn bittet, seinen Vater aus dem Gefängnis zu holen. Warum er im Gefängnis sitzt, sehen wir in der allerersten Szene der Episode.

Arlo ist ein Mann, der seine Wut schwer kontrollieren kann – es sei denn, er nutzt das Wissen anderer über seine Wutausbrüche aus und fädelt anhand dessen eine Geschichte ein, um das eigene Ziel letztendlich zu erreichen. Genauso macht es sein Sohn, der als Einziger herausfindet, was hinter der Auseinandersetzung mit dem Drogendealer Perkins (Eddie Jemison, „Ocean’s Eleven“) steckt.

Arlos Versuch, Raylan hinters Licht zu führen, können wir auch als Hilferuf interpretieren: Als Arlos Wunsch, dass sein Sohn ihn endlich besucht, bevor er stirbt (einen Herzinfarkt hatte er ja schon). Arlo möchte Raylan sehen und ihm erzählen, dass er selbst bei einem wütenden, dominanten Vater aufgewachsen ist und ebenfalls rebelliert hat. Ist das Arlos Art zu sagen, dass er seinen Sohn versteht?

Schwer zu sagen, wohin alles führen kann oder soll. Eines steht fest: Justified demonstriert, wie man den Fall der Woche einsetzen kann, um Geschichten zu verdichten – genauso wie die Wolken über Raylans Kopf, denn unter anderem wird hier der Stein für den weiteren Ausbau des episodenübergreifenden Boyd-Plots gelegt: Alle warnen Raylan vor Boyds Vater (Papa Bo), der demnächst aus dem Gefängnis kommen und nicht sehr erfreut darüber sein wird, dass Ava seinen Sohn getötet hat und Raylan fast den anderen. Übrigens ist nicht nur dieser eine Boyd übrig geblieben, wie wir in dieser Episode erfahren. Raylan wird also vor dem Showdown nicht weglaufen können: Nicht nur, weil die Boyds Rache wollen, sondern weil er generell vor sich selbst nicht weglaufen kann.

Timothy Olyphant gibt sein Bestes, um uns subtil, aber mit großer emotionaler Wucht Raylans Innenleben zu präsentieren – anhand einer Geschichte! Als Raylan Parkins als Drogendealer entlarvt (beste Olyphant-Szene), erzählt er nicht ihm, sondern uns eine Geschichte.

Eigentlich spricht er gar nicht mit Parkins, sondern über ihn hinweg zu uns Zuschauern: Er benutzt die Bühne, um uns eine Geschichte aus seiner Kindheit mitzuteilen. Stets musste ihn seine Tante Helen vor dem wütenden Vater retten, indem sie mit ihm weglief. Noch immer läuft Raylan vor sich selbst weg – nicht vor seinen Freunden/Feinden, nicht vor seiner Familie, nicht vor seinem alten Zuhause.

Aus genau diesem Grund gelingt ihm das Weglaufen nicht: Er kommt immer wieder zurück – was ihn traurig und nur noch wütender macht, wie wir hier anhand der zwei kurzen Szenen vor seinem Elternhaus sehen. Das wiederum weist darauf hin, warum Raylan einen so alltäglichen Kontakt mit dem Tod pflegt. Wenn man jeden Tag von seinem Fenster aus, auf seinen eigenen Grabstein blickt und daran erinnert wird, dass man auf den Tod hin lebt, dann ist es schwer, einer (wenn auch unbewussten) Todesobsession zu entgehen.

Versucht Raylan mit jedem gerechtfertigten („justified“) Schuss, mit jedem Sterben, vor dem eigenen wegzulaufen? Der Grabstein jedenfalls bleibt, wo er ist, er wartet auf ihn – auch vor ihm kann Raylan nicht weglaufen: Diese traurige Erkenntnis liefert The Lord of War and Thunder vor allem mit den letzten Bildern. Was in einer Szene als schwarzer Humor erscheint, entblößt in der nächsten eine traurige Wahrheit.

Mitten in der Nacht geht Raylan zum alten Familienhaus – und jetzt erst lässt uns die Kamera (aus Raylans Sicht) Raylans Grabstein erblicken: In der Szene davor (in der Mitte der Episode) bekamen wir aus seiner Perspektive nur die Grabsteine von Arlo und von Raylans verstorbener Mutter in den Blick. Natürlich ahnten wir, wem der dritte Grabstein, der beim Kameraschwenk kurz sichtbar wird, gehören könnte – aber Raylans Namen darauf sehen wir erst in den letzten Sekunden dieser überragenden Episode.

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