Jessica: „Just watching the storm.“ Brody: „Coming or going?“ Jessica. „Going, I think.“ Diese kurze Unterhaltung gegen Ende der Episode, während man im Hintergrund gelegentlich Donner hört und Blitze das Bild für Sekunden erleuchten, beschreibt sehr gut, welche Erzählatmosphäre Homeland kreiert. Als Zuschauer hat man durchaus das Gefühl, dass ein Sturm aufzieht, nur genau beschreiben kann man es nicht. Die Beweise fehlen: wer, wie und wann? Hier ein Blitz, da ein Donnergrollen… aber führt das tatsächlich zu einem Sturm?
Carrie beharrt darauf, dass mit Brody etwas nicht stimmt. Und dieser Gedanke ist gar nicht so falsch. Nur: liegt das Nicht-Stimmen dort, wo Carrie es vermutet? Dieses Gedankenspiel illustriert die CIA-Untersuchung dieser Woche: David, Carries Chef, nimmt ihre Hinweise auf den möglichen Finanztransfer mit Hilfe der Kette ernst und befiehlt eine genau Untersuchung der Personen, die involviert sein könnten. Darunter ist ein gewisser Assistent-Professor namens Raquim, der Mann, der am Ende der letzten Episode ein Haus nahe dem Flughafen kaufte. Schlussendlich wird er von der Verdächtigen-Liste gestrichen; nur wir Zuschauer wissen, dass mit ihm tatsächlich etwas nicht stimmt. Trotzdem ist das Durchstreichen mit dem roten Filzstift nicht unbedingt falsch: Es scheint, als ziehe ausgerechnet seine Frau die Fäden – in was auch immer die beiden involviert sind.
In Homeland ist alles möglich, bisher ohne dass die Wendungen unglaubwürdig erscheinen. Die Feinheit, die die Showtime-Serie so sehenswert macht, besteht in der Art, nicht zwei Seiten einer Münze anzudeuten, sondern die Vielschichtigkeit einer einzigen Seite. Nachdem sich Brody in der Garage die Hände gewaschen hat – bewusst und rituell -, beginnt er seine Waffe zu putzen. Dann hält er inne und schaut durch den Lauf. Eigentlich überprüft er dessen Sauberkeit, aber es erfolgt ein Schnitt auf das Capitol – wie durch ein Rohr oder durch Hindernisse gesehen. Im Piloten schon sahen wir dieses Gebäude durch Brodys Augen, als er beim Joggen davor stand. Jetzt verbindet man diesen Blick erneut mit ihm… aber ist die Verbindung nicht erzwungen?
Carries Blick auf Brody wiederum wird beschnitten. Saul teilt ihr mit, dass die vier Wochen um sind: Sie sieht sich gezwungen, die Überwachungskameras und Mikrofone aus Brodys Haus entfernen zu lassen. Bevor Carrie die letzte Kamera selbst entfernt, erblicken wir sie auf dem Monitor in ihrem eigenen Haus. Auch David will seine beste Analystin im Blick haben – die übrigens vor einiger Zeit mehr für ihn war als nur eine Analystin, wie wir von Carrie selbst erfahren und dann dem Gespräch zwischen den beiden in der Bar entnehmen können. Geschickt nimmt die Erzählung die nächste Nebenfigur mit an Bord: einen aufstrebenden, mit Carrie (Claire Danes) befreundeten Analytiker libanesischer Herkunft, den David (David Harewood) nun auf Carrie ansetzt.
Homeland lässt dem Zuschauer Raum zum Nachdenken: Was könnte wichtig sein, was nicht? Wer könnte wichtig sein und wer nicht? Wie viel weiß die jeweilige Figur – und was denken wir und andere Figuren, dass sie weiß?
Brody erledigt seinen Job als Repräsentant der US-Armee mit Reden und Äußerungen immer geschickter, so dass der Vize-Präsident einen Job im Weißen Haus für ihn in Betracht zu ziehen scheint. Und Brody (Damian Lewis) scheint über Mike und Jessica Bescheid zu wissen. Er sagt es zwar nicht direkt, aber die Kamera, gekoppelt an seinen Blick, erzählt uns sein Wissen.
Auch hier beobachten wir durch Hindernisse wie Fenster- und Türrahmen mit seinen Augen die Ereignisse im Haus, wo eine kleine Party stattfindet und Mike mit einer Pseudo-Freundin auftaucht. Als Mike Brody in der Garage suchen geht, fallen zwei Schüsse. Brody hat zwar nur das Reh erschossen, aber es sind eigentlich Warnschüsse, die auf Brodys instabilen Zustand hindeuten. So jedenfalls sieht es Jessica (Morena Baccarin): Sie konfrontiert ihren Mann damit und mit ihrem Wunsch, dass er sich Hilfe holen möge, da sie den gegenwärtigen Zustand nicht mehr ertrage.
Und tatsächlich geht Brody zu einem Treffen der Kriegsveteranen-Selbsthilfegruppe und trifft dort auf… Carrie. Nein, sie ist keine regelmäßige Teilnehmerin – jedenfalls: nicht dass wir wüssten! -, sondern sie ist ihm dorthin gefolgt. Nachdem ihr die Möglichkeit genommen wurde, Brody offiziell zu überwachen, setzt sie ihr Überwachungsprojekt auf herkömmliche Art und Weise fort. Großartig spielt Claire Danes Carries Brody-Obsession: Wir bekommen den Eindruck, sie würde ihm nicht nur wegen des Terrorverdachts folgen, sondern weil sie ihn… vermisst.
So treffen beide zum zweiten Mal in der vierten Episode der Serie aufeinander, als sie in das Treffen hineinplatzt, bloß um wieder Reißaus zu nehmen. Sie will, dass Brody sie erkennt und ihr folgt – und das tut er auch. Beide reden draußen vor der Kirche miteinander, bevor es anfängt zu regnen und sie mit einem Lächeln im Gesicht zu ihrem Auto geht, während Brody im strömenden Regen stehen bleibt.
Es ist eine kurze, aber interessante Unterhaltung, die nicht nur die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern unter Beweis stellt, sondern noch drängender als bisher die Frage aufwirft, was Carrie eigentlich bezweckt. Weiß sie das überhaupt selbst? Brodys Frage, warum es so hart sei, mit Leuten über den Krieg zu reden, die nicht dort waren, pariert sie mit einer Gegenfrage: „Why is it so hard to talk about anything at all with anyone who wasn’t there?“ Homeland bleibt eine Serie über die minimale Differenz, über diese winzige Verschiebung, die den Blick führen und gleichzeitig täuschen kann, die Überblick verschafft und zugleich verwehrt. Es ist der Kontext, der den Blick führt und täuscht. So nimmt Carrie in Brodys Garage den Gebetsteppich in die Hand, denkt sich aber nichts dabei. Weil es – vielleicht – nur ein Teppich ist…
Kleine Verbesserung:
Jessica sagt: Coming, i think.