Man erinnert sich noch, wie die Fringe-Episode Brown Betty für gemischte Gefühle unter den Fans sorgte. Manche fanden es inspirierend, während Andere mit der fiktionalen Welt innerhalb der fiktionalen Fringe-Erzählung nichts anfangen konnten. Verständlicherweise sind Episoden, die die “reale” Welt einer Serie verlassen – die gar im Unbewussten spielen, uns einen Blick direkt in die Köpfe der Protagonisten erlauben -, auf Produktionsseite schwer umzusetzen und bedeuten für viele Fans, die mehr am Fortschreiten der Handlung interessiert sind, eine Zumutung, wenn nicht sogar Zeitverschwendung. Daran ist nichts auszusetzen, denn Geschmäcker sind unterschiedlich, genauso wie Zuschauer sich auf unterschiedliche Weise den Genuss, die Unterhaltung bei einer Serie holen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Lysergic Acid Diethylamide ist eine Episode, die vor allem Fans von Fringe-Episoden wie Brown Betty definitiv begeistern dürfte. Ich muss zugeben, dass ich selbst ein Herz habe für solche teilweise surrealen Abweichungen vom “normalen” Erzählen; so etwas fesselt mich mehr als zum Beispiel ein alles erklärendes Staffel-Ende. In diesem Sinne glaube ich, dass wir die Quintessenz dieser Episode, die uns auf die Reise in Olivias Unbewusstes schickt, mit dem berühmten “Der Weg ist das Ziel” ausdrücken dürfen.
Seit der ersten Staffel der US-Serie Fringe begleiten wir die Figuren auf ihrer Reise: zwischen den Welten, aber eben auch und vor allem zwischen den Welten in den Figuren selbst, zu ihnen selbst. In dieser Episode vollzieht Olivia (Anna Torv) einen entscheidenden Schritt. Oft muss man auf solchen Reisen “Gefährten” zurücklassen oder Abschied von ihnen nehmen, wenn diese ihre eigenen Reisen zu Ende geführt haben. Mit LSD (ich benutze einfach mal die Abkürzung) versprach man den Fans einen Auftritt von Leonard Nimoy aka William Bell, aber den haben sich bestimmt nicht viele so vorgestellt: als Zeichentrickfigur! „Belly, why are you a cartoon?“
Nachdem etliche Versuche misslingen, Bells Bewusstsein in einen anderen Körper zu transferieren, haben er und Walter (John Noble) eine Idee. Da ihnen die Zeit davon läuft und Olivias Existenz bedroht ist, entscheiden sie sich für eine Reise auf der Suche nach ihr – in deren Zuge sie Bell aus ihrem Bewusstsein extrahieren und in einen Computer überführen wollen. Der Rest ist Fringe-ception.
Die ersten Minuten in Olivias Kopf erinnern an die Szenen aus Christopher Nolans Film. Peter (Joshua Jackson), Walter und Bellivia begeben sich mit Hilfe von LSD in Olivias Unbewusstes, immer tiefer und tiefer – um dort mit ihren größten Ängsten konfrontiert zu werden. Bezeichnender Weise ist es Peter, der Olivia auf die Spur kommt: Wenn sie Angst hat, sagt er, dann zieht sie sich zurück. Und richtig: Olivia, als verängstigtes kleines Mädchen, versteckt sich noch immer hinter einer roten (!) Tür – vor dem bösen Stiefvater, einer hinterlistigen Nina Sharp, Zombies in Laborkitteln (The Walking Dead lassen grüßen) und einem unbekannten Mann mit einem kreuz-ähnlichen Symbol auf seinem T-Shirt.
Warum sind wir plötzlich in einem Trickfilm, fragt man sich als Zuschauer, als Peter und Walter Bells Büro in den Twin Towers betreten: Stand Leonard Nimoy persönlich nicht mehr zur Verfügung, oder wollten die Fringe-Produzenten einfach etwas “Cooles” machen? Reichte vielleicht einfach das Budget nicht hin für die action-geladenen Minuten? Noch wichtiger ist sicher die Frage, ob die Cartoon-Szenen als Live-Aufnahmen nicht stärkere emotional-dramatische Wirkung gehabt hätten? Wie dem auch sei: ob es uns nun gefallen hat oder nicht – man kann den Produzenten nicht den Mut absprechen, mit ihrem Medium zu spielen.
Die Reise in Olivias Kopf hat Bells Rolle in der ganzen Geschichte geklärt. Auf der Hand lag sie nicht: War Bells Präsenz überhaupt nötig? Was den Krieg der Universen betrifft, hat er ja nichts bewirkt. Aber wenn man etwas tiefer geht, sind Bells Wiederauftauchen und Abschied extrem wichtige Meilensteine auf dem Weg der restlichen Figuren.
„Now you possess the wisdom of humility“, sagt Bell zu Walter. „The decisions you make will be the right ones. The direction you chose to take will be just.“ An einem Scheideweg, kurz vor großen Entscheidungen und Ereignissen, brauchte Walter seinen alten Freund tatsächlich: aber nicht, wie er glaubte, um den richtigen Weg einschlagen zu können, sondern um über Bell den Weg zu sich selbst zu finden.
Wir werden in LSD Zeugen eines weiteren Abschieds, nämlich Olivias – von sich selbst. Sie überwindet eine Olivia, die sich nie von dem kleinen verängstigten Mädchen aus Jacksonville hatte verabschieden können.
Geschickt baut Fringe in diese emotionalen Episode humorvolle Momente ein, wie Peters Anmerkungen unter LSD-Einfluss über Broyles oder aber Broyles’ (Lance Reddick) Zustand selbst, als er durch Zufall die Drogen nimmt und den Rest der Episode mit herunter hängendem Kiefer verbringt. Er sieht beispielsweise einen Zeichentrickvogel auf Walters Schulter… aber auch sein Trip hat diesen versteckten ernsten Augenblick, den Zeitpunkt eines weiteren Abschieds von sich selbst als einem Anderen: „I saw death“, sagt er zu Astrid (Jasika Nicole), „and it was me.“
Zum Schluß gelingt der FOX-Serie wieder einmal ein Cliffhanger, der die Serie in die nächste Phase schickt. Auf Peters Frage, wer der Mann mit dem Kreuz auf dem T-Shirt in Olivias Unbewusstem war, antwortet Olivia erschreckend angstfrei, ruhig und gelassen: „I haven’t seen him before, but I think he’s the man who’s gonna kill me.“