Fringe: Letters Of Transit (4×19)

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I love LSD, sagt Walter in Letters Of Transit. Auch wir lieben die besonderen Fringe-Episoden, die in den letzten zwei Staffeln immer die Nummer 19 trugen. Man kann Walters Aussage als eine Referenz auf Lysergic Acid Diethylamide interpretieren, eine ‚besondere‘ Episode, was Handlung und Umsetzung betrifft. Damit meine ich das Bild, seine Beschaffenheit. Während man in LSD Animation einsetzte, nahmen uns die Bilder von Brown Betty, einer weiteren neunzehnten Episode, auf eine musikalische Film-Noir-Reise mit. Eigentlich kann man beide Episoden, nicht nur wegen Walters Vorliebe für “self-medication”, als “Trips” bezeichnen, als Reisen in den (T)Raum des menschlichen Unbewussten. Letters Of Transit hingegen unternimmt eine Zeitreise, stellt einen Brief aus der Zukunft dar. Und mit einem Brief beginnt denn auch die Episode: mit einer Erklärung, was in der Fringe-Welt passieren wird. Wir schreiben das Jahr 2036, und seit 21 Jahren gehört diese Welt den Observern.

Sie haben aufgehört zu beobachten und stattdessen die Kontrolle übernommen. Die erste Frage, die dieser plötzliche Sprung in die Zukunft aufwirft, lautet: Wie will Fringe die Kontrolle über all diese Plots bewahren? Wenn man einen Beweis dafür braucht, dass die Autoren definitiv auch über diese Staffel hinaus etwas zu erzählen haben, liefert ihn spätestens diese Episode. Ob man die Autoren lassen wird? Auf der einen Seite liefe man mit Fringes Absetzung natürlich Gefahr, Vieles viel zu offen zurückzulassen. Aber andererseits – liegt nicht Fringes Schönheit genau darin, zu zeigen, wie mannigfaltig die Welt sein kann mit all dem, was sich ereignet hat, ereignet und ereignen wird? Den eigenen Gedanken freien Lauf lassen und Genuss darin finden… Natürlich strebt man mit Erzählungen in aller Regel ein Ende an, einen Abschluss, denn der gibt Menschen Sicherheit; er befreit sie aber gleichzeitig davon, selbst denken zu müssen. Dabei kann man zwischen Erzählungen unterscheiden: Manche sind auf ein Ende hin angelegt und zeigen dem Zuschauer deutlich, dass der größte Genuss dieses Ende bieten wird. Andere, wie Fringe, sind wie eine Möbiusschleife, in der man immer wieder die Perspektive wechselt, wo man innerhalb der Wiederholung Verschiebungen ausgesetzt ist, also alles immer wieder “neu” sieht, “anders”.

Ganz egal, wie Fringe – beabsichtigt oder nicht – enden wird: Schon jetzt können wir der Serie als Ganzes bescheinigen, etliche faszinierende Wege gegangen zu sein, die aus pragmatischer Sicht nicht vollkommen erscheinen, die aber trotzdem durchgehend die Seele schweben lassen und das Herz erwärmen.

Es scheint so, als hätte Fringe mit dem neuerlichen Zeitsprung dieser Episode uns und sich selbst wieder einmal ins kalte Wasser geworfen. Aber trotzdem kommt doch alles auf das Fließen zurück, dessen Quelle Reiden Lake heißt. Manch ein Observer wurde fasziniert von dem Gemütszustand, den man Liebe nennt; für andere wiederum stellt er die höchste Gefahr dar. Liebe erschüttert den Kern etlicher Systeme, die die Welt im Griff behalten wollen – oder soll man sagen: die Welten? Ich bin mir nicht so sicher, in welcher Welt wir uns in dieser Episode befinden: der roten, der blauen, einer Kombination aus beiden? Der Vorspann jedenfalls, mit dem uns die FOX-Serie begrüsst, ist grau-blau (in meinen Augen) und voller Fringe-Wörter. Zugegeben: Wenn man davon ausgeht, dass in jeder der drei Fringe-Vorspann-Varianten (rot, blau, orange) Wörter auftauchen, die Fringe-Ereignisse bezeichnen, erscheint es zunächst verwunderlich, jetzt “Community, Individuality, Education, Imagination, Private Thought, Ownership, Free Will, Freedom” zu lesen.

Nachdem wir aber diese “neue”, von Observern und ihren Dienern beherrschten Welt für ein paar Minuten erleben durften, wissen wir, warum es sich auch diesmal um Fringe-Ereignisse handelt. Sie nämlich sind es nun, die unmöglich erscheinen in einer solchen Welt – und trotzdem erstrebenswert, trotzdem erreichbar. Gleichzeitig bezieht sich dieser Vorspann meiner Meinung nach auf unsere eigene reale Welt, die vielleicht einer ähnlichen Zukunft entgegen sieht…

Es gibt in der Fringe-Zukunft unter der Herrschaft der Observer eine Opposition, die direkt vor der Nase eines ziemlich gealterten Broyles operiert: nämlich im Kern der Fringe-Division. Wir lernen Simon (Henry Ian Cusick, Lost) und Henrietta (Georgia Haig) kennen, die mit einer ebenfalls alt gewordenen Nina (aus dem Wissenschaftsministerium) zusammenarbeiten und versuchen, die Fringe-Helden aus der Vergangenheit auferstehen zu lassen. Denn Walter & Co. haben sich absichtlich mit Hilfe von Amber in einen Dornröschenschlaf versetzt, um dem Massaker der Observer zu entkommen. Walter war damals offenbar im Begriff, eine Maschine zu bauen, die die Observer zerstören sollte. Aus diesem Grund ist ein gewisser Captain Winmark aus der Observer-Chefetage sehr daran interessiert, die “Resistance” auszulöschen. Wir erfahren, dass die Observer den Planeten im Jahre 2609 komplett vergiftet und zerstört haben; aus diesem Grunde reisten sie in der Zeit zurück, um neue Existenzmöglichkeiten zu ergreifen. Außerdem wird deutlich, dass jede mögliche Zukunft kaffeefrei sein wird, was sie in meinen Augen extrem ungenießbar macht…

Spaß beiseite und zurück zum gerade erwachten Walter, den Simon und Henrietta aus dem Amber befreien: Es ist ein kindlicher, fröhlicher Walter, den wir lieben gelernt haben; aber nur allzu rasch müsen wir dazulernen, dass ein solcher Walter die Welt nicht retten kann. Er scheint sich an nichts zu erinnern und genießt einfach die Sonne und das Balancieren auf einer Bank in der Nähe der Brücke. Dieses Bild ist nicht nur eine perfekte Beschreibung von ihm, sondern ein schönes Sinnbild für Fringe selbst. Fringe ist wie Walter: voller Melancholie, aber gleichzeitig voller Lebensfreude – und bemüht, nicht die Balance zu verlieren. Es sieht oft danach aus, als würde das geschehen, aber die Serie schafft es, aus diesem Balanceakt ihre Schönheit zu schöpfen. Gemäß Ninas Hinweis gehen Simon und Henrietta mit Walter zum alten MD-Gebäude und “verabreichen” Walter die damals auf seinen Wunsch entfernten Gehirnstückchen. Wir wussten, warum Walter Teile seines Hirns entfernen ließ, aber die Welt in der Zukunft braucht den Walter, der er nicht werden wollte: den Wissenschaftler, der um jeden Preis die Welt voranzutreiben bereit ist. Wieder einmal meistert John Noble diese Differenz, die Verschiebung innerhalb von Walters Identität – so, als würde der Figur eine Seite hinzugefügt, die gefehlt hat: sei es gut oder schlecht.

Genauso fehlt übrigens in dieser “neuen” Welt die Farbe. Die Farbpalette ist entsättigt, kalt. Die einzige Wärme strahlt das Amber aus – so auch in dem Raum, an den sich der ‚neue‘ Walter erinnert und wohin er Simon und Henrietta führt, um den Rest des Teams zu befreien. Übergänge, Brücken, Kommunikation; das Überbrücken der Entfernung zwischen einander, zwischen Welten, zwischen den Teilen des eigenen Selbst: das sind sich wiederholende Motive, an die man sich in diesem Raum erinnert. Letters Of Transit: Der Titel der Episode findet hier sein Bild, in den vielen Schreibmaschinen, die verstaubt herumstehen und genauso aussehen wie diejenigen, die man in Welt-2 zur Kommunikation benutzte.  Die nächste Überraschung wartet hier auf uns: Wir sehen auch William Bell im Amber gefangen! Simon opfert sich selbst, um das alte Fringe-Team zu befreien, aber es kommen nur Peter und Astrid heraus. Und Olivia? Wir sahen sie einmal sterben – handelt es sich hier um dieselbe Zeitlinie? Warum spricht Walter darüber, dass Bell Olivia etwas angetan habe? Deswegen jedenfalls befreit er Bell nicht aus dem Amber, sondern nimmt nur seine Hand mit – vermutlich wegen der Fingerabdrücke.

Und Henrietta? Hat der Observer-Agent Winmark recht mit seinen Worten: „Agent, you are always exactly what you seem“? Wir erinnern uns an Baby Henry, das Kind, das Fauxlivia und Peter bekamen und nicht bekommen sollten. Nun, Fringe darf vorstellen: Agent Henrietta ist das ehemalige Baby Henrietta, das Kind, das Peter mit Olivia haben sollte und allem Anschein nach auch bekommen hat. Vater und Tochter erkennen am Ende einander. Ist die Kugel, die Henrietta an einer Kette um den Hals trägt, diejenige, die Olivia tötete? Werden wir uns in den verbleibenden Episoden dieser vierten Staffel weiterhin in dieser untröstlichen Zukunft aufhalten? Fragen über Fragen… aber Fringe hat immer eine Antwort parat liegen, etwa ein Stückchen Lakritzstange, das Broyles findet. Fringe hinterlässt, “vergisst”, Sachen, aber es ist immer jemand da, um sie zu finden und ihnen Sinn zu verleihen: denn immer verweisen sie auf Ereignisse, denen man in irgendeiner Welt, in irgendeiner Zeit auf irgendeine Art und Weise schon begegnet ist. Spuren von Spuren von Spuren einer unendlichen Geschichte…

9 responses »

  1. Hilf mir mal schnell auf die Sprünge: Wo haben wir denn Olivia schon mal sterben sehen?

    Ich kann mich jetzt nur an diesen Herrn mit dem auffälligen T-Shirt aus der LSD-Folge der vorigen Staffel erinnern, der einmal Olivia töten wird.

  2. Ich meine mich zu erinnern, dass eine zukünftige Olivia stirbt – glaube im letzten Season-Finale. Hab ein Screenshot wie sie tot liegt zusammen mit ein paar Soldaten und die Körper bilder die Ziffer 9 🙂

  3. Also in “The Day We Died” stribt unsere Olivia, und September meint, dass er ihren Tod in jeder möglichen Zukunft gesehen hat.

  4. Super review, wie immer. 🙂
    Fringe schafft es immer, mich zu überraschen, das find ich klasse. Beim Bild von Bell im Amber entfuhr mir jedenfalls ein WTF?! 😀
    Übrigens war ich auch etwas geschockt über die Entwicklung von den Observern, ich hatte bis jetzt überhaupt nicht den Eindruck, dass sie böse sind oder sein könnten. Eher dass sie versuchen, die Welt in eine geordnete Bahn zu bringen – was sie ja letztendlich aus ihrer Sicht ja auch machen. Aber dass sie zu diesen emo-losen Nazis werden, das fand ich doch recht überraschend.
    Warum gibt es eigentlich keine weiblichen Observer? Reproduktion nicht notwendig?

  5. Hat eigentlich außer mir sonst noch jemand die Verkaufsstände mit Chilischoten und Tabascosauce extra für die Observer bemerkt? 😉

  6. Eine überraschende, aber willkommene Richtung, die eingeschlagen wurde. Diese bietet doch tatsächlich viel Stoff für eine weitere Staffel! Die Folge hat mir auf jeden Fall gut gefallen.

  7. Gute Folge, gute Rezension.

    Zwei Sachen haben mir an der Folge nicht so gut gefallen:

    – Muss denn jede Besatzungsmacht in der fernen Zukunft nazimäßig aussehen und gestaltet sein? Ist schon klar, dass das naheliegend ist, aber das haben wir doch schon so oft gesehen… Gibts da – der Vielfalt zuliebe – keine anderen Möglichkeiten? Ich glaube: doch.

    – Dass die Protagonistin der aktuellen Folge die Tochter von Olivia und Peter ist, war mit Abstand das Vorhersehbarste, das uns die Fringe-Welt bislang geboten hat.

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