Rubicon: First Day Of School (1×02)

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Im ersten Review über den Piloten fiel mir das treffende Wort für das von Rubicon vermittelte Gefühl nicht ein, aber jetzt weiß ich es: Nostalgisch! Aber nicht im Sinne von Tarkowkijs Film „Nostalgia“, der die Essenz, das pure Gefühl als einen Hauch vergangener und zukünftiger Träume inszenierte, sondern die Nostalgie als eine Liebeserklärung an die Zivilisation und an den menschlichen Verstand. Wie man als Zuschauer Rubicon wahrnimmt und schätzt, hängt nicht nur von der eigenen Disposition ab, sondern davon, was der Zuschauer von der Serie will.

Ja, es ist eine dieser Serien, in der man das Gesuchte auch finden wird. Oder auch nicht. Ich persönlich habe darin viel gefunden, nicht nur weil die brillanten Rubicon-Bilder mich in eine Art audiovisuellen Traumzustand versetzen, sondern weil mich das kaum vorhandene Tempo, das mühsame Voranschreiten der Serie, reflektieren lassen, über… Worüber eigentlich? Rubicon gibt noch keine Antwort. Aber zu diesem Zeitpunkt habe ich als Zuschauer auch keine nötig, denn glücklicherweise bin ich an die Serie nicht mit der Erwartung herangetreten, 24 oder „Bourne Identity“ zu sehen. Zum Glück.

Denn wer von Rubicon Action und eine Verschwörung erwartet, die schnell von einem Bösewicht zum nächsten springt, wird wenig Freude an der AMC-Produktion haben. Wer sich wiederum mit der schleichenden Erkenntnis auseinandersetzen will, dass der eigene Verstand der beste Freund und der größte Feind sein kann, ist hier goldrichtig. Rubicon ist eine dieser Serien, die dem Zuschauer den Raum lassen, ihre fiktionale Welt durch die eigene Reflektion mitzugestalten. Und die Serie reflektiert die Zuschauererfahrung: Wer sucht, der wird auch finden. American Policy Institute (API), die Organisation für die unsere Hauptfigur Will (James Badge Dale, 24 und The Pacific) arbeitet, durchsucht das Weltgeschehen nach Mustern und Hinweisen auf zukünftiges Unheil, um die Regierung rechtzeitig warnen zu können.

Will kommt ausgerechnet beim Lesen der Zeitung auf eine codierte Botschaft, die in den Kreuzworträtseln verborgen ist und mehrmals auftaucht. Rubicon verzichtet auf codierte Emails, Satellitenaufnahmen und Google. Die Serie präsentiert die Spionage-Arbeit als eine Hommage an alten Zeiten, als eine melancholische Erinnerung daran, dass diese Arbeit nicht nur ohne Glanz und Glamour verrichtet wird, sondern auch noch Gefahren für die eigene mentale Gesundheit birgt. Die Menschen, die für API arbeiten, sind selbst wie ein Code “geknackt”. Der eigene Kopf als Speicherplatz steht hier im Mittelpunkt. Der Prozess, wie Erfahrenes überarbeitet, interpretiert und eingesetzt wird (oder auch nicht), macht Rubicon aus und nicht das Ausspucken von Antworten mittels modernster Technologie, was dann zu Handlungen führt.

Die hemmungslose Langsamkeit dieses Prozesses wird auch durch die Hauptfigur vermittelt. Die Gesetzmäßigkeit dieser Welt lehrt uns, dass wenn Menschen sich an etwas erinnern wollen, sie automatisch langsamer gehen … Woran will sich Will Travers erinnern? An die Welt vor 9/11? An die Welt, als seine Familie noch am Leben war? Einer der großen Vorzüge der Serie liegt darin, genau diese schmerzhaften Erinnerungen nicht an die Oberfläche kommen zu lassen und ständig zu thematisieren. Will scheint in einer erinnerten Welt zu leben, aber die Rubicon-Welt, die vor unseren Augen entfaltet wird, ist ja eine erinnerte, in der Stift und Papier eine Bedeutung hatten.

James Badge Dale ist in meinen Augen schon nach zwei Episoden die absolut gelungene Besetzung, denn im Zentrum dieser Langsamkeit der Erzählung zu stehen, fordert eine Hauptfigur enorm heraus. Dale schafft es perfekt, den ständigen Denkprozess, in dem seine Figur verfangen ist, darzustellen und damit den Zuschauer miteinzubeziehen. Manche Kritiker werfen Rubicon vor, dass auch in der zweiten Episode nichts passieren würde. Aber das stimmt so nicht ganz, denn die Serie schafft für den Zuschauer (der sich darauf einlässt) ein Gefühl der ständigen Unruhe, beinahe Paranoia. Eine Paranoia, dass in der Serie ganz viel passiere, wir es nur nicht zu sehen bekommen.

Eine Szene aus The First Day of School beschreibt es am besten: Als Will nach Hause geht, wird er verfolgt und beobachtet. Er vermutet es, sieht es aber nicht. Dafür sehen wir es, die Zuschauer. Trotzdem geschieht wieder einmal nichts und wir werden alleine in der Nacht zurückgelassen, mit Blick über die Schulter. Mit Hilfe des in Rente gegangenen Analytikers Ed Bancroft (Roger Robinson) kann Will die Nachricht, die ihm von seinem verstorbenen Vorgesetzten und Mentor hinterlassen wurde, entziffern: „They Hide in Plain Sight“. Um wen handelt es sich? Was hat das mit dem Nebenplot um die Witwe (Miranda Richardson) des toten Bankers zu tun?

Es macht nicht nur Spaß, Will beim Lösen des Puzzles mit Buch, Stift und Papier zuzuschauen. Die zweite Episode gibt uns verstärkt das Gefühl, dass während Will auf das Puzzle konzentriert ist, die Serie selbst damit beschäftigt ist, schleichend eine größere aber anonyme Welt um ihn aufzubauen, die gerade durch ihre Anonymität das Gefühl der Angst suggeriert. Moderne Thriller mit spärlich beleuchteten Gassen und durch die Technik schnell zu treffende Entscheidungen lassen keinen Raum für Reflektion. Das Erfrischende an Rubicon ist, die Figuren (deren Namen man kaum erinnert) über ihre Welt reflektieren zu sehen. Trotzdem lässt einen das Gefühl nicht los, dass jede Sekunde etwas passieren kann. Es passiert zwar nichts, aber es ist da. Das Gefühl ist dem Bild eingeschrieben.

Die erste Szene aus The First Day of School ist ein vom Breaking Bads Kameramann „Michael Slovis“ brillant gefilmtes Beispiel dafür: Als Will auf der Brüstung des Dachs steht, wechselt die Kamera zwischen dem subjektiven Blickwinkel Wills und einem anderen neutralen: Von Jemandem, der nicht da ist. Wir sehen mit Wills Augen die verzerrten Spiegelungen an der gläsernen Gebäudewand. Und dann beobachten wir ihn, wie er diese Welt um sich betrachtet. Extreme Obersicht (Wills Blick) wechselt sich mit extremer Untersicht (Blick auf ihn auf der Brüstung) ab, Close-Ups mit Long Shots und dann springt er herunter … aber auf der Dachseite und geht in das Gebäude hinein.

Es ist nichts passiert, bis auf das in seinem Kopf.

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