Rubicon: The Outsider (1×04)

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Ich liebe es, wenn sich eine Serie Zeit nimmt: etwa für extreme Close-Ups von Kaffee, Kaffeebechern und Kaffee trinkenden Menschen. Als seinen Kaffee genießender Zuschauer fühle ich mich dann gut aufgehoben. Bei Rubicon fühlte ich mich seit dem Anfang der Serie irgendwie immer gut aufgehoben. Vielleicht liegt es daran, dass mir „Rubicon“ die nötige Ruhe gönnt für die Unmenge an Serien, die ich außerdem verfolge. Damit ist nicht das Guilty-Pleasure-Gefühl gemeint – mit Zurücklehnen und die-Serie-uns-unterhalten-Lassen:

Die AMC-Produktion übernimmt nicht das Denken für den Zuschauer, sondern kreiert einen audiovisuellen Raum, in dem der Zuschauer gerade wegen der sehr langsam voranschreitenden Handlung selbst voranschreiten, selbst auf Erkundung gehen muss, um Vorhandenes zu entdecken. Während die ersten drei Episoden sparsam und behutsam den Kontext der Ereignisse schildern, bewegt sich The Outsider nach innen – will sagen: ins Innenleben der Beteiligten, denn die Episode beschäftigt sich auf den ersten Blick wenig mit dem handlungsübergreifenden Erzählstrang um die globale Verschwörung.

Erst einmal geht es darum, was für Menschen in Wills Team arbeiten und wie wichtig Will (James Badge Dale) für sie ist. The Outsider erzählt parallel zwei Geschichten: Eine um Will und seinen Boss Truxton Spangler (Michael Cristofer), die nach Washington müssen, und eine zweite um Wills Team, das vor einer schweren Entscheidung steht: In Wills Abwesenheit muss man einen vermeintlichen Terroristen zum Abschuss frei geben.

Im Laufe der kompletten Episode können wir beobachten, wie die drei – Tanya (Lauren Hodges), Miles (Dallas Roberts) und Grant (Christopher Evan Welch) – unter dem Gewicht der Entscheidung fast in eine Art Agoniezustand verfallen. Auf visueller Ebene wird dieser zusätzlich hervorgehoben: Der Raum, in dem sich die drei befinden (Min. 12:07), wird fast immer aus der einen Ecke gefilmt, so dass unser Blick sich auf der Diagonalen bewegt. Die Lamellen der Jalousien wiederum bilden horizontale Linien, deren Bewegung Richtung Raumecke von der ebenso horizontalen Linie an der Wand verstärkt wird.

Man bekommt das Gefühl, als wolle die dunkle Raumecke, der Fluchtpunkt des Bildes, das komplette Bild einsaugen wollen. Die Neonröhren an der Decke bilden einen rechten Winkel zu den Lamellen und kreieren einen zusätzlichen Rahmen innerhalb des Bildes, was den Raum optisch verkleinert: seine Seiten drücken auf den „Rauminhalt“, drohen ihn zu ersticken. Grün und Schwarz sind hier die dominierenden Farben, bis auf den gelben Fleck (das Gelb der Schrift aus dem Vorspann) auf Grants Hemd, als er dem Chef die Entscheidung des Teams präsentiert.

The Outsider hat nach wie vor keine großen Enthüllungen oder Ereignisse zu präsentieren, sondern eine Reihe kleiner, feiner Charakter-Momente, die die Figuren in dieser Welt beschreiben. Rubicon leistet nach wie vor hervorragende Arbeit, was das Auffangen solcher flüchtigen Verbindungsmomente betrifft: Augenblicke des flüchtigen zwischenmenschlichen Kontakts in einer anonymen Welt, die einer Maschinerie gleicht. Es ist so, als würde man etwas Aufmerksamkeit Erregendes aus dem Zugfenster sehen: im nächsten Moment ist es schon wieder verschwunden.

Will bereitet sich am Anfang der Episode Kaffee, schaut hinüber zu der Frau in der gegenüberliegenden Wohnung, die ihn anlächelt. Katherine (Miranda Richardson in der Rolle der Witwe) bricht über der Kiste mit dem Beweismaterial, dem blutigen Mantel ihres verstorbenen Ehemannes Tom, zusammen. Aber auf Toms Mailbox hört sie eine Nachricht, die sie stutzig macht und einige Zeit später in ein chinesisches Restaurant mit Lieferservice führt. – Der Nebenplot um Katherine ist übrigens meiner Meinung nach die einzige Geschichte, die ihre Schwachstellen hat und mit fortlaufender Dauer tatsächlich einen Schritt nach vorne bräuchte, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu verdienen.

Unsere volle Aufmerksamkeit zieht Wills und Truxtons kleine Reise auf sich: mit dem Zug und nicht mit dem Flugzeug, in warmen Farben getaucht. Bisher hatten wir kaum den Namen des API-Chefs erfahren – und schon gar nicht irgendwelche Details über ihn. In einer Reihe grandioser Szenen mit Truxton – die etwa seine Aktentaschen-Obsession betreffen oder seine Rede über die Krawatte des Ausschussvorsitzenden – gelingt es Rubicon, Truxton ein Gesicht zu verleihen, die Zuschauer ihn mögen zu lassen.

Er hat eine Tochter und einen Sohn. Wo studiert der Sohn? Keine Namen. Perfekt wurde inszeniert, wie Will im Laufe des Aufenthalts auf Menschen trifft und Details über ihr Leben erfährt – aber nie Namen. Die Einsamkeit in dieser Branche, auf die Truxton zu sprechen kommt, braucht, ja verträgt keine Namen. Will fühlt sich zwar wie ein Outsider, aber gerade das macht ihn laut Truxton so brillant und nützlich. Wem würde man eher vertrauen, dem Analytiker ohne Namen oder der eigenen Ehefrau, wenn es um die Einschätzung der eigenen Person geht?

Nach dieser Episode wirkt Truxton nicht nur humaner, sondern wir sehen, dass hinter seiner scheinbaren Unbeholfenheit ein brillanter Spieler steckt. Seine Auffassung vom Job ist es, das letzte Wort zu haben, den anderen auszuspielen und das Spiel zu gewinnen. Natürlich stellt man sich die Frage, auf welcher Seite er selbst steht – aber: gibt es in Rubicon „Seiten“? Die Serie steht nicht mitten im Kampf „Gut gegen Böse“ in der Spionagewelt, sondern sie versucht, ÜBER diese Welt zu erzählen, so wie The Shield oder The Wire ÜBER die Welt der Kriminalität erzählten. Damit sind wir Zuschauer die eigentlichen Outsider, die die Einsamkeit und den langsamen Blick lernen müssen.

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