Nach dem Finale der vierten Staffel können wir sagen: Ein geniales Finale einer genialen Staffel. Das ist die Tatsache: Grün auf weiß. Und mit dieser Farbkombination steigen wir direkt ins Finale ein, als Walter (Bryan Cranston) verzweifelt unter Gus’ Auto kriecht, um die Bombe zu entschärfen. Danach nimmt er sie in einer Damen-Umhängetasche (war es wirklich Skylers Wickeltasche?) mit ins Krankenhaus, wo er Jesse aufsucht.
Breakings Bads nächstes Täuschungsmanöver steckt in der Atmosphäre, die in der ersten Episodenhälfte erzeugt wird. Walters Hektik und Tollpatschigkeit erinnern sehr an die erste Staffel, als er mit Jesse ins Geschäft einstieg und anfangs von einer prekären Situation in die nächste stolperte. Irgendwie scheint sich hier ein Kreis zu schließen; diesen Eindruck bestärken in meinen Augen die Slapstickeinlagen der ersten Episodenhälfte – zum Beispiel Walters Hereinstürmen in Sauls Büro und sein Standoff mit Sauls Empfangsdame.
Dann aber kommen Walters Worte an Skyler (Anna Gunn) endgültig zum Tragen. Er behauptete, er sei nun derjenige, der an die Tür klopfe. Was uns Breaking Bads Autoren in dem Verlauf dieser Staffel fast vergessen machten, ist Walters Überlebenswille und seine unglaubliche Eigenschaft, Entscheidungen zu rechtfertigen. Wir sahen ihn gezwungen, eine Ohrfeige nach der anderen hinzunehmen, eine Niederlage nach der anderen einzustecken – bis er tatsächlich aufzugeben schien. Er wartete an seinem Pool auf den Tod. Und fand ihn – aber nicht seinen eigenen, sondern den von Gus.
Ich hoffe inständig, dass alle von euch das Finale gesehen haben, denn von nun an steht die Enthüllung am Ende im Zentrum dieses Reviews. Es wurde viel diskutiert, was die Szene mit Walter am Pool bedeuten mochte, als er mehrmals seinen Revolver auf dem Tisch kreisen ließ wie beim Flaschendrehen. Nach dem letzten Bild dieser Episode wissen wir Bescheid. Obwohl ich geneigt bin zu glauben, dass eine Seite von Walter damals tatsächlich aufgab und auf die letzte tödliche Auseinandersetzung wartete, nahm doch die andere Hälfte (Heisenberg?) Überhand. Diese Hälfte suchte nach einer Überlebensmöglichkeit und fand sie, als der Revolver bei der letzten Drehung auf eine weiß-grüne Blume zeigte: Lily of the Valley (Maiglöckchen).
Während Jesse (Aaron Paul) wegen seines Rizin-Hinweises von zwei Detectives verhört wird, läuft Walter die Zeit davon. Er braucht dringend Geld, um Sauls Empfangsdame zu bezahlen, damit sie seine Telefonnummer herausrückt. Als er seine alte Nachbarin Becky (übrigens gespielt von Vince Gilligans Mutter!) anruft und unter einem Vorwand in sein Haus schickt, um zu erkunden, ob die Luft rein ist, erleben wir wieder den kalkulierenden Walter, der alles und jeden ausnutzt, um am Leben zu bleiben.
Und wir gelangen damit wieder an einen Punkt, wo Breaking Bads chemische Formel vollständig aufgeht. Nachdem Saul zuerst Jesse frei bekommen hat (Saul: „What’d you tell him?“ Jesse: „I told them they were a couple of dicks.“ Saul, zu den Detectives: „He’s a wordsmith!“), trifft er sich mit Walter und reaktiviert, ohne es zu wollen oder zu merken, Walters Mordpläne für Gus. Saul erzählt ihm von Gus’ Besuchen bei Tio und der gemeinsamen Vergangenheit der beiden.
Wir wissen, dass Walter nicht über Gus’ Ressourcen verfügt; das machte ihn eine Zeitlang hilflos – aber Walter ist ein brillanter Chemiker, der sowohl chemische Substanzen zu Meth reagieren lassen als auch die emotionalen Reaktionen Anderer berechnen kann. Er stattet Tio einen Besuch ab und bietet ihm an, den gemeinsamen Erzfeind gemeinsam zu beseitigen. Der Rest ist Wortspiel – und ein Spiel seitens Breaking Bad mit uns Zuschauern.
Aber bevor wir zu Walters Endgame übergehen, muss ich einfach Mark Margolis’ (Tio) Leistung erwähnen: Was alles er nur mit Hilfe seiner Augen und Lippen zum Ausdruck bringt, ist faszinierend! Genauso faszinierend, wie Breaking Bad sich jedes Mal Zeit nimmt, um diesen Emotionen freien Raum zum Entfalten zu geben, so dass sie, geballt und plötzlich, die Handlung vorantreiben und nicht umgekehrt. Mit Hilfe einer Buchstabentafel macht Tio seiner Pflegerin klar, dass er zur DEA will, wo er dann ausschließlich mit Hank zu sprechen wünscht. Vor versammelter Mannschaft kommt Folgendes zustande: SUCK MY und FUC. Immerhin… Warum aber dieses Schauspiel?
Ganz einfach: Um Gus aus seiner sicheren Reserve zu locken, der annehmen muss, Tio habe gesungen. Walter nutzt gleichsam die Triebkraft dessen aus, was er als stärkste Emotion in seinem Gegenüber erkennt. Lange dachte er, bei Gus gäbe es keine solche, aber es gibt sie doch: seine Liebe zu Max, die in Hass auf Tio umgeschlagen ist – und umgekehrt Tios Hass auf Gus.
Zu den Klängen von Apparats “Goodbye” betritt Gus (Giancarlo Esposito) das Pflegeheim Casa Tranquila. Währenddessen wartet Walter im grünen Hemd in einem weißen Toyota: als grün-weiße, tödliche Blume. Zwar vorhersehbar, aber eher herbeigesehnt erfolgt nun die Explosion der Bombe, die Tio mit Hilfe seiner Klingel aktiviert und sowohl Tyrus als auch Gus mit in den Tod reißt. Dennoch bekommt Gus den Abgang, den ihm die Serie schuldet: Er schafft es noch, wie ein untoter Roboter aus dem Zimmer zu gehen und sein Jackett zuzuknöpfen, während die Kamera eine Drehung vollzieht und uns seine fehlende Gesichtshälfte zeigt, bevor er tot zu Boden fällt. Face Off.
Genauso zeigt Walter seine andere Gesichtshälfte (Heisenbergs: diejenige, die ihn am Leben erhält), als er gemeinsam mit Jesse das Labor und alle Spuren vernichtet hat und die beiden einander auf dem Dachparkplatz die Hände schütteln. Erleichtert verkündet Jesse, dass Brock überleben werde, und ergänzt leicht verwirrt, dass nicht Rizin die Vergiftung verursacht habe, sondern die süßen Beeren einer bestimmten Blume, genannt Lily of the Valley. Auch Walter ist erleichtert – aber nicht verwirrt. Wieder einmal – auch hier schließt sich der Kreis – hat er Jesses Gutherzigkeit zum eigenen Vorteil ausgespielt.
Walter selbst hat Brock vergiftet; er war bereit, den Jungen zu opfern, um sein Spiel in Bewegung zu setzen und das eigene Leben zu retten. Und selbst der Umstand, dass Jesse in seiner ersten verzweifelten Wut zu Recht Walter verdächtigen und ihn deshalb aufsuchen würde, hatte seinen wohl berechneten Platz in Walters Plan.
Als Jesse gegangen ist, ruft Walter Skyler an, die gemeinsam mit der Familie in Hanks Haus die Nachrichten verfolgt.
Skyler: „Was this you? What happened?“
Walt: „I won.“
Danach fährt die Kamera in den Hinterhof der Familie White und verharrt am Rande des Swimming Pools. Bei einem ganz bestimmten Blumentopf, an dem Breaking Bads Perfektion in Grün-Weiß bewundert werden kann…
Krasse Entwicklung von Walter! Seine Moral heißt Überleben um jeden Preis! Nun heißt es warten……
Nach langem Suchen endlich die Reviews von Hr. Tinchev wieder gefunden 🙂 War der Hauptgrund für meine Besuche auf serienjunkies 🙂
Warte schon gespannt auf deine Reviews von den neuen Breaking Bad Folgen 🙂
Und ja, es ist schon krass wie Walt sich zum skrupellosen Typ gewandelt hat.