Breaking Bad: Fly (3×10)

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An erster Stelle muss man versuchen, genau das zu tun, wofür Fly steht: Die Gedanken sammeln, zusammenfassen, Fragen beantworten: „Why am I doing this?“ Die zentrale Frage, die in dieser Staffel erhoben wird, kann nicht beantwortet werden. Der Punkt, der Moment der Antwort ist verpasst und man jagt ihm nur noch nach. Fly ist ein Kammerspiel, wie wir es bei Breaking Bad jeweils einmal in jeder Staffel hatten. Nur Walt (Bryan Cranston) und Jesse (Aaron Paul) – und die Fliege… Breaking Bad spart mit dieser Episode nicht nur Produktionskosten, sondern fasst die Gemütszustände ihrer Figuren zusammen, während sie aus der Obersicht (Fliegenperspektive) gezeigt werden, wie sie sich in roten Schutzanzügen über den roten Fußboden des Labors bewegen, um ihre „Küche“ zu putzen! So viel Rot ist nicht zufällig, genau wie alles Andere bei Breaking Bad nicht dem Zufall überlassen wird!

Walts Paranoia in dieser Episode spiegelt meine eigene Paranoia mit der Serie selbst wieder: „Contamination!“ Ich weiß, dass für manche das Eintauchen in die Details, das Dekonstruieren jedes kleinen Stückchens Breaking Bads, jeder Erzählminute, vielleicht zu viel des Guten erscheint. Aber ich kann mir selbst nicht helfen. Aus diesem Grund wird das Review fertig, wenn es fertig wird. Nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt und nicht bevor ich jeden potentiellen Gedankengang entworfen hab, der Euch vielleicht auf weitere Gedanken bringt und … „There must exist certain words in a certain specific order that would explain all this.“

Ja, Walt, und ich suche gerade danach. Über Breaking Bad schreiben ist immer zu viel geschrieben. Wenn man mehr als einen Satz produziert hat, dann ist der perfekte Zeitpunkt, um aufzuhören, verpasst. „Hush, little baby, don’t say a word …“, hören wir im Teaser Skys (Anna Gunn) Stimme singen. Und die Bilder? Die sind verwischt, dann wieder scharf, die Bildteile krabbeln wie eigenständige Einheiten durchs Bild und verursachen ein Gefühl der Unruhe, einer paranoiden Klaustrophobie, wie wenn man das Bild verlassen wollen würde und nicht könnte. Eingesperrt sein, in dem eigenen Kopf. Sind es Teile eines Auges, von Glas, von Insektenfüßen, Insektenaugen? Schnitt.

Wie schon immer bei Breaking Bad ist im Teaser alles gesagt bzw. erzählt. Alles Restliche ist zu viel erzählt. Aber genau dieses Zuviel ruft das Mehr-Genießen für den Zuschauer hervor, genau wie ich mit dem Text versuche, ein Mehr-Genießen in Eure Breaking Bad-Erfahrung zu bringen, obwohl ein Satz reichen würde. Die Bilder, die wir im Teaser sehen, sind aus einer Szene aus der Mitte der Episode, nur hier aus einem extremen Close-Up gezeigt, als Walt auf dem Boden liegt und die Fliege auf seiner Brille krabbelt. Welche Fliege? Die Fliege, die als dieses Störungselement Breaking Bads metaphorische Erzählsprache in neue Dimensionen bringt. Es ist die Fliege, die plötzlich im Labor auftaucht und Walt in den Wahnsinn treibt. Sie lässt sich nicht entfernen. Sie kontaminiert sein Labor, seine Arbeit, meint er. Aber sie kontaminiert eigentlich sein ganzes Leben.

Ob man die Fliege sogar als ein Verweis auf den Tod und den Zerfall, die Walt über seine Mitmenschen gebracht hat, sieht, ist dem eigenen Blick überlassen. Die Fliege zeigt Walt mit ihrer Anwesenheit, dass seine sterile Umgebung, nicht absolut steril ist, dass er sie nicht absolut unter Kontrolle behalten kann. Genauso wie er Jesse nicht ganz unter Kontrolle hat, und dieser Meth entwendet. Diese Tatsache wird Walt bewusst und er macht sich tatsächlich Sorgen, was mit Jesse passieren könnte, falls Gus’ Leute ihn erwischen würden.

Die Fliege ist dieses Zuviel für Walt, sie ist der Punkt, von dem er schon angeblickt wird und dadurch den Halt, seine Position verliert. Mehr oder weniger nimmt Walt die Position eines Entomologen ein, der die Insekten beobachtet, aber zur Beute seines eigenen Blicks wird, wenn eines seiner Exemplare den Blick erwidert. Die Hartnäckigkeit, mit der die Fliege alle Attacken von Walt überlebt, ist eine Spiegelung der Hartnäckigkeit, mit der Walters Flug vom krebskranken Familienvater zum großen Drogengeschäft sich wie von alleine fortführt, selbst reproduziert, um immer weiter Schäden anzurichten. In einem von mehreren grandiosen Monologen in dieser Episode stellt Walt fest, dass er den Punkt verpasst hat, den perfekten Moment, um aufzuhören. Um zu sterben.

„I had to have enough to leave them; that was the whole point. You want them to actually miss you“, sagt er. Er ist an diesem Punkt vorbei gegangen. Und die Serie lässt es sich nicht nehmen, um ihre visuelle Metapher immer wieder ins Spiel zu bringen: Den Weg gehen, den Weg entlang schleichen, krabbeln und den Weg aufgeben wollen. Genau wie die aufgehägten Schuhe in einem der Teaser dieser Staffel, hängt Walts Schuh an der Deckenlampe im Labor, nach einem weiteren vergeblichen Versuch die Fliege zu erwischen. Und eine der letzten Aufnahmen zeigt uns aus der Froschperspektive Walters Schuhe neben dem Sofa, auf das Jesse ihn schlafen lägt. Die Schuhe sind im Vordergrund, während man Jesse im Hintergrund die Meth-Produktion starten sieht, nachdem er die Fliege erledigt: „No end in sight. I’m sorry!“

Die zwei Sätze von Walter gehören zwar zu unterschiedlichen Szenen, aber wenn man sie zusammenführt, hat man eigentlich Walts Wunsch zusammengefasst, nämlich Jesse um Verzeihung zu bitten. Was Jesse als ein Akt der Sympathie von dem durch Jesse selbst heimlich mit Schlaftabletten vollgepumpten Walter sieht, ist eine Bitte um Verzeihung, dass Walt in DER Nacht damals überhaupt die Wohnung verlassen hat, um zu Jesse und Jane zu gehen und noch zufällig auf Donald zu treffen. Nichts ist zufällig: „It’s all contaminated!“ In dem Moment, als Walt endlich zu Hause einzuschlafen versucht, ist die Fliege wieder da. Sie sitzt genau auf dem roten Lämpchen an der Wand, sie insistiert in ihrer im roten Licht getauchten Existenz: „Hush, little baby, don’t say a word …“

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