Ich kann die erste Episode der dritten Breaking Bad-Staffel folgendermaßen beschreiben und dann auch aufhören: Wunderschön! Allerdings es macht viel zu viel Spaß auch die kleinsten Details in den perfekt orchestrierten Bildern zu benennen und besprechen. No Mas heißt diese Episode. Nicht mehr! Nicht mehr Meth produzieren? Nicht mehr von Walt, seitens seiner Familie, hören wollen? Nicht mehr Heisenberg, seitens des mexikanischen Kartels, ertragen können? Nicht mehr vor dem, was man geworden ist, weglaufen können? Im Gegenteil: Bitte mehr davon!
Die von Vince Gilligan geschriebene und Bryan Cranston inszenierte Episode spielt nicht nur anhand des Titels wieder mal ein Wechselbad-der-Gefühle-Spielchen mit den Zuschauern, bei dem man „Nicht mehr“ sagen kann, aber es nicht will oder nicht meint, wenn man es sagt. Genauso wie Walter zum Meth-Kochen „nicht mehr“ sagt, aber ob er das wirklich meint?
Wie immer fasst man diese Problematik mit audiovisueller Brillanz in einem der allerersten Bilder der Episode zusammen: Walter fängt an, das ganze Geld neben seinem Pool im Grill zu verbrennen. Kurz davor erleben wir die komplette Berichterstattung über die 737-Tragödie aus den Augen Walts, denn in dem jetzt verlassenen Sessel, den wir durch die Kameraeinstellung eingenommen hatten, saß vorher Walt. Aber er kann das Geld doch nicht verbrennen lassen. Er löscht das Feuer mit seinem Bademantel, wirft alles in den Pool und springt selbst rein. Die Geräusche bzw. die Austauschgeräusche zwischen Geld und türkisem Wasser erinnern an die Geräusche aus Walts Chemo.
Breaking Bad ist eine Serie, die nicht nur großen Wert auf die Zusammensetzung der perfekten Geräuschkulisse für jede Szene legt, sondern auch auf die farbliche Inszenierung. Am Anfang der Episode haben wir das türkise Wasser von Walts Pool und das glühende und gleichzeitig schäbige Gelb der mexikansichen Wüste. Und in dieser Wüste ereignet sich Seltsames, bei dem zwei schweigende glatzköpfige Männer eine übergeordnete Rolle zu spielen scheinen. Bewundernswert im Vergleich zu anderen Produktionen, wie man die beiden Figuren die komplette Episode kein Wort sagen lässt, wir von niemandem eine Erklärung über sie bekommen und trotzdem wissen: Santa Muerte und das Drogenkartell.
Ja, wir begegnen den Figuren während sie zusammen mit anderen Menschen zu einer heiligen Stätte kriechen. Ja, kriechen ist hier buchstäblich gemeint. Es ist eine Art Pilgerreise, die mit dem Kult Santa Muerte zu tun hat. Die beiden steigen aus ihrem Mercedes, legen sich in ihren schicken Anzügen auf den Boden und kriechen wie die anderen mexikanischen Bauer. In der Heiligen Stätte, wo ein Skelett beschmückt mit Kerzen und Blumen den Heiligen Tod symbolisiert, hinterlegen sie ein Blatt mit dem skizzenartig gezeichneten Gesicht von Heisenberg. Ist damit Heinsenbergs Schicksal besiegelt? Ist das ein Versprechen? Ein Geschenk im Sinne nicht nur des Rituals, sondern des mexikanischen Drogenkartells?
In der Zwischenzeit betrauert die ABQ-Bevölkerung den (Heiligen) Tod von 176 Menschen bei dem 737-Unfall. Und nur einer kann es rechtfertigen: Walter White! Später in der Episode sagt er zu Jesse: „I blame the government!“ Vor der versammelten Schule redet er davon, dass man auch Gutes in der Sache sehen kann („Look on the bright side.“) – es hätten ja mehr Menschen sterben können, wie bei den anderen 53 Flugzeugunfällen! „737 over ABQ“ ist damit nur auf Platz 54. Also nicht so schlimm: „People move on. They just move on. And we will move on. We will get past this. Because that is what human beings do. We survive. We survive and we overcome.“
No Mas ist eine Episode über Walts Verarbeitung des Unfalls, der Schuld, die sich im Auge des rosa Teddys spiegelt, das Walt im Poolfilter findet und mitnimmt. Danach rollt ihm das Auge unters Bett, als es an der Tür seiner neuen Wohnung, in die er mit der Hilfe vom ratlosen Hank umgezogen ist, klingelt. Skyler (Anna Gunn) bringt ihm nicht nur die Scheidungspapiere, sondern auch die Schlussfolgerung über sein Verhalten und sein Tun: „You are a drug dealer.“ Walt: „Methamphetamin. But I am not a dealer. I manifacture.“ Man sieht an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie doch gehofft hat, mit ihrer Vermutung falsch zu liegen.
Stattdessen gibt es Walt zu und ihr bleibt nichts übrig als ihn mit diesem Geheimnis zu erpressen, damit er die Papiere unterschreibt. An dieser Stelle sieht man, warum Bryan Cranston ganze zwei Emmys bekommen hat: Seine Darstellung des verzweifelten Walts, der im Grunde genommen gar nicht versteht oder verstehen will, warum seine Frau ihn verlässt, ist grandios. Genauso grandios, wie jedes Bild in Breaking Bad. Ich liebe die kurzen Bildausschnitte, die auf den ersten Blick unbedeutend und zusammenhangslos erscheinen, aber für die Erzählung und vor allem die Stimmung sehr wichtig sind und immer wieder dazwischen geschaltet werden, wie das von dem Stückchen Polizeiabsperrband (gefilmt aus der Untersicht), das vom Wind den Bordstein entlang geweht wird.
Vom Winde verweht scheint Walter Jr. (RJ Mitte), dem keiner irgendwas erzählt, und der nicht nachvollziehen kann, warum diese Familienwelt, die mit Walts Genesungsprozess so heil zu werden verprach, jetzt auseinanderbricht und er von dem Vater, dem er anfing, Respekt entgegenzubringen, getrennt wird. Jesse wiederum „got it“. Er wird während seines Entzugs von der Vorstellung getrennt, die Welt und sich als heil zu betrachten, er akzeptiert sich selbst als „bad guy“. Und das ist es, was Walter nicht kann und will: „I am not a criminal“, sagt er zu Gustavo (Giancarlo Esposito), als er ihm mitzuteilen versucht, dass er aufhören will.
Genau an dieser Stelle (Min. 40:30) haben wir ein schönes Beispiel für Breakings Bads audiovisuelle Erzählkunst. Als die beiden reden, zeigt die Kamera sie vom anderen Tisch aus, so dass die beiden von der runden Stuhllehne getrennt zu sein scheinen, was ja Walts Worten entspricht. Aber gleichzeitig bildet diese runde Lehne einen geschmeidigen, fließenden Übergang zwischen den beiden, eine Art Brücke, die eher den Eindruck von Harmonie, Einigung, Verständnis als von Trennung vermittelt. Das Bild ist harmonisch und gerät zu keinem Zeitpunkt aus den “Fugen”.
So wie eins der letzten Bilder in dieser Episode, als das stille Pärchen an der amerikanisch-mexikanischen Grenze einen Truck voller Menschen niedermetzelt, da ein Junge sie erkannt hat (als was?), und dann in die Luft jagt. Übrigens laut Produzenten wurde hier nicht mit CG gespielt und der LKW explodierte tatsächlich ein paar Meter hinter den Rücken der Schauspieler. Die brennenden Teile, die teilweise um die beiden herum fielen, wurden wirklich gefilmt und nicht hinzugefügt. Der Regie führende Bryan Cranston soll die beiden (gespielt von Luis und Daniel Moncada) gebeten haben, wenn möglich, nicht zu zucken, denn man würde die Szene nur einmal filmen können. Und sie haben nicht gezuckt. Da kann man nur sagen: Mein lieber Santa Muerte!
Bevor ich Euch die Bühne für Kommentare überlasse, eine Frage: Sind die beiden noch zu retten? Und damit sind nicht die Muerte-Typen gemeint, sondern Walt und Jesse. Diese Episode liefert die Antwort:
No Mas.