Ein Zusammentreffen alter Bekannter auf mehreren Ebenen findet in Justifieds Cut Ties statt. Eigentlich kann man die Episode als Stand-Alone-Stück bezeichnen, wie wir in der ersten Justified-Staffel und am Anfang der zweiten viele sahen. Obwohl man bei kaum einer Episode von einem reinen Fall der Woche sprechen kann, seit Boyd damals die Serienwelt wieder betrat – wir erinnern uns: Eigentlich sollte die Figur im Piloten sterben…
In der letzten Szene von Cut Ties wird ein Schwein filetiert, und anhand dessen können wir den generellen Verlauf der Justified-Staffeln beschreiben. Ob die Episoden nun einen Fall der Woche behandeln oder handlungsübergreifenden Plots gewidmet sind: die Justified-Erzählung gleicht dem geübten Abschneiden von Filetstücken, ohne mit dem scharfen Messer an einen Knochen zu geraten und ins Stocken zu kommen. Ein Verlauf wie ein Gleiten, dem aber immer ein heftiges Hineinrammen des Messers ins Fleisch vorausgeht, mit dem man den Punkt und damit den Anfang des Erzählschnitts festlegt.
Das geschah bislang in der Einführungsepisode einer Staffel, aber in dieser dritten hat man das Fixieren des Punktes auf The Gunfighter und Cut Ties verteilt. Letzte Woche lernten wir den Mann aus Detroit kennen, der Arnett beseitigte und mit Harlan etwas vorzuhaben scheint; jetzt führen die Autoren eine weitere interessante Figur ein, die uns mit einer in diesem Winkel der USA recht spärlich vertretenen Bevölkerungsgruppe in Kontakt bringt: der schwarzen Community. Es handelt sich um einen gewissen Ellstin Limehouse (Mykelti Williamson, der zum Cast der abgesetzten Graham-Yost-Serie Boomtown gehörte, so wie auch Neal McDonough).
Er ist ein alter Freund der Bennett-Familie, und Mags hat ihm ihr gesamtes Vermögen anvertraut. Limehouse scheint in der Justified-Erzählung in Mags’ Fußstapfen zu treten. Er repräsentiert eine alteingesessene kriminelle Organisation, während Robert Quarles (Neal McDonough) von außen in diese Welt eingreift. Ob sie als Gegner fungieren werden, bleibt abzuwarten.
Boyd jedenfalls scheint die Variable zu bleiben, die Wildcard, mit der jeder Spieler zu rechnen hat. Boyd (Walton Goggins) selbst muss nur mit einem rechnen, nämlich mit seinem alten Freund Raylan Givens (Timothy Olyphant). Als solcher besucht er Boyd im Gefängnis, um sich von ihm Rat in Sachen Selbsterkenntnis und Beziehungsproblematik zu holen: „I have not been myself, Boyd.“ Dabei fragt er: was für ein Mann lässt sich von seiner Frau scheiden, kommt wieder zu ihr, schwängert sie und will dann mit ihr zusammenziehen?
Die Antwort: „Well now, Raylan, you’re talking to a man who’s sleeping with his dead brother’s widow and murderess. You’ve come to the wrong sinner…“ Natürlich findet diese Unterhaltung in extremen Close-Ups der beiden statt, wie wir es von solchen Szenen in Justified kennen. Gegen Ende des Gesprächs verdeckt der Kopf des einen Gesprächspartners als dunkler Schatten das halbe Gesicht des anderen, und so liegt auch der Kern der Unterhaltung im Schatten, wird nicht direkt angesprochen. Boyds Pläne reichen weiter, als wir dachten: Er will nicht nur Dickie, sondern auch Mags’ Geld – und trotz der Steine, die ihm Raylan in den Weg legt, winkt ihm beides.
Der einzige Haken: natürlich nicht Dickie, sondern eben Limehouse. Wie wir durch dessen Monolog sehen und hören, weiß er mit Haken umzugehen, sowohl mit tatsächlichen als auch mit metaphorischen, wie sie ein guter Rhetoriker zu nutzen weiß. Die Szene erinnerte mich sehr an Boardwalk Empire und die Parabeln, die sich die Figuren dort so gern erzählen, aber auch an die Einführungsszene von Tywin Lannister in Game of Thrones, in der er den Hirsch ausnimmt und filetiert. Wie Mags ihre Probleme mit einem bewährten Hausrezept zu beseitigen pflegte, nämlich „apple pie moonshine“, so besitzt auch Limehouse eines – Lauge.
Übrigens: Auch Art (Nick Searchy) kennt ein Rezept aus alten Zeiten, das in manchen Situationen weiterhilft… Cut Ties ist mehr oder weniger eine Art-Episode, so wie es Blaze of Glory war. Als bisher einzigen von Raylans Kollegen hebt Justified Art immer wieder einmal heraus, lässt ihn lebendig erscheinen und zum Einsatz kommen. Dieses Mal wird einer seiner alten Marshal-Freunde getötet, der beim Zeugenschutzprogramm tätig war.
Also ist One-Man-Action angesagt für Art, wobei er vor “traditionellen” Verhörmethoden nicht zurückscheut: „You have the right to remain silent, so long as you can stand the pain.“ Die Ereignisse um diesen Plot rufen den Assistant Director des Marshal-Service auf den Plan, Karen Goodall (Carla Gugino) – oder, für Kenner von Elmore Leonards Werken: Karen Sisco.
Das bietet Gelegenheit für einen Insider-Witz: Lustigerweise wird Karen Goodall, Raylans Ex-Kollegin und alte Flamme aus Miami, von Carla Gugino verkörpert, der Darstellerin, die in der gleichnamigen kurzlebigen ABC-Serie Karen Sisco spielte. Raylan fragt Karen nach ihrem Nachnamen, Goodall: denn er kannte sie unter einem anderen (Sisco)! Goodall antwortet, sie sei verheiratet gewesen, allerdings nur zwei Monate lang. Ein Seitenhieb auf Karen Siscos Absetzung?
Goodall benutzt einen Schlagstock, wie es Jennifer Lopez als Karen Sisco im Soderbergh-Film „Out of Sight“ zu tun pflegte. Ansonsten bleibt sie in dieser Episode eine nette Referenz – mehr nicht. Ob Karen wieder auftaucht? Da wir gerade beim Thema Beziehungen bzw. alte Freundschaften sind, können wir den Kreis hinsichtlich des Boyd-Raylan-Gesprächs vom Anfang der Episode schließen und feststellen, dass beide Paare – Raylan / Winona und Boyd / Ava – in einem neuen Licht zu sehen sind.
Nicht unbedingt wegen Raylans und Winonas Positionierung im Wege des durch die Gebäudefenster strömenden Lichts, sondern wegen des neuartigen Umgangs miteinander. Das frühere Misstrauen und die Unsicherheit scheinen humorvollem Flirten und gegenseitigem Vertrauen gewichen zu sein – so, als hätten sich die Partner mit dem So-Sein des / der jeweils anderen abgefunden und könnten souverän damit umgehen.
Zwei gereifte Liebesbeziehungen also? Was die alte Freundschaft zwischen Raylan und Boyd angeht – nun, für die Zeiten, die auf diese beiden offenbar zukommen, werden sie den Halt in Liebesdingen gut gebrauchen können.