Boardwalk Empire glänzt in diesem Fernsehjahr nicht nur mit einem 20 Millionen Dollar teuren Piloten, sondern – und vor allem – mit einer nahezu perfekten ersten Staffel, die Fernsehen als Kunst zelebriert. Das Finale A Return to Normalcy mag nicht annähernd so explosiv ausfallen, wie es manche vielleicht erwartet haben – ausgehend von den zahlreichen, in den letzten Episoden entflammten Konflikten -, aber es demonstriert genau das, was die Serie über die komplette Season ausgezeichnet hat: die stillen Szenen, in welchen die Figuren einander Geschichten erzählen. Genauso wie in den vorherigen Episoden bilden diese Szenen auch im Finale das Zentrum der Handlung.
Zwei von ihnen stechen besonders hervor: das Treffen zwischen dem Commodore und Jimmy (Michael Pitt) und das Gespräch zwischen Margaret und Nucky, in dem er ihr die Tragödie seiner Familie erzählt. Die erste Szene legt den Grundstein für die Handlung der zweiten Staffel – und die zweite schließt die Handlung der ersten ab. Ich finde es großartig, wie es den Autoren gelungen ist, gegen Ende der Staffel den Blickwinkel erneut auf Jimmy zu richten und ihn innerhalb eines Dreiecks aus Machenschaften zu positionieren: in einem Dreieck aus Neu und Alt.
Damit sind Jimmys zwei Vaterfiguren gemeint. Der Commodore erzählt Jimmy, wie ihn Nucky mit geschickten Machenschaften aus der Machtposition in Atlantic City hinaus gedrängt hat. Während Nucky mit Rothstein Frieden schließt und die D’Alessio-Brüder beseitigt werden, bahnt sich eine Gefahr von innen für Nucky an. Teil davon werden nicht nur Jimmy und der Commodore, sondern auch Nuckys Bruder Eli, der nach dem erfolgreichen Abschluss der Wahlen wieder als Sheriff eingestellt wird. Dieser Verlauf lässt Eli schlagartig realisieren, dass er, wie alle Anderen, nur eine Schachfigur auf Nuckys Brett ist.
Bevor Margaret (Kelly MacDonald) Atlantic City verlässt, will sie noch einmal mit Nucky sprechen, denn sie erfährt von seinem verstorbenen Kind. Sie möchte wissen, wer Nucky Thompson wirklich ist. Aber der hat viele Gesichter! In dieser Episode wird das auf grandiose visuelle Art und Weise demonstriert durch die Aufnahme der Nucky-Gesichter im dreiteiligen Spiegel. Die schauspielerische Kunst von Steve Buscemi kommt in dieser Szene zur vollen Entfaltung, als er Margaret von dem Selbstmord seiner Frau und dem Tod seines Sohnes erzählt: „I was very, very busy.“
Diesen Satz wiederholt er mehrmals und mit Nachdruck. In diesen Wiederholungen steckt ein Schmerz, der seinesgleichen sucht; indirekt teilt Nucky Margaret mit, dass mit seiner Familie ein Teil von ihm selbst gestorben ist. In dieser Szene ist er nicht mehr der geniale Schachspieler, sondern der verwundete Mann, dessen Wunde sich auch nach acht Jahren nicht schließen kann.
Margaret, die die letzten Episoden in Zerrissenheit verbrachte, die nicht entscheiden konnte, was sie mit sich vereinbaren kann und was nicht (zu Nucky: „How can you do what you do?“), kommt endlich zu einem Entschluss. Nucky: „We all have to decide for ourselves how much sin we can live with.“ Auf der Wahlkampf-Feier taucht sie so auf, wie Dorothy in Oz die Tür öffnet!
Margaret ist also wieder mit Nucky vereint, während Agent Van Alden seinen Job in Atlantic City kündigt. So schnell kann er freilich vor seinen Sünden nicht davonrennen: Lucy taucht bei ihm auf, um ihm mitzuteilen, dass sie schwanger ist. Wird Van Alden in Atlantic City bleiben? Die Episode endet mit zwei Szenen, die einander ähneln. In der ersten sehen wir Jimmy am Meeresufer, in der Morgendämmerung. Das Bild spiegelt dasjenige mit Steve Buscemi aus dem Vorspann. Kurz danach sehen wir Nucky und Margaret auf der Promenade, die glücklich ihre Blicke aufs Meer richten und am Geländer verweilen: wie am Ende des Vorspanns die buchstäbliche Ruhe vor dem Sturm, der in der zweiten Staffel unausweichlich Atlantic City heimsuchen wird.