Boardwalk Empire: Anastasia (1×04)

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Wer sich jemals gefragt hat, wie Aschenputtel in einer Scorsese-Verfilmung aussehen würde, bekommt mit Anastasia die Antwort. Diese Episode ist eine Parabel auf die Wünsche der Protagonisten, etwas zu sein, was sie nicht sind, etwas zu haben, was ihnen (noch) nicht gehört. Die Boardwalk Empire-Produzenten sorgen dafür, dass diese Parabel unbedingt bei den Zuschauern ankommt: im Zentrum stehen Nuckys (Steve Buscemi) Geburtstagsparty – und Margaret (Kelly MacDonald).

Zusammengebunden wird das Ganze mit dem Hinweis auf die Geschichte Anastasias, der letzten Erbin der Romanov-Dynastie, der russischen Zarenfamilie. Anna Anderson lautete das Pseudonym der Frau, die sich zu Beginn der 1920er Jahre als Anastasia ausgab und die russische Krone beanspruchte; sie erwies sich als Hochstaplerin, doch der Mythos um Anastasia hielt sich hartnäckig… Die Boardwalk Empire-Autoren mixen die Anastasia-Geschichte mit Aschenputtels Märchenwelt – und das ergibt eine Lovestory.

Zwar bleiben die Gangster-Machenschaften präsent in der Episode, aber Anastasia ist in erster Linie eine romantische Erzählung – auf Scorcese-Art. Wie im Märchen kommt es zu einer höchst unwahrscheinlichen Begegnung: Nucky (der Prinz) und Margaret (das einfache Mädchen) treffen aufeinander – und nachdem das passiert ist, entsteht Faszination zwischen ihnen. Sind sie verliebt?

Anastasia sagt: Ja. Nachdem die Handlung der bisherigen Episoden den beiden je nur kurze Begegnungen gestattete, darf nun in Anastasia Aschenputtel mit dem Prinzen tanzen. Margaret muss zu Nuckys Party, um Lucy ein Kleid zu bringen. Vielleicht zieht die Serie den Vergleich zwischen beiden Frauen etwas zu aufgesetzt und direkt – aber er funktioniert.

Am nächsten Tag liest Margaret in der Zeitung, dass Anna Anderson nicht die echte Anastasia war. Gleichzeitig sehen wir mit Margarets Augen Nucky und Lucy die Promenade entlang gehen: lachend, Hand in Hand. Der Zauber des vorherigen Abends verflüchtigt sich. Am Ende der Episode entwendet Margaret ein Kleidungsstück aus der Boutique, in der sie arbeitet. Um sich zu verkleiden? Um eine andere zu sein? Ist Margaret eine Anastasia – oder eine Anna Anderson? Die übrigens spielte ihre Rolle als Großfürstin Romanova weiter – bis an ihr Lebensende…

Chalky White wiederum versucht nicht, ein anderer zu sein – seine zweifelsfreie Präsenz bildet eine Art Gegengewicht zur Anastasia-Story. Michael K. Williams wird für seine bisher kurzen Auftritte entschädigt und darf seine Schauspielkünste anhand eines Monologs unter Beweis stellen:

Nuckys Bruder verhaftet den KKK-Anführer und lässt Chalky zu ihm hinein. Chalky erzählt ihm eine Geschichte, die sich am Anfang wie ein Märchen anhört – aber eine böse Wendung nimmt. Er weiß genau, welche Position er in seiner Welt besetzt… und wie die Regeln des Geschichtenerzählens funktionieren. Dasselbe gilt für Nucky und seinen Wunsch nach noch mehr Macht: wenn eine Geschichte gut ist, dann glauben sie die Menschen. Anna Andersons Geschichte erwies sich letztendlich als zu schwach…

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