Letzte Woche endete Boardwalk Empire mit einem Kracher: dem Attentat auf Nucky (Steve Buscemi). Zwar überlebte er, aber wir Zuschauer blieben gespannt zurück, wie er reagieren würde. gibt uns die Antwort, aber die gleicht nicht einem Sturm, sondern ruhigem Wasser, das sich zurückzieht… und erst später als eine alles vernichtende Welle zurückkommt. Die Episode eröffnet mit einem Traum: einem Traum über Väter und Söhne, der Nucky schlaflos zurücklässt. Nuckys rechte Hand wurde von der Kugel durchlöchert, und für eine gewisse Zeit kann Nucky niemandem die Hand schütteln.
Wir wissen, warum man Hände schüttelt: nicht nur als Begrüßung, sondern als Besiegelung einer Absprache, eines Vertrags. Ohne Händedruck kein Deal? Oder fällt es ohne Händedruck einfach leichter zu lügen – nicht nur Anderen gegenüber, sondern auch gegenüber sich selbst? So muss man mindestens nicht vorgeben, falsch zu spielen. Nucky beschwert sich sogar bei Margaret darüber, sich die ganze Zeit anderen gegenüber verstellen zu müssen, und hofft, dass das wenigstens bei ihr nicht nötig ist. In dieser Episode entscheidet sich Nucky – inspiriert von dem Witz, den er selbst Margaret erzählt, und von Rothsteins Worten während eines geheimen Treffens mit ihm und Torio -, seinen Schachzug gegen die Gegner so zu gestalten, dass er … gar keinen macht.
Wir sehen eine Episode über Rettungsboote, die einen vor dem Ertrinken retten. Nicht alle Boote bzw. Schiffe erreichen ihr Ziel. Man muss aufpassen, in welches Boot man einsteigt: Manche folgen den falschen Leuchtfeuern und zerschellen an den Felsen. Solche Lichter zündet Nucky an, indem er die Scheinwerfer seiner Herrschaft über Atlantic City verlöschen lässt. Plötzlich liegt Jimmys Weg zum Thron hell erleuchtet da. Aber das Licht speist sich aus Jimmys eigener Herrlichkeit, die ihn gegen Felsen leiten könnte. Fangen wir zunächst mit zwei Nebenhandlungen an: um Angela und um Van Alden. Wir sehen, wie Van Alden ein Kindermädchen für seine Tochter engagiert, wie er weiterhin versucht, sich selbst über Richtig und Falsch zu belügen, und am Ende “schmutziges” Geld in seiner Wohnung bunkert.
Angela Darmody wiederum spricht zum ersten Mal offen und ohne Lügen mit Jimmy über ihre Ehe. Etwas später lernt sie am Strand Louise aus San Francisco kennen und begleitet sie am Abend zu einer Künstler-Party – einer Party, wo, wie Louise sagt, beide unsichtbar sind, wenn sie Händchen halten und einander küssen. Zwei Erzählungen, die wenig oder gar nichts mit der Haupthandlung zu tun haben, aber doch alles abrunden. Angelas neue Freundin spricht mit ihr über Kunst und sagt: Not everything has to make sense.
Drei Pinselstriche in einem Bild erzeugen vielleicht nicht mehr Sinn, machen aber das Bild schöner, komplexer. Boardwalk Empires Geschichte besteht aus Geschichten, die man uns nicht direkt erzählt; vielmehr erzählen die Figuren sie einander und sich selbst, so wie es Nucky in dieser Episode tut. Eigentlich erzählt er den Witz über Two Boats and a Lifeguard, um Margaret zu erheitern und ihre Sorgen wegzuspülen, aber diese seine eigene Erzählung innerhalb der Konstellation, in der er sich befindet, spült ihm später den Rettungsring vor die Füße.
Somit hat er sich die Geschichte eigentlich erzählt, um sich vor dem Schiffbruch zu retten. Während er mit Margaret und den Kindern ein Brettspiel spielt, nehmen wir durch die Kamera Nuckys Blick ein, seine Position. Er blickt direkt auf das auf dem Brett gezeichnete Schiff und verwendet die Reise-Metapher bzw. genau zwei ihrer Aspekte: von wo man kommt und von wem man abhängt. Während die Blicke der anderen sich auf die Reise selbst konzentrieren, über-sehen sie diese zwei Punkte. Übersee ist der Hafen, von wo aus Nuckys Rettungsboot herangesegelt kommen soll. Er will, dass Owen Sleater ihm ein Treffen mit der IRA organisiert; gleichzeitig legt er Chalky nahe, seine damalige Drohung wahr zu machen und alle schwarzen Arbeiter zum Streik zu bewegen.
Gottes Wege der Hilfe sind, wie in Nuckys Witz, nicht unbedingt unergründlich, sondern oft einfach, gar simpel: Nucky sorgt dafür, dass es niemanden zum Rudern gibt und dass er selbst von Bord geht, um stattdessen an Bord des alten Schiffes aus der Heimat zu gehen. Von dort aus kann er beobachten, wie Jimmys Schiff sinkt: Der beste Zug ist manchmal der Rück-Zug. Nucky tritt zurück und kündigt das Jimmy & Co. offen an. Er gebe alles auf, sagt er. Drei Gründe führt er an: die Erschütterung durch den Überfall, den Tod seines Vaters, mit dem er in dieser Episode ebenfalls zu kämpfen hat, und den Wunsch, selbst der liebende Vater für Margarets Kinder zu sein. Nicht alles davon ist gelogen – man denke an die Szene, als er die Kinder bittet, ihn ab jetzt „Dad“ zu nennen. Nucky will also einfach gar nichts tun, wie er sagt – und trotzdem, gerade deshalb, steht Jimmy unter Zugzwang. Er feiert zwar einen Sieg, aber das Glänzen der Lichter lockt zu den Felsen…