Durham County: Ein (sur)realer Alptraum – Teil 1

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Durham County ist leise, schonungslos und kaum auszuhalten. Die Serie geht einem unter die Haut. Ihre verstörenden Bilder und Erzählungen sind faszinierend. Es ist dieselbe Art der Faszination, die Zuschauer für Twin Peaks, Se7en oder The Shield empfanden.

Der kanadische Film war immer schon dunkel, pessimistisch, manche würden sagen: realistisch. Die Nähe zur amerikanischen Kultur und zu den medialen US-Märchen ließ in Kanada Produktionen entstehen, die von den amerikanischen Helden die Nase voll hatten. Das behaupten zumindest die Kanadier. Wenn man aber bei einer der schonungslosesten kanadischen Serien, Durham County, ganz genau hinschaut, wird dort nicht etwa ein Gegenbild zum amerikanischen Heldentum entwickelt, sondern man hat sich in eine Tradition westlicher Erzählungen ‚eingeschaut’: tief unter die Oberfläche eines Helden, tief unter die Oberfläche gesellschaftlicher Zwänge, tief unter die Oberfläche der menschlichen Psyche. Genauso wie es die im Teaser aufgezählten Produktionen taten.

Die Gewaltbereitschaft von Männern, die heimlichen Begierden, das Übertreten des Gesetzes und der Zerfall der kleinbürgerlichen Familie sind gemeinsame Phänomene der Nachbarstaaten Kanada und USA – nur vermeidet es die US-Entertainment-Industrie in den allermeisten Fällen, direkte Bilder davon zu zeigen. ‚Entertainment’ ist hier natürlich das Schlüsselwort. Kann eine Serie wie Durham County mit ihren Eröffnungsbildern vom grausamen Mord an zwei Schulmädchen Entertainment sein? Aber die dunkle Faszination solcher Erzählungen (oder deren Entertainment-Faktor, wenn man so will) besteht für den Zuschauer darin, eine Wahl treffen und diese dann selbst beurteilen zu müssen. Wir werden als Zuschauer stetig gezwungen, über das, was wir fühlen, ein Urteil zu fällen bzw. uns zu fragen, wie wir das Gesehene empfinden. Solche Produkte wandern auf einem schmalen Grat zwischen Dokumentation über den Zustand der Gesellschaft und fiktionaler Erzählung. Der Status der fiktionalen Erzählung dient dabei lediglich dem Vergessen der verstörenden Bilder, dem Prozess der Verdrängung.

Aber wir wissen: was verdrängt wird, kommt um so stärker zurück und manifestiert sich im menschlichen Alltagshandeln.

Der Vergleich mit den anderen Produkten ist hier nicht zufällig: es geht dabei nicht nur um thematische Ähnlichkeiten, sondern eben um ihr Auftauchen als ‚Momentaufnahme’ seelischer und gesellschaftlicher Zustände. Chronologisch betrachtet, sieht man dabei kaum Veränderungen. Was um 1990 unter der Oberfläche der Kleinstadt Twin Peaks ablief, läuft auch jetzt, zwanzig Jahre später, in Durham: Das Verdrängte schlägt immer wieder zurück. Die Haupterzählung von Durham County schildert, wie sich die Narben der menschlichen Psyche – das, was man verdrängt zu haben glaubt – als grausame Begierden und ihnen entspringende Handlungen manifestieren.

Und es ist eine Erzählung über gewalttätige Männer und ihre Opfer. Auch diese Beobachtung kommt nicht von ungefähr, denn das kreative Team hinter Durham County besteht fast ausschließlich aus Frauen. Daher auch die sehr minutiös und gleichzeitig grandios erzählten Männerfiguren in der Serie. Ein weiteres Faszinosum an Durham County: Die Serie versucht gar nicht erst, uns im Dunkeln tappen zu lassen (das wäre vermutlich auch sinnlos: wir SIND im Dunkeln). Wir müssen gar nicht raten, was passiert ist oder wer der Mörder ist. Dies kann man als Vorteil und Nachteil der Serie zugleich sehen – in Teil 2 des Artikels werde ich näher darauf eingehen. Durham County verfährt ganz direkt und betont dabei, dass der gezeigte Gewaltakt selbst noch nicht einmal das Grausamste ist, sondern das, was dahinter steckt: seine Unausweichlichkeit.

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