Case Histories: Pilotenepisode (1×01)

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„Case Histories“: ein weiteres Krimi-Procedural? Weit gefehlt. Der Procedural-Begriff, so bekannt durch das US-Fernsehen, lässt sich ohnehin nur schwer auf die britischen Produktionen anwenden. Denn die sind eine ganz eigene Kategorie – und auch eine Klasse für sich. Zurück zu „Case Histories“: Diese Umsetzung von Kate Atkinsons Büchern wurde in England mit Spannung erwartet. Die erste Staffel soll mit ihren sechs Episoden gleich drei Bücher der beliebten Krimiautorin in Szene setzen: Case Histories, One Good Turn, When There Will Be Good News.

Non le ciel n’est pas sodding bleu“, sagt Privatdetektiv Jackson Brodie (Jason Isaacs) zu der netten Frauenstimme aus der Französisch-Lern-CD in seinem Auto. Nein, der Himmel ist nicht sch…-blau, sondern von einer undefinierbaren Sorte Blau, genau wie die Serie „Case Histories“ selbst undefinierbar ist – und mit großer Liebe zu ihren Figuren gestaltet. Sie steckt voller Gefühl, ohne ins Melodramatische abzugleiten. Man nimmt die Figuren und die Ereignisse, wie sie sind.

Der Tod ist hier kein Ausnahmezustand, sondern eine melancholische Erkenntnis. Der Soundtrack, unter anderem mit Iris Dement, Mary Gauthier und Robert Plant, trägt zu dieser tiefen Melancholie bei. Schon nach den ersten zwei Episoden erkennt man, dass „Case Histories“ eine Welt voller Frauen zeigt – alte Frauen, junge Mädchen, flirtende Frauen, sterbende Frauen, vor Jahren gestorbene Frauen, vermisste und wiedergefundene Frauen.

Brodie gehört nicht zu jenen Detectives mit besonderen Fähigkeiten, wie sie das US-Fernsehen bevölkern; er kann auch auf kein CSI-Team zurückgreifen – aber nichtsdestotrotz hat die Frauenwelt genau auf ihn gewartet. Die Frauen suchen ihn, und er sucht sie. Nein, „Case Histories“ erzählt keine Frauenhelden-Klischees – und wenn doch, dann nur, um sie ironisch zu untergraben. “Suchen und Finden”: so könnte die Jobbeschreibung des ehemaligen Polizisten lauten – und umgesetzt wird sie zwischen Brodie und den Frauen. Ohne Labor und ohne Team – wenn auch mit gelegentlicher Unterstützung durch eine weitere Frau, seine ehemalige Kollegin, ob die will oder nicht – muss Brodie vier Fälle auf einmal meistern.

Dabei findet er noch die Zeit zu joggen, zu rauchen, seine Tochter (großartig: Millie Innes in der Rolle der kleinen Marlee) von der Ex-Frau abzuholen… und sie zum Dauer-Entsetzen der Ex zu seinen Untersuchungen mitzunehmen. Aber vor allem findet die Serie die Zeit, uns immer wieder in Brodies Erinnerungen zu versetzen: in einen Tag mit sch…-grauem Himmel, an dem zwei Polizisten seine tote Schwester aus dem Wasser ziehen. Im Verlauf der Erzählung bekommen wir immer mehr Details dieses traumatischen Ereignisses zu sehen, während wir uns zusammen mit Brodie immer tiefer in diese Erinnerung hineinbewegen.

Als kleiner Junge suchte er seine Schwester und konnte sie nicht finden – und als er sie schließlich doch noch fand, war sie trotzdem weg, für immer. In der Gegenwart aber kann Brodie anderen Frauen Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem er für zwei Kundinnen die seit 30 Jahren vermisste Schwester wiederfindet, den Mörder der geliebten Tochter eines Anwalts (anrührend in der Rolle: Phil Davis aus „Whitechapel“) überführt, das Geheimnis zwischen einem anderen Schwesternpaar ausgräbt und einer alten Frau ihre vermisste Katze zurückbringt. Eine blaue Stoffmaus, ein Teddy in Pink und ein Paar Hasenpantoffeln: „Case Histories“ scheut bei aller Ironie und schrägen Charakteren nicht davor zurück, sich mit abgrundtiefer Empathie und Trauer in abgrundtiefe Emotionen hinabzustürzen, ohne diese Momente Effekte haschend in die Länge zu ziehen.

Isaacs Performance ist ebenfalls gut getimt; Lächeln wechselt mit grimmigem Ernst. Geschickt wird auch die Location in Szene gesetzt: Edinburghs malerische, verwinkelt auf- und absteigende Gassen verstärken das Gefühl, dass alle Stufen auf der Emotionsskala nah beieinander liegen – so nah, dass man ihnen ab und an davonlaufen muss. „Case Histories“ feiert in meinen Augen einen gelungenen Einstand, und ist sehr empfehlenswert!

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