Die neue BBC-Serie startet mit einer Mischung aus explosiver Action und ruhiger Darstellung dreier menschlicher Schicksale, die aus den Fugen zu geraten drohen. Aber wann gerät ein Leben aus den Fugen: bevor oder nachdem man sich zu einer Verzweiflungstat entschließt?
Was hält die meisten Menschen davon ab, das Gesetz zu brechen? Die Angst, erwischt zu werden. Oder sind es doch moralische Richtlinien, nach welchen man eben lebt? Wie lange kann es sich der Durchschnittsbürger heutzutage leisten, nach moralischen Regeln zu leben, bevor sein Leben sich in ein Nichts verwandelt oder sogar vorbei ist? Wenn das Leben Anderer vor den eigenen Augen wie ein glamouröser Blitz vorbeihuscht, fängt man an, diese Welt und ihre Richtigkeit anzuzweifeln. Gibt es Moral und entsprechende Regeln überhaupt – oder nur Abstufungen des Übertretens?
Ist man ein guter Mensch, wenn man sich soweit wie möglich an die Moral hält, oder ist man einfach nur dumm? Das neue BBC-One-Drama Inside Men versteckt diese Fragestellungen in den grau-gelben Bildern der Versuchung dreier Männer, ein neues Leben zu beginnen. Eigentlich erfahren wir erst im Nachhinein, was wir in den ersten Minuten von Inside Men sehen. Die BBC-Serie bietet mit ihrer Auftaktepisode ein Wechselbad der Gefühle. Diesen Ausdruck verwende ich, um die „vertauschte“ Erzählung zu beschreiben: Gewöhnlich sehen wir Handlungslinien, die sich von der Normalität des Alltäglichen aus in Richtung „Aus den Fugen geraten“ bewegen. In Inside Men ist die erzählte fiktionale Welt von Anfang an aus den Fugen. Wir begleiten John (Steven Mackintosh, Luther) zur Arbeit, aber dieser scheinbar normale Weg bekommt einen unguten Beigeschmack durch eine Stimme aus dem Off und kurze Einblicke in Johns nahe Vergangenheit. Sie zeigen uns, dass er auf dem Weg ist, etwas mehr zu tun als nur in die Normalität des Arbeitsalltags einzutauchen.
Johns Job nämlich besteht darin, für ein großes Lager verantwortlich zu sein, in dem haufenweise bares Geld liegt: Geld von Banken, Geschäften und anderen Institutionen, das hier gezählt, verpackt und aufbewahrt wird. Die maskierten Männer, die John gezwungen ist hereinzulassen – sie haben seine Frau und seine Tochter in ihre Gewalt gebracht – wollen alles, um jeden Preis. Auch vor Schüssen schrecken sie nicht zurück, als einer der Wachmänner (später erfahren wir, dass er Chris heißt) das Passwort nicht schnell genug parat hat. Als John dann die Waffe eines Angreifers in die Hände bekommt, huscht das Bild vom September, der Zeit des Überfalls, zum Januar zurück – und damit zu Johns Normalität. Wir lernen einen seiner Mitarbeiter kennen, Marcus (Warren Brown, Luther), der mit Geldproblemen und dem Traum von geschäftlicher Selbständigkeit hadert. Außerdem sehen wir Chris (Ashley Waters), den angeschossenen Wachmann, wie er sich um seine alkoholkranke Mutter kümmert und in der siebzehnjährigen Dita (Leila Mimmack), die John wegen Diebstahls entlassen musste, seine Liebe findet. John seinerseits ist unsicher, hektisch, voller Zweifel; fehlende Beträge in seinem Lager begleicht er aus eigener Tasche – kurz gesagt: er ist genau so, wie der Manager eines Geldkontors nicht sein sollte.
Seine Frau und er haben kürzlich ein Kind adoptiert. Es sieht danach aus, als stünden alle drei Männer an der Schwelle zu einem neuen Leben – und könnten sie nicht übertreten: wegen ihrer finanziellen Situation. Der Vorzug einer vierteiligen Serie besteht darin, das Tempo hoch ansetzen und innerhalb einer Episode ohne große Umschweife zum Punkt kommen zu können, nachdem uns der mittlere Teil der Episode kurz die Klaustrophobie in Johns, Chris‘ und Marcus‘ Leben geschildert hat. John bringt es auf den Punkt, als er Marcus und Chris beim Entwenden von fünfzigtausend Pfund erwischt: Warum so viel für so wenig riskieren? Warum nicht alles nehmen? So wird das huschende und verwischte Bild zwischen Januar und September, als wir John mit geladener Waffe in der Hand stehen ließen, plötzlich klarer, klärt sich aber noch nicht ganz auf. Ist John doch der Täter? Oder – im nächsten Moment – Opfer?
Warum wurde Chris angeschossen? Wer sind die restlichen Männer? Inside Men scheint (zunächst) einfach strukturiert und mit Antworten auf alle Fragen rasch bei der Hand zu sein, aber die Darsteller können überzeugen, und die Inszenierung kreiert eine verhängnisvolle Atmosphäre, die den Zuschauer sofort in ihren Bann schlägt. Verbrechen zahlen sich nicht aus, sagt man. Doch, das tun sie! Die Frage ist, welchen Preis man bezahlen muss, um die Grenze zu überschreiten – und damit zu leben.