NCIS und die Liebe zur Familie

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Keine neuen Hits: Die Kritiker erklären die neue TV-Season zu einer mittleren Katastrophe. Einzig und allein die Kabelsender haben Grund zum Feiern. Aber es liegen noch altbewährte Eisen im Feuer, die manchen Networks einen ruhigen Schlaf bescheren. 

Immer wieder schienen sich die großen Debatten um Fernsehserien letztendlich gegen die Procedural-Welle auszusprechen, während man Serien mit Fortsetzungshandlung befürwortete. Und tatsächlich scheinen die Zuschauerzahlen der Procedurals in den letzten Jahren kontinuierlich zu sinken. Nur eben nicht bei allen! Oft übersieht man die Veränderungen, die innerhalb einiger Serien eintraten und dem Format die Zuschauer raubten. Paradebeispiel: „CSI: Crime Scene Investigation“.Wenn man sich heutzutage umschaut, kann von der alten Procedural-Garde aus den Jahren des großen Booms einzig und allein „NCIS“ die Quotenfackel hoch halten. Warum? Ist NCIS ein einfaches Procedural unter anderen, das rein zufällig noch immer so viele Zuschauer an sich bindet? Eines ist klar: Formate wie CSI und NCIS werden zu immensen Lizenzpreisen ins Ausland verkauft, eignen sich perfekt für Syndication und lassen flexible Programmierung zu. Man sollte zudem nicht vergessen, dass die Werbeindustrie nach der großen Finanzkrise der letzten Jahre nach sicheren Investitionen sucht: und genau die bieten lang laufende Procedurals. Schließlich, ihr wisst schon: You don’t waste good, wie Gibbs sagen würde.

Nach einem, gelinde ausgedrückt, sehr schwachen Seasonstart 2011/12 bleiben den Networks nur ihre alten Produktionen, um ernsthafte Bedrängnis (im Drama-Bereich) abzuwehren. Dabei sticht, wie schon erwähnt, ein Titel besonders hervor: NCIS.

Der CBS-Dauerbrenner, derzeit in der neunten Staffel, hat das Kunststück fertig gebracht, nicht nur über die Jahre hinweg die Quoten aus der Zeit der CSI-Procedural-Welle zu halten, sondern sie auch systematisch auszubauen. Woran liegt das? Wie kommt es, dass die Zuschauer genau diese Serie nicht satt haben? Berechtigte Fragen, vor allem im Hinblick auf den allmählichen Untergang der CSI-Familie. Wobei ich gestehen muss, dass mir persönlich die elfte CSI-Staffel wieder gut gefällt – im Gegensatz zu den beiden vorherigen. Man sieht an diesem Beispiel, was Verschiebungen und Veränderungen im Figurenensemble bewirken können.

Damit sind wir genau beim Thema – und bei der Frage nach der Lust der Zuschauer, auch weiterhin NCIS-Episoden zu sehen. Böse Zungen würden behaupten, dass CBS einfach ein Rentner-Sender bleibt, dessen Zuschauer Vertrautes und die Wiederholung des Immergleichen sehen wollen – aber das sind eher Anschuldigungen denn Erklärungen. Natürlich arbeitet NCIS mit einem dramaturgischen Schema, das auf Wiederholungsmuster setzt. Ebenso offensichtlich schwingen an dieser und jener Stelle etwas zu viel Pathos oder Patriotismus mit. Beides aber lässt sich leicht verschmerzen, wenn man es gegen die Stärken des Formats abwägt.

NCIS hat sich schnell als Familienserie etabliert, sowohl seine Inhalte als auch die Bedienung des Zuschauerbegehrens betreffend. Besonders wichtig: Die Serie hielt ihr Figurenensemble – und die größte Kunst der Autoren tritt zutage, indem noch immer Themen aus dem Leben, der persönlichen Vergangenheit dieser Figuren gefunden und geschickt in die laufenden Fälle eingebunden werden.

Gibbs’ Regeln aus der Serienerzählung bilden eine gute Metapher für das, was die Produktion schuf: gewisse Serienregeln, die zweierlei kombinieren, nämlich das Kreieren und Bedienen von Erwartungshaltungen und das Variieren dieses Konzepts durch den Einfluss von Figurengeschichten. Ich muss gestehen, bei „NCIS“ zu den Späteinsteigern zu gehören. Vor Beginn der siebten Staffel begann ich mit der ersten Staffel – nicht nur, um für meine Dissertation einen Vergleich zwischen CSI und NCIS ziehen zu können, sondern weil mir NCIS von vielen Seiten ans Herz gelegt worden war.

Während ich also die ersten sechs Staffeln und anschließend die siebte „hintereinander weg“ sah, wurde mir überdeutlich, wie geschickt die Autoren das berühmte „NCIS“-Familiengefühl über die Jahre hinweg entstehen ließen, wie viel die Figuren durchmachten, da man sie meist persönlich in einen Staffel übergreifenden Erzählstrang verwickelte, welche Vielfalt an Konflikten und Beziehungen über die Staffeln hinweg getragen, aufgelöst oder aber verkompliziert wurden. Dazu die Leichtigkeit der Erzählung und der Humor, immer exakt dosiert – wie eine selbst gebastelte Bombe, die im Zimmer nur in eine bestimmte Richtung explodieren soll.

Natürlich bleiben, wie in jeder lang laufenden Produktion, gelegentliche Fehlzündungen nicht aus, aber perfektes Erzähl-Timing und Chemie zwischen den Darstellern erheben „NCIS“ regelmäßig zu mehr als nur einem Procedural unter anderen. Die Autoren wissen definitiv, wohin sie mit ihrer Erzählung wollen – und wie sie dorthin kommen. Mit Erzähl-Timing meine ich vor allem den geschickten Wechsel zwischen „persönlichen“ Episoden und solchen mit spektakulären Fällen. Man kann sagen, dass NCIS zwar viel mit Wiederholung spielt, dabei aber häufig den Blickwinkel leicht verschiebt. Langzeit-Zuschauer erkennen das und erlangen dadurch Extra-Genuss an der Handlung. NCIS arbeitete immer schon sehr gekonnt mit den Erinnerungen der Figuren – und dadurch auch mit denen der Zuschauer: Vor dem inneren Auge sehen wir immer mehr, als die Serie gerade zeigt.Ich würde durchaus behaupten, dass man als Zuschauer auch in der neunten NCIS-Staffel dazustoßen und Spaß haben könnte, aber das wirkliche TV-Vergnügen an der Serie bleibt Langzeit-Zuschauern vorbehalten. Denn nur sie gehören zur Familie!

Ich möchte zum Abschluss nicht in die Welt der Wissenschaft und der parasozialen Beziehungen abschweifen, sondern eine kleine Metapher aus der Serie selbst heranziehen, um zu beschreiben, was „NCIS“ mit seiner Erzählung macht. Und ich hole sie direkt aus Gibbs’ Keller: So wie Gibbs immer aufs Neue mit Holz zu arbeiten beginnt, so arbeitet auch die Serie selbst. Sie vollführt dieselben Arbeitsschritte, aber mit den hinzu gewonnenen Erfahrungen stets ein bisschen anders: so wie Gibbs in seinem Keller dem rohen Holz eine neue Form gibt.

2 responses »

  1. Schön geschrieben, thx. Ich war auch schon am überlegen NCIS aufzugeben, da es doch ziemlich langweilig wurde. Für mich hat dann Jamie Lee Curits Schwung in die Serie gebracht. Ich hoffe sie hat noch mehr Auftritte.
    Gespannt bin ich auch darauf, ob nach dem Cliffhanger einer aus dem Cast ausscheidet.

    Kack Sommerpause :(.

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