Kann Jax mit dem fertig werden, was ihm widerfuhr? Und welchen Schritt wird Samcro machen?
Zuerst muss man tief ein- und ausatmen, den Adrenalinpegel unter Kontrolle bringen und sich dann mit dem Start der dritten Sons of Anarchy-Staffel beschäftigen. Sie setzt an dem Punkt an, an dem wir die Sons gelassen haben: Abel wurde von IRAs Cameron Hayes (Jamie McShane) entführt, Gemma (Katey Sagal) ist auf der Flucht und Jax (Charlie Hunnam) außer sich.
Während wir Zuschauer die Zeit hatten, uns von den Ereignissen zu erholen, verfügen die Figuren in der fiktionalen SoA-Welt nicht über diese Zeit. Joshua James & The Forest Rangers’ Coverversion von Herman Hermits “No Milk Today” erklingt und es wird von einem bekannten und von Trauer überzogenen Gesicht auf das nächste geschnitten. Es gibt keinen Neustart, sondern die Figuren sind in den Ergebnissen ihres eigenen Strebens verfangen, die Kontrolle über die Ereignisse in ihrem Leben zu erlangen.
Der Anfang der Staffel beschäftigt sich mit der Frage, wohin sich jetzt die Figuren begeben werden. SOs erste Minuten sind von klaustrophobischer Stimmung geprägt und man muss Charlie Hunnam ein Kompliment machen, so überzeugend mit Jaxs Trauer, innerer Zerrissenheit, der Hilflosigkeit und gleichzeitig der Wut in jeder Szene den Bildschirm zu füllen.
Klar, Charlie Hunnam hat eine Weile gebraucht – genauso wie die Serie selbst -, um in die Rolle hineinzuwachsen und die Blicke auf sich zu fesseln, aber jetzt sind sowohl er und sein Jax, als auch Sons of Anarchy angekommen. Letzte Season hatte die FX-Produktion im Durchschnitt 4,5 Millionen Zuschauer, was laut Nielsen Co. eine Steigerung um 72 Prozent zum ersten Jahr der Serie bedeutete. Man kann davon ausgehen, dass diese noch sehr junge dritte Staffel die Zahlen überbieten wird.
Wer erwartet hat, dass SoA mit Action und Gewalt die neue Staffel eröffnet, wird überrascht, denn „Kurt Sutter“ wählt den subtilen und dadurch noch spannungsgeladeneren Weg, die Konflikte fortzuführen. Es ist so, als würde man vorsichtig, aber mit steigender Intensität in eine offene Wunde bohren. Diese offene Wunde ist Jax, dem von den anderen Clubmitgliedern buchstäblich wieder auf die Beine geholfen wird. Die Szene am Anfang der Episode ist sehr gelungen, als Jax komplett abwesend neben Abels Bett liegt und Opie (Ryan Hurst) ihn dann wie ein Kind unter die Dusche trägt.
Außerdem fällt einem auf wie oft Clay (Ron Perlman) Jax in dieser Episode „Son“ nennt. Das hatten wir lange nicht mehr gehabt. Natürlich will Clay (Ron Perlman) auch Abel finden und hat volles Verständnis und Mitgefühl für Jax, aber gleichzeitig versucht er Jax nicht nur aufzurichten, sondern ihn in die Rolle des Samcro-Leaders zu drücken, ihn zu dem Leader zu machen, den er will. Jax wiederum schiebt Tara (Maggie Siff) von sich weg: „You don’t belong here.“ Aber nachdem, was Tara schon hinter sich hat, ist ihre Beziehung zu ihm und zu dem Club eigentlich eine der stärksten.
Ich finde es gelungen, die Tara-Jax-Problematik nach Abels Entführung in zwei kurzen aber emotionsgeladenen Szenen abzuhandeln und nicht über mehrere Episoden zu verteilen. Sie hat ihre Wahl getroffen und das bekommt auch Agent Stahl zu spüren. Welche Wahl wird Jax treffen? „Every time I think maybe I’m heading in the right direction, I end up in a place I never even knew could feel this bad. What did I do, man?“ Nun gut, Jax hat die komplette zweite Staffel damit verbracht, sich diese Frage zu stellen. Es ist die Zeit für die Antwort gekommen.
Das Shakespearische Theater rollt weiter. Väter und Söhne, Väter und Töchter. Unsere Lady Macbeth Gemma (Katey Sagal) ist gezwungen, den Ereignissen um ihre Familie aus der Ferne beizuwohnen. Sie kehrt trotzdem nach Hause zurück, aber zu ihrem Vater (gespielt von Hal Holbrook), der unter Demenz leidet. Die Szenen zwischen den beiden sind großartig inszeniert und gespielt. Wir sehen Gemma verletzlich, von Schmerz geplagt, zu seinen Füßen sitzend den Kopf auf seine Hand legen.
Nur wir Zuschauer wissen, dass Abel am Leben ist, denn wir sehen ihn mit Cameron in Belfast! Und während mehr oder weniger ganz Charming vor der Kirche steht und Half Sack (Johnny Lewis) die letzte Ehre erweist, eröffnet man aus einem vorbeifahrenden Van das Feuer auf die Menge. Hale (Taylor Sheridan) wurde schon vom Anfang an nicht gegönnt, Unsers (Dayton Callie) Position zu übernehmen und er wird es auch nie tun, denn beim Feuergefecht wird er vom Van überfahren und getötet.
Charming verliert damit den Mann, der eine goldene Mitte suchte und nie fand. Back to Black and White? Für Jax heißt es: Back to Black! Er rastet aus und prügelt fast bis zum Tode den Mann, der aus dem Van fiel und von den Polizisten, welche Jax zur Seite schubst, festgehalten wird. Jedes andere Geräusch übertönend dröhnt aus dem Soundtrack Richard Thompsons “Dad’s Gonna Kill Me!”