In Belfast kommt es zu mehreren Auseinandersetzungen, während in Charming Geheimnisse gelüftet werden. Werden die Sons ihre Abwesenheit teuer bezahlen müssen?
Zugegeben: die dritte Sons of Anarchy-Season hat sich nur langsam voran bewegt und bietet dem Zuschauer im Vergleich zur zweiten Staffel bisher weniger “Payoff”. Die Langsamkeit scheint sich in erster Linie aus der Konzentration auf einen Haupthandlungsstrang zu ergeben.
Obwohl: ist es wirklich ein Strang? „Kurt Sutter“ mag sich auf die Abel-Entführung konzentriert haben – doch die Story ähnelt einem Rhizom. Ein Rhizom ist im strengen botanischen Sinne ein Wurzelgeflecht. In seiner Verwendung als Metapher, wie in der Philosophie von Gilles Deleuze, bezeichnet es ein “vielwurzelig” verflochtenes System, das nicht in Dichotomien aufgeht, sondern Querverweise, Überschneidungen, Verbindungen zwischen Elementen aufweist, die unterschiedlichen Ebenen angehören. „Ein Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle gebrochen und zerstört werden, es wuchert entlang seiner eigenen oder anderer Linien weiter.“
Diese Metaphorik bezieht sich auf Wissenssysteme und bezeichnet einen Bruch mit dem “alten” Baum-Modell, nach dem Systeme hierarchisch und dichotomisch angelegt sind und keine Querverbindungen zulassen. Wir können die Rhizom-Metapher jedoch auch anwenden, um zu bezeichnen, was mit Sons of Anarchy in der dritten Staffel geschieht: Sie wuchert langsam, aber beständig und sorgt für Überschneidungen und Verzweigungen.
Natürlich birgt ein solches Geflecht die Gefahr, die Übersicht zu verlieren und lose Enden hängen zu lassen. Aus Zuschauersicht empfiehlt es sich, die Episoden im Doppelpack zu sehen – so bleibt man besser “am Ball”, und der Spannungsaufbau mit stetiger Steigerung funktioniert. Ich glaube, dass die dritte Staffel auf DVD größere Befriedigung bringen wird als im Eine-Episode-pro-Woche-Rhythmus.
Turas, die neunte Episode dieser dritten Staffel, verläuft in einem blutigen Rhythmus. Der Cliffhanger mit Abel bleibt zwar in der Luft hängen, aber der Rest der Erzählung macht Fortschritte. Obwohl – nicht wirklich. Im Grunde wird die Unentschlossenheit der Figuren gezeigt, welchen Schritt sie als nächsten machen sollen. Das folgt aus dem bisherigen Handlungsverlauf: Jede Entscheidung brachte nur weitere Komplikationen.
Inzwischen ist der Punkt gekommen, an dem Entscheidungen tatsächlich irreparabel sind: Sie ziehen tödliche Konsequenzen nach sich. In Belfast versucht Jax (Charlie Hunnam) herauszufinden, wie er die Sache mit Jimmy für alle zufrieden stellend hinbekommen kann. Durch Jimmys (Titus Welliver) Auftauchen in Maureens Haus und seinen Versuch, Chibs (Tommy Flanagan) Familie zu entfühen, nimmt die Sache extreme Züge an. Fiona muss Gemma davon abhalten, Jimmy zu erschießen: In ihrer Verzweiflung sieht Gemma die einzige Rettung in fliegenden und treffenden Kugeln.
Sie will es einfach machen – aber so einfach geht es nicht… Mir gefällt die Art, wie die Serie einen vielschichtigen Beziehungskonflikt darstellt (IRA, Sons, Familie) und so die Unmöglichkeit leichter Entscheidungen aufzeigt: Auch der vielschichtige Konflikt in Sons of Anarchy besitzt die Struktur eines Rhizoms – er durchwuchert sämtliche Ebenen.
In dieser Episode kehren wir – durch die Erwähnung John Tellers und Jax’ kurze Vision von seinem Vater – zurück zum Ursprungsproblem: dem Sinn der Club-Existenz. Jax sagt zu Gemma, dass alles deswegen so gekommen sei, weil der Club mit Waffen handele. Aber steht dahinter nicht vielleicht Jax’ Erkenntnis, dass er durch Abels Entführung zu Clay (Ron Perlman), seinem Bild vom Club und seinen Verhaltensmustern zurückgekehrt ist? Ideale können vom Leben so schnell korrumpiert werden!
Genauso korrumpiert ist Sambel, genauer: seine Leader Keith McGee und Liam O’Neill. Die Sons werden während eines Waffendeals in eine Falle gelockt und von Liam in die Luft gejagt. Aber niemand bekommt mit, dass es Liam ist, der die Bombe aktiviert. Es sieht so aus, als handelte Liam über McGees Kopf hinweg. Die Charming-Sons bleiben unversehrt, aber dafür sterben fünf Sambel-Mitglieder.
Am Ende der Belfast-Erzählung dieser Woche sehen wir Jax und Trinity (Zoe Boyle) im Schatten vor Maureens Haus sitzen. Beide sind müde, ratlos. Er legt den Arm um sie. Eine sehr schöne Bruder-Schwester-Szene (ohne dass die Beteiligten es wüssten), die von Gemma (Katey Sagal) beobachtet wird.
Währenddessen herrscht in Charming genauso viel Unruhe. Jacob Hale bekommt zu spüren, was es heißt, mit jemandem wie Hector Deals abzuschließen. Hector erpresst ihn mit Hilfe einer Aufnahme („Yeah. I got an app for that, homes.“) und will wissen, wo Tara (Maggie Siff) arbeitet. App für Blackmail? Netter Scherz – und gleichzeitig eine nett subtile Werbeeinlage seitens der Produzenten, denn seit dieser Woche gibt es das Sons of Anarchy iPhone / iPad App…
Margaret Murphy fährt Tara wegen der Abtreibung zur Klinik, aber die beiden werden von Hector und seiner Freundin entführt. Der Cliffhanger: Als sie Margarets Rücken entblößen, sehen wir ein riesiges Motorradgang-Tattoo. Wessen Old Lady ist sie? Alle Figuren in Sons of Anarchy sind gebrandmarkt und tragen ihre Narben: zu welchem Ende auch immer.