Nach dieser Episode gibt es kein Zurück mehr: für keine der Figuren, denn manche Brücken kann man nicht wieder schlagen. Sie sind für immer zerstört. Jax und Tara werden angegriffen, während Gemma Clay zur Rede stellt.
Als FX Sons of Anarchy eine zusätzliche vierzehnte Episode zum Finale dieser Staffel spendierte, geschah damit zwar etwas Ungewöhnliches. Aber letztendlich macht der Sender damit nicht nur Schlagzeilen, sondern er zeigt Vertrauen in und Verständnis für die SoA-Erzählung. Diese Erzählung befindet sich in guten Händen, wie man in der gleichnamigen Episode Hands zu sehen bekommt. Hier gibt es alles: das gleichzeitige Entladen und Akkumulieren von Spannung, so dass ein Gefühl von Schwerelosigkeit vor dem harten Aufprall kreiert wird.
Hands ist ein harter Aufprall, in jedem erdenklichen Sinne: sei es seelisch, sei es physisch. Beziehungen, Freundschaften, Geschäfte – es schmerzt. So wie Taras Hand, nachdem man sie zu entführen versucht hat und Jax die Entführer stoppen konnte. Beide Frontfrauen von Sons of Anarchy, Tara und Gemma (Katey Sagal), schlagen hart auf in dieser Episode. Während Taras Hand verletzt wird, gleitet sowohl Gemma als auch Clay (Ron Perlman) alles aus den Händen.
Die Szenen mit Jax und Tara, singend im Auto, die im Park und sogar Jax’ ganz normales, freundliches Gespräch mit einem Polizisten über Autos und Motorräder könnten auf manche Zuschauer übertrieben wirken, aber sie erfüllen ihren Zweck: Sie zeigen nicht nur uns Zuschauern, wie ein Leben ohne die Sons für diese Familie sein könnte, sondern auch Jax selbst scheint das zu realisieren. Ein kurzes Atemholen für ihn und seine Familie, ein kurzes Schweben in den Wolken, bevor der harte Aufprall erfolgt.
Interessanterweise sehen wir direkt vor dem Entführungsversuch eine Szene, die einer anderen aus dem Finale der ersten Staffel sehr ähnlich ist: Jax und Tara picknicken und liegen glücklich auf der Wiese. Kurze Zeit später hat Jax beim Müllwegbringen eine seltsame Begegnung – wenn ich mich nicht täusche, mit derselben obdachlosen Frau, die wir in der ersten Staffel schon sahen.
Wir fragten uns damals, welche symbolische Rolle sie spielt: Ist sie Jax’ Schutzengel oder ein Zeichen des Schicksals dafür, dass er auf dem richtigen Weg ist? Im nächsten Moment hält ein Van an, und Tara wird hineingezogen. Irgendwie kann Jax den Wagen stoppen – auch durch Taras wilde Gegenwehr – und sie befreien, aber mit schwer verletzter Hand. Trotzdem frage ich mich: warum die Entführung? Ich hatte nur den Auftragskiller im Sinn, dem Clay das Geld gab und der Minuten vorher von einer Parkbank aus Tara und Jax beobachtete. Warum der öffentliche Entführungsversuch?
Oder waren es gar nicht Romeos Leute? Die Männer ohne die Masken sahen nicht wirklich spanisch aus, oder? War es einfach die Hitze des Gefechts, oder ist ein anderes Spiel im Gange? Wie auch immer: Eins muss man dieser dramaturgischen Entscheidung lassen – sie hinterlässt uns mit dem Gefühl, gerade selbst einen Schlag bekommen zu haben, was sie viel wirkungsvoller macht, als wenn der Auftragskiller einfach auf Tara geschossen hätte. Dieses Ereignis bringt uns zu der vermutlich besten unter vielen guten Szenen dieser Episode: zu dem Gespräch zwischen Tara und Jax im Krankenhaus. Maggie Siff und Charlie Hunnam treffen jede Note.
Romeo und Julia in Charming – den emotionalen Ablauf der Geschichte betreffend, nicht den erzählerischen. Da ein Nerv beschädigt ist, wird Tara ihren Beruf vermutlich nie wieder ausüben können, und diese Tatsache bricht alle Dämme: In einem geballten Gefühlsausbruch aus Verzweiflung, Wehmut, Schmerz, Wut und tausend anderen Schattierungen fasst sie für Jax die Ereignisse, die Tragik ihrer Liebesgeschichte zusammen und realisiert am Ende: „fate.“
Erschien also tatsächlich deswegen die obdachlose Frau in der Entführungsszene – als ein Wink des Schicksals? Jax und Tara sollen zusammen sein, aber auf welche Art und Weise? Nur als Familie innerhalb der Familie? Für Jax kristallisiert sich heraus, wie schlecht er seine Ich-verlasse-den-Club-Karte ausgespielt, wie er damit alle in Gefahr gebracht hat. Das wird deutlich in dem späteren Gespräch mit Opie, als Jax ihm die Wahrheit erzählt: dass er den Club verlassen will.
Dadurch, dass Jax falsche bzw. gar keine Entscheidungen traf, dem Schicksal auswich, hat er alle verraten, seinen besten Freund und seine Familie. Auch wenn die Sympathien des Publikums bei Jax liegen, stellt die Serie sowohl Clay als auch Jax in diesem Moment auf dieselbe Stufe. Ihnen gegenüber stehen ihre Frauen und damit das Bild dessen, was sie direkt oder indirekt getan haben. Clay versucht nach wie vor vergeblich, seinen eigenen Verrat an allen zu vertuschen.
Zum wiederholten Mal demonstriert Hands, dass Clay das Spiel längst nicht so führen kann, wie er denkt. Sein Fehler besteht darin, gnadenlos handeln zu wollen, wie es etwa ein Kartell tut, aber gleichzeitig auch in familiären Strukturen – also gefühlsorientiert. Und darin liegt der Unterschied: Familie. Die Sons können diese Grenze nicht übertreten, ganz egal, wie sehr Clay über die Jahre hinweg den Club in gefährliche Geschäfte verwickelt hat. Die Strukturen mögen bis zu einem gewissen Grad denen krimineller Gruppierungen ähneln, aber an einem bestimmten Punkt ist Schluss.
Das macht die Sons bei all ihrer Gewalttätigkeit und ihren Gesetzesübertretungen zu Figuren, für die der Zuschauer sich interessiert, denen er sogar wünscht, dass sie “gewinnen”. Clay kann nicht gegen die Familie gewinnen. Für einen Rückzieher ist es zu spät, denn er hat die Grenze übertreten, dem Teufel die Hand gegeben, und es gibt kein Zurück. Clay befindet sich im Niemandsland. Romeo besteht darauf, entgegen Clays Wunsch den Anschlag auszuführen. Und Gemma konfrontiert Clay mit der Tara-Situation. Die Konstellation der Szene erinnert an die zwischen Tara und Jax, nur verläuft es diesmal anders: Die Gefühle entladen sich in einer handgreiflichen Auseinandersetzung, und Clay schlägt Gemma brutal zusammen.
Währenddessen konfrontiert Roosevelt Lincoln mit seinem Verrat und entschuldigt sich später bei Juice. Die Frage ist, wie sich Juice entscheiden und welche Rolle Roosevelt in den kommenden Ereignissen spielen wird. „Clay can’t be saved. No, he’s not going down by law. He’s gonna die by the hand of the son“, sagt Gemma am Ende zu Unser. Triumph oder Tragödie in Charming? Oder beides? Um es mit Hamlet zu beenden: „Though this be madness, yet there is method in it.“