Sie kommen. Obwohl: waren sie nicht immer schon da? The Walking Dead erzählt von einer Zivilisation, die kannibalistische Züge angenommen hat und sich selbst nicht zu genügen scheint.
Durch den Vormarsch von Vampiren und Werwölfen in Film und Fernsehen gerieten die Zombies in letzter Zeit in Vergessenheit. Ihr letztes Aufbäumen in Filmen wie 28 Days Later und Resident Evil diente der Inszenierung apokalyptischer Szenarien um die Jahrhundertwende. Da aber der drohende Weltuntergang ausblieb, widmete man sich anderen Erzählungen, vor allem den stilisierten und idealisierten Vorstellungen vom ewigen Leben und der damit verbundenen Romantik. Vampir-Stories geben genug Stoff her, um zwischenmenschliche Beziehungen mit großen Gefühlen fesselnd auf den Bildschirm zu bringen: Das Horrorgenre ist heutzutage sexy und geht Race- und Genderfragen nach.
Zombies wiederum sind streng genommen sozio-politisch, gar geopolitisch. Sie sind nicht sexy. Sie fühlen nichts. Sie sind nicht auserwählt. Sie SIND. Die Wurzeln ihrer Geschichte liegen im Proletariat. Zombies sind Voodoo-Erzeugnisse: Sie wurden von Voodoo-Priestern erschaffen, um auf den Feldern Haitis zu arbeiten. Ihr Eintritt in unsere erzählte Welt war also nicht bösartig, sondern rein ökonomisch motiviert.
Während die Zombies ursprünglich im Dienste des Systems standen, begannen sie in Erzählungen wie den Comic-Büchern “Tales From the Crypt” oder dem Roman “I Am Legend” in den Fünfzigern zu ‚rebellieren’, um dann 1968 in The Night of the Living Dead (George Romero) ihr Flaggschiff zu finden. Die Zombies machten sich daran, das System, in dessen Dienst sie standen, zu zerstören, auszulöschen. Sie entwickelten sich zur Kritik der Konsumgesellschaft, die, immer hungrig nach mehr, an einen Punkt gelangen wird, da sie sich selbst auffrisst. Ein Thema, das heute aktueller erscheint denn je!
Als ich von der Verfilmung von The Walking Dead seitens AMC hörte, griff ich sofort zu den Comic-Büchern. ‚Glücksgriff’ ist die richtige Bezeichnung! Die Arbeiten von Robert Krikman starten langsam und brauchen Zeit, aber dann entfachen sie ihr ganzes Potential und können auch diejenigen überzeugen, die die Möglichkeiten einer solchen Genreerzählung in Serie als begrenzt betrachten.
Der Rhythmus der Comicbücher – dem die Serie, nach dem Piloten zu urteilen, zu folgen scheint – gleicht der Entwicklung der Zombies selbst als Genre. Die ersten Zombies auf dem Blidschirm waren langsam, gar träge, mühsames Fortbewegen erzeugte den Horror als das ultimative Anderssein im Vergleich zur normalen Bewegung. Später wurden sie immer schneller und beweglicher und beschnitten damit unsere Möglichkeiten zu entkommen. Wie ein US-Kritiker spaßeshalber anmerkte, wird unser Ende dann eintreten, wenn die Zombies anfangen, Auto zu fahren: wenn sie also lernen, sich der Erzeugnisse des Systems zu bedienen, das sie zerstören: der Konsumgesellschaft.
Ein Bild aus dem The Walking Dead-Piloten kann als Metapher für die Abwesenheit der Zombies auf dem kleinen Bildschirm stehen: Don’t Open. Dead Inside. Diese Überschrift an einer Tür, hinter der die lebenden Toten lauern, bezeichnet die Angst der TV-Schaffenden, sich solchen Themen zu widmen. Obwohl: „lauern“ ist nicht die richtige Beschreibung. Zombies lauern nicht, sie verweilen. Sie sind ein zeitliches Phänomen. Sie reduzieren Zeit auf ihre auch für uns wesentliche Bedeutung, die wir mit Aktivitäten verdecken: das Hinausschieben des endgültigen Todes, so lange es nur geht. Sie reduzieren uns auf die Wahrheit über den Menschen: Eine Fressmaschine aus Fleisch und Blut, die überleben, dauern will. Sie erinnern uns daran, wohin wir uns unausweichlich bewegen. Alles beginnt und endet mit der Nutzlosigkeit, dem Verlorensein, dem wir tagtäglich zu entgehen versuchen.
Wo spielt sich dann das Drama ab? Dazwischen! Viele verbinden – teilweise auch zu Recht – Zombie-Erzählungen mit puren Schlachtorgien. Auch The Walking Dead ist definitiv nichts für die Zartbesaiteten, aber der Pilot der neuen AMC-Serie ist keine Splatter-Orgie, sondern eine Feier cinematischer Kunst. Die Serie hält sich nicht penibel an die Originalvorlage, aber verändert auch nicht zu viel. Eine perfekte Balance ergibt sich teilweise aus den Notwendigkeiten des Mediums. Geschrieben und gefilmt von Frank Darabont, bietet Days Gone Bye ergreifende neunzig Minuten. Viele davon dominiert absolute Stille. The Walking Dead hat zwar einen klassischen Orchester-Score, aber die Kunst des Piloten steckt im Gebrauch der Stille. Dazu kommen die grandiosen Establishing Shots: in ausgeblichenem Grün und Sepia gehaltene Bilder vom Verfall der Menschheit. Alles, wonach wir streben – Autos, Häuser, Gegenstände – liegt nutzlos da, so wie wir selbst als Zombies. Gespenstische Stille umgibt diese zerstörte Welt, durch die Rick Grimes (großartig dargestellt von Andrew Lincoln) als Überlebender sich fortbewegt.
Der Polizist Rick Grimes erwacht im Krankenhaus aus dem Koma. Wir sehen Bilder von vorher, als er bei einem Einsatz schwer verletzt wurde. Wenn man es ganz genau nimmt, kommt auch er von den Toten zurück. Sehr eindrucksvoll finde ich die Szene im Krankenhaus, die sein Aufwachen wie eine Wiederkehr inszeniert: Er bewegt sich mühsam fort – so wie ein Zombie -, Schläuche und Bänder hängen vom Operationshemd herab… Rick stolpert durch die Gänge, nur um Chaos und Verwesung zu begegnen. Ricks Welt ist verschwunden. Seine Frau und sein Sohn sind verschwunden. Sein Blick auf diese „neue“ Welt ist ähnlich wie ein Zombie-Blick, nur geprägt durch Erfahrung und Erinnerung.
Andrew Lincoln spielt Rick Grimes mit einer Mischung aus Trauer, Autorität und noch verbliebener Würde. Als er später, da sein Auto kein Benzin mehr hat, auf einem Pferd reitet, muss man einfach an Gary Cooper denken. Unter den Strahlen der leuchtenden, aber nicht wirklich wärmenden Sonne, vor dem Hintergrund eines Gemäldes der Verwüstung, sitzt er in Polizeiuniform auf dem Pferd und reitet Richtung Stadt. Dieses Bild entspricht einem Überrest der Zivilisation: der neuen und der alten. Die Tage ihrer Existenz sind gezählt, wie die einzelnen Hufschläge auf der leeren Straße. Nur sie sind zu hören, zu fühlen, wie ein Herzschlag, wie die Schläge einer Uhr, die eine ablaufende Zeit zu Ende zählt.
Rick reitet Richtung Stadt, um seine Familie zu suchen, aber es ist kein glorreicher Ritt. Es ist ein Ritt in den Untergang, wie wir auf den nächsten Bildern sehen. In der Stadt wird er von Zombies umzingelt; die Kamera gleitet nach oben und eröffnet den Blick auf ihre Masse, die das Pferd zerfleischt. Was den The Walking Dead-Autoren gelingt, ist nicht nur den Horror auf leisen Sohlen kommen zu lassen, sondern immer wieder eine tiefe Trauer zu suggerieren. “I’m sorry this happened to you,” sagt Rick zu einem pathetisch einher kriechenden Zombie-Torso, dessen gieriges Handausstrecken fast wie eine flehende Geste wirkt; Rick verpasst ihm einen Kopfschuss und befreit ihn so aus seiner Misere bzw. seiner Nutzlosigkeit.
Sterbehilfe für einen Zombie? He used to be like us! Diese kleinen Momente mit all dem Schmerz und der Würde des Menschseins machen The Walking Dead faszinierend.
Neben Rick gibt es weitere Überlebende. Er trifft auf einen Vater mit seinem Sohn, die sich in ihrem Haus verstecken. Sie wollen und können nirgendwo hin: Trauer und Erinnerungen halten sie fest. Lennie James (Jericho) spielt großartig die Zerrissenheit des Vaters und Ehemanns, der sich nicht dazu bringen kann, abzudrücken: Vors Haus geschlichen kommt immer wieder die Mutter und Ehefrau, ein Zombie. Versucht sie, nach Hause zurückzukehren – zu einem Leben, das sie nicht mehr lebt?
Ricks Frau Lori (Sarah Wayne Callies) und sein Sohn sind noch am Leben, aber auch ihr Leben ist nicht mehr dasselbe. Wer hat es schlimmer: die toten Lebenden – oder die lebenden Toten?
Über die neue AMC-Serie kann man einfach nur sagen: Please, Open. Dead inside.
Habe gerade die Serie angefangen und möchte aufholen. Und aufs Neue habe ich festgestellt, dass die Folge selbst zwar sehr gut war, aber mit deinem Review dazu wird sie einfach noch besser. Ich sehe die Folge jetzt noch von anderen Seiten und das ist so unglaublich bereichernd. Vielen Dank, dass du dir die Zeit dazu nimmst!
Vielen Dank für diese Review!Es ist ein Genuss sie zu lesen!
Vielen Dank für die Rückmeldung! Es freut mich, dass sie Dir gefällt!