Dexter: Living the Dream (4×01)

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Sowohl im Kino als auch in den fiktionalen TV-Serien funktioniert immer wieder ein dramaturgisches Verfahren, das zwar einfach konstruiert ist, aber große Wirkung erzeugt: die Täuschung des Zuschauers durch Wort, Bild und sein angehäuftes Serienwissen. Dadurch entsteht ein rasanter Emotionswechsel, der dem Zuschauer, mir mindestens, großen Genuss an dem Gesehenen bereitet. Und Serien wie Dexter, die immer auf der dünnen, roten Linie zwischen unbegreiflicher Grausamkeit und Herz erwärmender Menschlichkeit entlang balancieren, machen geschickten Gebrauch davon:
Tonight ist the night! sagt Dexters Voice Over. Fast haargenau wiederholen die Bilder den Anfang des Piloten: Musikthema, Kameraeinstellung, Farben – alles gleich. Als sich in unseren Zuschauerköpfen das Wort „endlich“ herauskristallisiert und wir gespannt auf den Tötungsakt warten, fährt die Stimme fort:
Tonight ist the night to… sleep!

Als Dexter vorsichtig auszusteigen versucht, ertönt prompt Babygeschrei auf dem Rücksitz: Dexters Baby, Harrison! Was für ein Start!!!
Genau an dieser Stelle begreifen wir, welche neuen erzählerischen Möglichkeiten die Vaterschaft bietet.
Dexter ist müde, so erschöpft, wie noch nie. Und diese Tatsache macht ihn um so sympathischer. Vor allem für diejenigen Zuschauer, die selbst Kinder haben. Ja, ich weiß, es klingt schrecklich, das so zu sagen, aber es stimmt – und das macht Dexter zu einer so unglaublich guten Serie: Man fühlt sich auf einer irgendwie sehr realen Ebene damit verbunden…

Dexter ist so müde, dass ihm vor Gericht ein kapitaler Fehler unterläuft: er hat Akten vertauscht, und dadurch kommt ein brutaler Schläger frei. Oops! Aber vielleicht wird aus einem Fehler die Möglichkeit, den ebenso müden „Dark Passenger“ durch einen gepflegten „Kill“ etwas aufzumuntern?
”Wanna know a secret? Daddy kills people”, flüstert Dexter dem kleinen Harrison ins Ohr. „Only bad people.“ Ein zweischneidiger Satz, der eine gruselig-warmherzige Atmosphäre zaubert. Dexter Morgan, Suburban Dad! Etwas später erklärt uns das Voice Over: I am killing for two now!

In Living the Dream sehen wir den neuen Dexter Morgan: einen Vater, der bemüht ist, Arbeit und Familie bzw. das Dreieck „work/life/kill“ auszubalancieren. Dexter, der immer von außen auf die Welt schaute, ist jetzt zugleich Teil von ihr. Das Interessante daran ist: uns wird glaubhaft vermittelt, dass Dexter dieses neue Leben nicht nur spielt, sondern eine echte und zutiefst emotionale Bindung zu Rita und den Kindern unterhält. Faszinierend!

Diese fantastische Episode bietet jede Menge Spannung: durch die Einführung des anscheinend besten Serienmörders der Geschichte, des Trinity Killers, der seit 30 Jahren mordet;  John Lithgow verkörpert ihn auf unglaublich verstörende Art und Weise (das ist ein Kompliment!). Zudem steckt sie voll makabren und trockenen Humors. Ein paar Beispiele:

Masuka – I love Masuka – ist wieder da. Sein Lachen, seine Bemerkungen im Badezimmer-Tatort… „We’re dealing with a bloodbath here.“ Niemand außer ihm lacht, und er setzt einen drauf: „Tough room.“ Und Debs Reaktionen auf Masuka – ohne weitere Worte: „Fuck off and die. And die again…“
Wo wir bei Deb sind: Mit ihr und Anton läuft alles prima… und ausgerechnet jetzt kommt Lundy (Keith Carradine) zurück, der den Trinity Killer verfolgt. Debs Reaktion: Motherfucking Fuck. Zum Glück läuft Dexter im Pay-TV! Auch der Rest des Casts beschreitet romantische Wege – Batista (David Zayas) mit Laguerta (Lauren Velez), Quinn (Desmond Harrington) mit der Schwester des Fringe-Produzenten Roberto Orci, Courtney Ford in der Rolle einer Reporterin. Diese romantischen Handlungsstränge mögen unwichtig bis überflüssig erscheinen, aber zwischen all den Figuren fühlt sich der Zuschauer zu Hause, ihr Zusammenspiel erschafft ein angenehmes Gefühl. Schwer zu erklären.

Oh, fast vergessen: den an einem müden Dexter scheiternden ‚zweiten Vorspann’… man muss es einfach selbst gesehen haben! Und während Dexter dann endlich sein Opfer studiert und blutige Fotos anschaut, singt er seinem Sohn am Telefon „America, the Beautiful“ vor, damit der Kleine einschläft… Jedes Detail, jede Einzelheit passt: wie ein Blutstropfen in Dexters Sammlung. Und er bekommt einen neuen Tropfen. Auch wenn er beim Töten fast einschläft und mit Rita telefoniert, da er Harrisons Medizin noch holen muss.

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