Supernatural: Hello Cruel World (7×02)

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Willkommen in der grausamen Welt der Winchester-Brüder – der sie umgebenden und derjenigen in ihrem Inneren. Beide Welten scheinen nicht nur fließende Grenzen zu haben, sondern ihre Wassermassen nehmen rasant an Geschwindigkeit zu: sowohl im übertragenen als auch im buchstäblichen Sinne! In den ersten Minuten der neuen Episode sehen wir das schiefe Grinsen des Castiel-Leviathan-Konglomerates zur schmerzvollen Grimasse werden, denn die Hülle aus Engel und Mann droht zu explodieren, zu platzen – wie bei einer Überflutung, wenn das Wasser unaufhaltsam steigt, über die Grenzen hinausfließt und die Dämme brechen lässt.

Und die Überflutung kommt zustande – auf die schlimmste Art und Weise, sehr zum Leidwesen von Bobby, Dean (Jensen Ackles) und Sam (Jared Padalecki). Die Leviathane, die ja ursprünglich Seemonster waren, verlassen ihre Hülle im nächsten Wasserreservoir und breiten sich über die Trinkwasserleitungen aus. So geraten sie zum Beispiel in ein kleines Mädchen und einen erwachsenen Mann (gespielt von Benito Martinez, The Shield, Breaking Bad). Nur: Was wollen sie eigentlich? Die Supernatural-Welt überfluten?

Etliche Mauern, die Realitäten gegen einander abzuschirmen pflegten, sind im Laufe der Supernatural-Erzählung bereits durchbrochen worden, so wie Flutwellen einen Damm brechen, um alles dahinter Liegende unter sich zu begraben. In Hello Cruel World beginnen die Leviathane,  die Supernatural-Welt zu überfluten – und gleichzeitig brechen die Dämme in Sams Kopf und Seele. Genauso wie man nicht mehr wissen kann, ob im Gegenüber eine tödliche Bestie steckt, weiß Sam nicht mehr, was sich in seinem Kopf abspielt und was wirklich geschieht. Auch wir Zuschauer wissen oftmals nicht, ob wir unseren Augen und Ohren trauen können, denn die Supernatural-Produzenten gehen dazu über, Sams Blickwinkel auditiv oder visuell nicht mehr zu kennzeichnen. Fast durchgehend sieht und hört Sam Luzifer: als einen ständigen Begleiter im Alltag. Mark Pellegrino in Luzifers Rolle gelingt die Balance zwischen bedrohlichem Wahnsinn und Situationskomik perfekt in diesen Szenen, wo er in Anwesenheit Anderer mit Sam kommuniziert oder nur im Hintergrund Zeitung liest.

Wie lange kann Sam diesen Zustand noch ertragen – und wie könnte er ihn beenden? Indem er seine eigene Existenz beendet, wenn das Traumatische nicht weggehen will? Ihn zum Selbstmord zu bewegen, scheint Luzifers Plan zu sein. Aber: Ist es wirklich Luzifer, den Sam und wir sehen, oder ist es Sam selbst, der zu sich spricht – ein Teil von ihm, der ihn in den Abgrund treibt nach allem, was ihm widerfahren ist?Manches kann man nie wieder heil machen. Eigentlich ist es unwichtig, ob Luzifer tatsächlich Kontakt mit ihm aufnimmt und „da“ ist: Wesentlich sind die Effekte dieser Nicht-Existenz. Die Psychoanalyse Jacques Lacans spricht genau von einer solchen Unterscheidung zwischen der Ordnung der Wahrheit und dem Realen, bei dem es gleichgültig ist, ob es „wirklich existiert“ oder nicht; wichtig sind allein seine Folgen für die Subjekte.

Eben dies ist das Paradoxe am Lacanschen Realen: Obwohl es nicht existiert (im Sinne ‘wirklichen’ Existierens, Stattfindens in der Wirklichkeit), hat es doch eine Reihe von Eigenschaften – es bewirkt eine bestimmte strukturelle Kausalität, es kann in der Wirklichkeit des Subjekts eine Reihe von Effekten bewirken. Das Reale, das unter der Oberfläche liegt, kann zum Beispiel ein Trauma sein, das durch die Realitätskonstruktion verschleiert wird – so lange diese funktioniert. Auch die Leviathane benutzen in dieser Episode menschliche Hüllen, um sich in die Realität zu integrieren, damit ihr „wahres“ Sein verschleiert wird. Genauso wie die menschliche Haut den Anblick des rohen Fleisches verdeckt, uns vergessen macht, was darunter liegt. Dennoch existiert es: wie Sams Trauma, wie die Leviathane.

Immer wieder erzählt Supernatural von Türen, Übergängen, Grenzen, Mauern, vom Wegsperren der Grausamkeit, die sich dahinter verbirgt. Das Reale bricht stets an der Grenze ein, die das Innen vom Außen trennt. Man denke an René Magrittes Gemälde „Fenster“ (1963): Durch ein halb geöffnetes Fenster sehen wir hinter den Fensterscheiben des geschlossenen Flügels die Realität, einen blauen Himmel mit einigen verstreuten, weißen Wolken; hinter dem engen Spalt des geöffneten Flügels hingegen, der einen direkten Zugang zur Realität hinter dem Fenster erlaubt, ist nichts zu sehen als eine undefinierbare, schwarze Masse. Die Aufgabe der Winchester-Brüder bestand immer schon darin, diese schwarze Masse dort zu halten, wo sie ist – wenn sie von einem selbst Besitz ergreift, dann fällt diese Aufgabe schwerer und schwerer, und Supernatural wird dunkler und dunkler.

Diese Dunkelheit bringt allerdings jene Intensität mit sich, die die letzte Staffel oft vermissen ließ. Ben Edlunds Hello Cruel World hält die perfekte Balance zwischen Leviathan-Action und dialoglastigen Szenen, welche hauptsächlich Sams Zustand betreffen. Außerdem bietet die Episode ein Wiedersehen mit einer Frauenfigur: Sheriff Jodie, die nach einer Operation im Sioux Falls Krankenhaus liegt. In diesem Krankenhaus machen sich die Leviathane breit und haben vor, dort erst einmal eine Art Fress-Station einzurichten, um unbemerkt ihren Hunger stillen zu können. Von Edgar, der rechten Hand des noch nicht in Erscheinung getretenen Leviathan-Bosses – gespielt wird Edgar von Benito Martinez, der in Breaking Bad derzeit die rechte Hand eines Drogenbosses verkörpert! -, erfahren wir, dass die Leviathane nicht einfach nur fressen wollen, sondern einen Plan verfolgen.

Übrigens: Jodie überlebt die Episode, was untypisch ist für Frauenfiguren in Supernatural. Meistens müssen sie schnell das Zeitliche segnen. Ob Bobby das diesmal auch musste? Nachdem Dean Sam aus der nächsten schrecklichen Falle seiner Luzifer-Visionen herausgeholt hat, fahren die Brüder zurück zu Bobbys Haus, das… in Schutt und Asche liegt. Leviathane lieben das Wasser, bedienen sich aber auch des Feuers, falls die Umstände dies erfordern. Während von Bobby jede Spur fehlt, werden Sam und Dean nach einem Kampf mit Edgar mit Kopfverletzung bzw. gebrochenem Bein im Krankenwagen weggebracht. Ausgerechnet ins Sioux Falls geht die Fahrt – und zu Sams Entsetzen sind die beiden nicht allein im Krankenwagen. Kann es noch schlimmer werden?

Es bleibt spannend zu erfahren, was die Leviathane planen – und vielleicht auch, wie Gott zu diesem Plan steht. Oder gibt es ihn gar nicht? So wie Luzifer? Andererseits: Ist der vielleicht doch da? Hoffentlich behält die neue Staffel die Intensität dieser Episode!

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