Im Jahre 2000 stand CBS-CEO Leslie Moonves bei der Programmplanung für die kommende Season vor einer schwierigen Entscheidung. Die Platzierung von „CSI: Crime Scene Investigation“ war durchaus nicht sicher. In seinem Buch „Desperate Networks“ beschreibt Bill Carter ein Treffen in Leslie Moonves’ Büro, am Tag vor den Upfronts. Anwesend waren etliche CBS-Executives sowie Moonves’ Freund Phil Rosenthal, der Erfinder der Sitcom „Everybody Loves Raymond“.
Eigentlich sollte eine neue Serie mit Tony Danza den zur Debatte stehenden Primetime- Sendeplatz bekommen: Das Konkurrenzprojekt, eine Forensiker-Serie namens „CSI“, hatte beim Screening in Moonves’ Büro bei den Verantwortlichen nicht besonders gut abgeschnitten. Die Resonanz des Testpublikums war jedoch positiv. Moonves musste eine Entscheidung treffen. Zum Erstaunen etlicher CBS-Mitarbeiter präsentierte er am nächsten Tag den Werbekunden für die kommende Season „CSI: Crime Scene Investigation“ als neues Primetime-Produkt. Als die Ratings der Erstausstrahlung kamen, trauten die CBS-Mitarbeiter ihren Augen nicht: CSI war offenkundig auf dem Weg, CBS aus seiner tiefen Krise herauszuholen und sogar, gemeinsam mit „Survivor“, zum Primetime-Sieg über NBC zu führen: am Donnerstag, der seit Jahren als ‚NBC- Donnerstag’ bekannt war!
CSIs Entstehung zeichnet sich durch eine Kette von Last Minute- Entscheidungen aus, für die mehrere Faktoren eine gewichtige Rolle spielten: Anthony Zuikers Präsentationskunst, Nina Tasslers Liebe zu der Gerichtsmediziner-Serie „Quincy M.E.“, Jerry Bruckheimers Bereitschaft, das Projekt mitzuproduzieren, William Petersens Interesse an der Hauptrolle und daher nicht zuletzt Moonves Vorliebe für William Petersen sowie dessen Vertrag mit CBS:
Als Nina Tassler einen Anruf von ihrem langjährigen Freund Jonathan Littmann erhielt, dem „top television executive“ von Jerry Bruckheimer, hatte sie nach 300-400 Präsentationen von Drehbuchautoren aus ganz Hollywood ihre Anhörung von Scriptideen bereits abgeschlossen. Littmann bettelte buchstäblich, dass sie sich nur noch eine einzige Präsentation anhören möge, eine „forensic show“. Als langjähriger Fan von NBCs „Quincy M.E.“ und HBOs „Autopsy“ wurde sie neugierig.
Aus diesem persönlichen Interesse und der Tatsache heraus, dass sich unter CBS’ Pilotenbestellungen keine forensische Serie befand, willigte sie ein, dem Newcomer Anthony Zuiker zuzuhören. Nach seiner überwältigenden Präsentation voller „Snap Zooms“, „Helicopter Shots“, Laborräume etc. war Tassler so beeindruckt, dass sie sofort das Script für den Piloten bestellte, da kaum noch Zeit zur Verfügung stand. Littmann kam so spät zu Tassler, weil Bruckheimer als Produzent einen Deal mit Disney hatte, dem Inhaber von ABC und dem Touchstone Television Studio; Littmann war somit verpflichtet, Zuikers Idee zuerst bei ABC vorzustellen. Touchstone willigte ein zu produzieren, aber ABC lehnte mit der Begründung ab, dass die Serie zu spezifisch für den allgemeinen Zuschauer sei. Tassler wiederum wusste genau, dass CSI bei CBS ohne das OK von ihrem Boss Leslie Moonves ebenfalls keine Zukunft haben würde.
Moonves seinerseits verfolgte seit mehr als acht Jahren William Petersen, dessen Performance in Filmen wie „Manhunter“ und „To Live and Die in L.A.“ ihn in Moonves’ Augen perfekt für eine TV-Serienhauptrolle erscheinen ließ. Moonves war derartig überzeugt von Petersens Qualitäten, dass er dem Schauspieler einen langjährigen Vertrag (1 Million Dollar holding deal) anbot, bei dem sich der Schauspieler zu nichts verpflichtete und schon dafür bezahlt wurde, sich Angebote von Nina Tassler lediglich anzuhören. Dieser Vertrag lief bereits, als Zuiker nun mit der Hauptrolle des Gil Grissom kam, die Tassler absolut auf Petersen zugeschnitten zu sein schien. Sie arrangierte ein Treffen zwischen Zuiker und Petersen. Nachdem sich die beiden Männer vier Stunden lang im Beverly Wilshire Hotel unterhalten hatten, sagte Petersen zu und teilte Moonves seine Entscheidung umgehend mit. Moonves, der Zuikers Präsentation noch nicht gesehen hatte, war skeptisch. Aber Petersen war absolut überzeugt, nicht nur von der Idee und der Rolle, sondern auch von Anthony Zuiker.
Moonves seinerseits hatte Fragen über Fragen: Wer würde als erfahrener Showrunner an der Spitze der Serie stehen? Wie sollte sich die Zusammenarbeit mit Bruckheimer gestalten, der zwar erfolgreiche, aber sehr teure Kinofilme produziert hatte? Wie würden Zuikers „snap zooms“ und Kamerafahrten in Wunden auf dem TV-Bildschirm aussehen? Petersens Entschlossenheit, mit dieser Serie seine TV-Karriere zu starten, gab schließlich den Ausschlag: Moonves bestellte den Piloten.
Die Zeit war knapp und wurde noch knapper, als Tony Scott den Regieposten in letzter Minute doch noch ablehnte. Bruckheimer schlug den Newcomer Danny Cannon vor, der allerdings mit seiner Arbeit an Filmen wie „I Know What You Did Last Summer II“ und „Judge Dredd“ bei Moonves nicht wirklich punkten konnte. Bruckheimers gutes Auge für junge Regietalente war jedoch berühmt. Er bestand darauf, dass Cannon der Richtige sei, um einen ausgeprägt filmischen audiovisuellen Stil zu schaffen. Als Showrunner wurde Carol Mendelsohn an Bord geholt, die lange Jahre bei „Melrose Place“ tätig gewesen war.
Der Rohschnitt des Piloten enttäuschte Tassler. Sie schlug einige Veränderungen vor, die Bruckheimer akzeptierte. Touchstones Testvorführungen der abgeänderten Fassung waren mehr als zufrieden stellend, und viele Teilnehmer betonten vor allem die audiovisuelle Stärke der Bilder. Mangels Vorbereitungszeit und freier Termine sah sich Nina Tassler gezwungen, das Screening während Moonves’ Mittagspause durchzuführen. Der fand den Piloten o.k., aber auf keinen Fall ausstrahlungsreif und bat deswegen Touchstone Pictures um weitere Nachbesserungen.
Am Abend vor der offiziellen Ankündigung des CBS-Programms in Carnegie Hall kam es zu dem am Anfang beschriebenen Treffen und zu Moonves’ Entscheidung, das Programm in letzter Sekunde zu ändern und CSI den Vortritt für den Sendeplatz am Freitag um 21:00 Uhr zu lassen – an Stelle der Serie „Homewood P.I.“ mit Tony Danza. Aufgrund der Gefahr, dass CSI ein Hit werden könnte, bekam der Touchstone-CEO McPherson von seinen Disney-Chefs die Nachricht, dass Disney seine 50% der Co-Finanzierung von CSI zurückziehen würde – denn nun würde CSI ja auf CBS laufen und nicht auf ABC. So musste CBS Productions für die Gesamtkosten aufkommen.
Üblicherweise wird jede Network-Serie mit einem Verlust von 300 000 bis 800 000 Dollar pro Episode produziert – in der Hoffnung, dass sie gut laufen und danach in Syndication Millionen einbringen wird. Aber das Risiko ist enorm, denn die meisten Serien fallen durch. Aus diesem Grund streben die Networks prinzipiell nur 50% Beteiligung an. CBS suchte vergeblich nach einem neuen Partner, sogar das Schwester-Studio Paramount Television wollte sich nicht an CSI beteiligen: Keiner wollte ein so teures Projekt ‚auf blauen Dunst’ mitfinanzieren.
Moonves suchte und fand Hilfe außerhalb Hollywoods, nämlich in der kanadischen Produktionsfirma Alliance Atlantis, die im Jahr zuvor die Mini-Serie „Joan of Arcadia“ für CBS produziert hatte. Der CEO von Atlantis, Peter Sussman, war sehr bemüht, im Seriengeschäft Fuß zu fassen: hier war seine Gelegenheit. Und er sollte diese Entscheidung nicht bereuen: Am frühen Samstagmorgen sahen er sowie auch alle CBS-Verantwortlichen die Ratings vom Vorabend – CSI hatte 17 Millionen Zuschauer eingefahren, vier Millionen mehr als das Lead-In, das als Top-Serie des Abends platzierte „The Fugitive“.