Die FOX-Verantwortlichen haben die nächste viel versprechende Sci-Fi-Serie erledigt, wenn Virtuality tatsächlich keinen Order bekommt oder nicht von einem anderen Network gekauft wird. Und noch genialer die Entscheidung des Senders diesen Event an einem sommerlichen Freitag unterzubringen.
Die einzige Entschuldigung Virtuality nicht mindesten einen 13-Episoden Order zu geben, wären die hohen Kosten. Aber ist wirklich eine Serie wie Dollhouse so billig im Vergleich zu anderen, dass man sie etlichen anderen bevorzugt? Oder hat Whedon FOX auch sein nächstes Projekt (zum Discountpreis) versprochen? Zu diesen Fragen aber kommen wir noch mal zum Schluss.
Jetzt zu Virtuality: Der Pilot erfüllt exzellent genau das, was die Aufgabe eines Piloten ist – er weckt das Interesse der Zuschauer, was als Nächstes geschehen wird. Virtuality funktioniert für den Zuschauer nicht wirklich als die Erfahrung eines eigenständigen, abgeschlossenen Films. Denn in diesen fast zwei Stunden werden etliche Konflikte, Beziehungsdramen und Mysterien in die Wege geleitete und zum Schluss nicht mal annähernd aufgelöst.
Wie kann man Virtuality am schnellsten beschreiben? Sagen wir mal so: Virtuality ist nicht nur etwas für Battlestar Galactica-Fans, sondern und vor allem für Fans von der Art Science Fiction, die Battlestar Galactica repräsentiert – eine mit Metaphern gespickte meditative Betrachtung unserer von Technologie-Obsession geprägten Gesellschaft, eine von intertextuellen Verweisen durchtränkte Suche nach der Wahrheit und der Natur der Realität:
“Follow me, through the mirror and down a rabbit hole. Because the only way for any of us is to just keep going“, sagt gegen Ende des Films der eine Astronaut zum anderen.
In Virtuality spielt Nikolaj Coster-Waldau den Commander Frank Pike, der mit seiner Crew (auf dem Raumschiff „Phaeton“) eine Mission zu erfüllen hat, die jedem der Crewmitglieder zehn Jahre seines Lebens kosten wird. Das wäre der Preis, um die Erdbevölkerung zu retten, die von Naturkatastrophen geplagt wird und nach Voraussagen der Spezialisten die Erde nicht mehr lange zu leben hat. Nun, das wäre ja nichts Besonderes für eine Sci-Fi-Produktion, wäre da nicht noch das Big Brother-Element. Die Reise der Phaeton ist gleichzeitig eine Reality-Show. Überall im Schiff werden die Crewmitglieder von Kameras überwacht und ihr Leben Live auf der Erde übertragen. “Edge of Never: Life on the Phaeton” (Wednesdays at 20:00, Live Virt 24/7, commercial free, only ITY-FOX!) – heißt es in der Werbung.
Dadurch verschiebt Virtuality den Blickwinkel auf zwischenmenschliche Beziehungen, auf emotionale Überladung und neurotische Handlungen. Wie so typisch für eine Reality-Show mangelt es nicht an Problempunkten und Konflikten in der multikulturellen Crew der Phaeton: Commander Frank hat eine virtuelle Affäre mit der Frau des Show-Produzenten (der auch auf dem Schiff ist) Rika Goddard (microbial exobiologist, gespielt von Sienna Guillory), Dr. J (Richie Coster), der Second-in-Command, sitzt im Rollstuhl und leidet unter mangelndem Respekt seitens Frank.
Da wären noch das Gay-Pärchen Val Orlovsky (Gene Farber) und Manny Rodriguez (Jose Pablo Cantillo), die neben ihren Verpflichtungen an Bord, auch zusammen für alle kochen und laut Drehbuch sich öfter anzicken sollen, da die Zuschauer von „Edge of Never“ darauf stehen würden. Das wird den beiden von dem Psychologen auf dem Schiff Dr. Roger Fallon (grandios in seiner Rolle – James D’Arcy) mitgeteilt, der gleichzeitig der ausführende Produzent der Reality-Show ist und im Auftrag eines Multimilliarden-Konzerns die Fäden ziehen soll.
Es sind wirklich interessante Figuren kreiert worden, wie Dr. Jules Braun (Erik Jensen), der Designer von Phaeton oder die Pilotin Sue Parsons (Clea Duvall). Das Ensemble hat ein großes Potential für die Verwicklung in die unterschiedlichsten Plots, wenn Virtuality zur Serie geworden wäre. “Jean” (Kari Wahlgren), der Bordcomputer, ist so etwas wie HAL 9000 von Virtuality und ein wichtiges Teil der „Schiffsrealität“, denn sie sorgt für die einzigen Augenblicke, in welchen die Crewmitglieder der Kameras entfliehen können. Sie tauchen in andere virtuelle Realitäten ein, übernehmen andere Identitäten oder tun verbotene Dinge. Aber nicht alles funktioniert wie geplant – es tauchen Fehlfunktionen auf. In den Wunschwelten der Crewmitglieder taucht immer wieder dieselbe Figur (Jimmi Simpson) auf, die sie mit ihren richtigen Namen anspricht und dann umbringt. Over and over again! So wirft man die Matrix-Frage auf: Wenn man in der virtuellen Realität stirbt, stirbt man tatsächlich? Ist virtueller Mord ein Mord?
Die Markenzeichen vom Regisseur Peter Berg (Friday Night Lights), die melodramatischen kunstvoll umgesetzten Close-Ups betonen hier die rein physische Emotion, die uns entgeht, wenn wir Beziehung nur mit Hilfe eines Bildschirms bzw. der Technik führen.
Die Battlestar Galactica-Autoren Ronald D. Moore und Michael Taylor haben mit Virtuality ein wirklich interessantes Projekt geschaffen, bei dem nicht nur philosophische Aspekte zum Tragen kommen, sondern Virtuality wirkt überraschenderweise des Öfteren humorvoll und „leicht“: Zum Beispiel als Frank vergißt, dass er an dem Tag ein T-Shirt mit einem anderen Sponsornamen tragen muss oder als beim finalen Systemcheck Val berichtet: “Fearless gay duo are ready to face unknown, Commander!”
Man kann lange über FOX’ Entscheidung meckern, grünes Licht für Glee und Dollhouse zu geben, Terminator: The Sarah Connor Chronicles einzustellen und Virtuality keinen Serienorder zu erteilen, aber Networks haben in der Geschichte immer eine komplizierte Beziehung mit Raumschiffen und Zukunftsvisionen gehabt. Trotzdem wäre klug Virtuality eine Chance zu geben (13 Episode Order) und die Serie zusammen mit Terminators dritter Staffel laufen zu lassen. Aber die Senderchefs haben andere Zukunftsvisionen, die zum Beispiel zwei der verlässlichen Quotenbringer Bones und Fringe in Gefahr bringen werden, indem man sie gegen CBS’ Quotengiganten CSI und The Mentalist laufen lässt.
Virtuality hat aber dennoch eine kleine Chance, entweder auf FOX (eher unwahrscheinlich – es sei denn Dollhouse stürzt ab, was mich nicht wundern wird) oder auf Sci Fi, oder innerhalb eines Partnerschaftsdeals mit DirecTV.
Auf jeden Fall ist Virtuality sehenswert!