Die zweite Game of Thrones-Staffel kann in meinen Augen als sehr gelungen bezeichnet werden. Dabei geht es nicht hauptsächlich darum, ob die TV-Erzählung sich von Martins Büchern entfernt hat oder nicht, sondern darum, wie die Autoren in den multiplen Handlungssträngen und Figurengeschichten das Feuer nicht erlöschen und uns Zuschauer die eisige Kälte permanenter Bedrohung spüren lassen. Wir haben schon einmal darüber gesprochen, wie diese zweite Staffel eine Art Einleitung in eine neue Dynamik darstellt. Während wir bisher meistens Handlungsstandorte hatten, schickt man jetzt etliche Figuren auf den Weg. Game of Thrones wird zum Road Movie. Die Reise der Helden und Heldinnen in Martins Geschichte ist eine solche nicht nur im metaphorischen Sinne. Jede Figur bewegt sich zu einem Ziel, aber gleichzeitig auch zu sich selbst. Es handelt sich sowohl um einen Selbstfindungstripp (wie bei Bran und Denny), als auch um eine Sich-Selbst-Neu-Erfinden-Reise (Jaime, Theon).
Am Anfang der Staffel thematisierten die Autoren die Suche nach der Macht, nach ihren Quellen und nach ihrer Verteilung. “An die Macht kommen” bedeutet Bewegung und nicht Stillstand. Am Beispiel von Denny demonstriert man die Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf Macht und der Verfassung, in der sich man / frau befindet, um diese Macht ausüben zu können. Aus diesem Grund haben wir, was Daenerys betrifft, auch im Finale eine Art Reise innerhalb der Reise. Natürlich ist das Durchwandern des House of the Undying “einfacher” als in den Büchern beschrieben.
Die Visionen, die die Warlocks Denny durchlaufen lassen, inklusive einer Begegnung mit Drogo, sind in den Büchern zu surreal und halluzinatorisch, dass man sie hier entsprechend und zufrieden stellend inszenieren könnte. Außerdem würden manche Bilder vermutlich zu viel über kommenden Ereignisse verraten. Deswegen, denke ich, “reduziert” man die Visionen auf ihren emotionalen Kern und zeigt uns dazu die drei Drachen zum ersten Mal zusammen und in Aktion. Das bedeutet: Feuer frei!
Nun, Dennys Erkenntnis und die Sprünge zwischen den vielen Handlungssträngen im Staffelfinale sind nicht mehr als ein kurzes Aufflackern. Aber man muss den Umfang des Materials bedenken und die Art und Weise, die diese zweite Staffel aus dramaturgischer Sicht insgesamt strukturiert war. In meinen Augen bestand sie aus Doppelepisoden. Viele Nebenhandlungen bestanden aus zwei Teilen, die in jeweils zwei Episoden präsentiert wurden und diese auch vom Grundthema her miteinander verbunden waren. Das Finale hat hingegen keine zweite Hälfte. Sie ist gleichzeitig eine Art Zusammenfassung und Einleitung:
Wir sehen, wie Sansa Joffrey entgehen kann, weil er Margery heiraten will, dafür Robb und Talisa sich das Ja-Wort geben, Tyrion mehr oder weniger machtlos und verwundet sich auf die wenigen Freunde verlassen muss (Shae, Pod und Varys) und nicht nur Shae, sondern auch sich selbst zugibt, “süchtig” nach dem Spiel um Macht zu sein…
Kann man dasselbe über Melissandre behaupten? Schwer zu sagen. Die “rote” Priesterin balanciert auf einem dünnen Seil, würde man meinen. Es ist aber das Feuer, das ihr Kraft zum Balancieren gibt und in dieses Feuer lässt sie Stannis blicken. Was er in den Flammen sieht, wird vorerst ein Geheimnis bleiben. Aber diese Flammen scheinen von ihm Besitz zu ergreifen, ihn in einen Bann zu ziehen, aus dem es kein Entkommen gibt.
Währenddessen gerät Jon Snow in die Fänge der eisigen Kälte. Dabei handelt es sich nicht nur um den Norden, sondern auch um Jons Seele, denn Halfhands Tod ist der Preis, der bezahlt werden muss, damit Jon von den Wildlingen akzeptiert wird.
Was in den Seelen von Brienne und Jaime auf ihrer Reise vorgeht und sich ändert, wird nach wie vor eine der interessantesten Nebenhandlungen dieser Geschichte. Dasselbe gilt für Theon. Obwohl man schwer sagen kann, ob seine Erzählung hier endet oder von den Produzenten weiter geführt wird (so wie es in den Büchern). Unabhängig davon ist die Szene zwischen ihm und Luwin, als der Maester ihn zu überreden versucht, zu The Wall zu gehen, eine der besten in diesem Finale.
Theons Schicksal hat sowohl etwas Pathetisches als auch Trauriges an sich, so dass man als Zuschauer in dieses sprichwörtliche Wechselbad der Gefühle gesteckt wird. Und auch Gesichter können wechseln, wie Arya nach der Flucht aus Harrenhal, bei ihrer vorerst letzten Begegnung mit Jaqen erfährt. Er verabschiedet sich, aber hinterlässt ihr einen wichtigen Schlüssel. Damit sind nicht nur die Worte “Valar Morghulis” und die Münze gemeint, sondern auch einen Hinweis auf den Weg, den Arya zu sich selbst zurücklegen muss. Es ist nicht so einfach, wie bei einer Münze mit nur zwei Seiten. Menschen können viele Gesichter haben. Auch wenn man zwischen Identitäten hin und her gleiten kann, muss man lernen, mit dem eigenen “Ich” umzugehen.
Die komplette Episode ist in meinen Augen um eins der ersten und das allerletzte Bild strukturiert. Am Anfang sehen wir, wie Tywins Pferd vor dem Thronsaal einen Haufen legt. Man kann es als eine Beschreibung von Tywins Haltung gegenüber Joffreys und Cerseis Machtspielchen deuten, als eine Geste der Macht. Mit dem letzten Bild der aus dem Schneenebel auftauchenden “Others” lässt man wiederum die bisherigen Machtspiel nichtig erscheinen.
Der Winter kommt … und reitet auf einem toten Pferd.
Immer wieder im Laufe der Erzählung wurden wir daran erinnert, dass es in dem Game of Thrones-Universum nicht nur die Macht des Feuers gibt, sondern auch eine andere, verschwunden geglaubte. Genauso wie die Drachen zurück in diese Welt kommen, tauchen The Others wieder auf und bringen mit sich die Kälte der Unausweichlichkeit.
In diesem Sinne: Valar Morghulis!