The Art of War
Ein Riesen-Zeltlager an der Grenze zwischen Kuwait und dem Irak. Dort sitzt das Marine-Elitebatallion und wartet auf den Einmarschbefehl, um Geschichte zu schreiben. Aber welche Geschichte wird das sein, wenn die Tinte unausweichlich rot zu sein hat?
“So wird der erleuchtete Herrscher und der weise General die Intelligentesten seiner Armee als Spione einsetzen und auf diese Weise hervorragende Erfolge erzielen. Spione sind ein äußerst wichtiges Element des Krieges, denn von ihnen hängt die Fähigkeit der Armee ab, sich zu bewegen.” Mit diesen Worten beendete Sun Tsu vor zweieinhalbtausend Jahren sein Werk “Die Kunst des Krieges”. Im Sinne dieser Aussage beginnt die siebenteilige HBO-Serie Generation Kill von David Simon (The Wire) und Ed Burns, die auf dem gleichnamigen Buch des Rolling-Stones-Journalisten Evan Wright basiert. Beim Einmarsch in den Irak begleitete Wright das Elite-Batallion der US-Marines bis nach Bagdad. Was das Sun- Tsu-Buch damit zu tun hat? Nicht nur erscheint es in der allerersten Episode, als wir einen der Soldaten Sun Tsu lesen sehen, sondern der oben zitierte Passus betrifft direkt den Ablauf des Irak-Krieges, wie ihn die HBO-Serie schildert. Die Marine-Einheit, die hier unter die Lupe genommen wird, wurde ursprünglich für genau diesen Job ausgebildet: Spionage. Aber was passiert, wenn die US-Generäle andere Pläne verfolgen? Wenn man vergisst, was nach Sun Tsu das Hauptziel eines Krieges ausmacht: Frieden? Schon auf der zweiten Seite des kleinen Buchs steht der folgende Satz: In der ganzen Geschichte gibt es kein Beispiel dafür, dass ein Land aus einem langen Krieg Gewinn gezogen hätte. Anscheinend haben die Befehlshaber der US-Armee, wenn überhaupt, dann nur diesen einen Satz gelesen – oberflächlich. Sie wollen einen Blitzkrieg, und das Marine-Batallion sollte die Spitze des Speers sein: in angejahrten Humvees durch die offene Wüste…
Subhuman Morons?
Generation Kill ist eine komplizierte Erzählung – und gleichzeitig eine sehr einfache. Sie handelt davon, sich in einem permanenten Zustand der Ungewissheit zu befinden: Nicht nur weiß man nie, wohin es als Nächstes geht, sondern jeder muss die Antwort auf die Frage, wie im Krieg Menschlichkeit zu bewahren ist, allein finden – wenn er überhaupt Interesse daran hat. Wenn der eigene Job darin besteht, andere zu töten – wie bewahrt man dann einen Rest an Menschlichkeit? Bevor das Marines’ 1st Reconnaissance Battalion in den Irak einmarschiert, wird eine letzte Ansprache gehalten, die man nach dem Zählen bis drei mit einem gemeinsamen Ruf beendet: Kill! Die Ungewissheit macht diesen Soldaten auf den ersten Blick nichts aus. Was sie wollen, ist “to get some”. Viele von ihnen sehen den Krieg und die angeblichen Beweggründe dafür aber aus einer relativ zynischen oder zumindest ironischen Perspektive: Sie vertreten die Hypothese – die sich übrigens mehrmals bewahrheitet -, dass die Beteiligten um so minderbemittelter werden, je höher man die Militärränge hinaufschreitet. “Sergeant, I thought they were going to send us over the bridge in the darkness,” sagt einer der Soldaten, als der Humvee am hellichten Tag in die Gefahrenzone eindringt. “Nuh-uh,” lautet die Antwort, “not retarded enough.”
Trotzdem handelt sich hier nicht um Pazifisten oder eingefleischte Kritiker der US-Politik. Viele sind sich des Slapsticks bewusst, der immer wieder Besitz von der Situation ergreift: The individual who needs his head examined is the man responsible for taking arguably the finest damn independent recon operators of any military in the world, and dropping us in Humvee platoons to lead a parade of POGs, officers, and heavily-armed subhuman morons like Casey Kasem across Mesopotamia. How much does Uncle Sam spend on us? Jump school, dive school, mountain warfare, ranger school, SERE. That’s a $1,000,000 on average to train up 0321s like us. And here we are, perfectly-tuned Ferraris in a demolition derby, sagt Sergeant Brad Colbert, gespielt von einem brillanten Alexander Skarsgard.
Sgt. Antonio Espera (Jon Huertas) meint: The U.S. is just going to all these fucked up countries, Iraq, Africa, South America. How else we gonna make these hungry motherfuckers stop killing everybody? Put a McDonalds on every fucking corner. We gotta blow up the fucking corner, then build a McDonalds, so be it.
Kill
Sie sind, wie sie sind – Produkte der heutigen Gesellschaft, die über dieselbe räsonieren: And all that hate, dawg, all the hate took to blow these motherfuckers away. It’s destiny, dawg, white man’s gotta rule the world. Espera agiert in der Serie als eine Art Vertreter aller möglichen Minderheiten, um je nach Lust und Laune eine Verschwörungstheorie über die weltweite Dominanz der weißen Rasse aufzustellen. Warum er trotzdem mit den “Weißen” zusammen kämpft? Weil er verstanden habe, dass man sie nicht besiegen kann, also sei es besser, sich ihnen anzuschließen. Espera ist manchmal Native American, dann African American und letztendlich Latino. Er gehört zu den Figuren in der Mini-Serie, mit denen wir Zeit verbringen. Die meiste Zeit über begleiten wir jedoch den Humvee von Sgt. Brad Colbert (Alexander Skarsgard) aka Iceman, dem stillen, aber charismatischen Anführer, der in der Truppe hohes Ansehen genießt. Colbert und sein Corporal Josh Ray Person (James Ransone, dem Ziggy aus der zweiten “The Wire”-Staffel), der Fahrer des Humvee, treten wie ein altes Ehepaar auf, das keine Gelegenheit auslässt, Sarkasmus hageln zu lassen: über einander oder über andere. In einem Interview sagte Simon: “I always envisioned Colbert’s Humvee as like the family car on a road trip.” Lance Cpl. Harold James Trombley (Billy Lush) ist der Jüngste im Team, ein Trigger-Happy-Soldat, der sich nichts anderes wünscht, als “Hadjis” niederzuschießen. Seine Ungeduld bringt Colbert später in Teufels Küche. Auch Wright aka “Scribe” ist dabei: Er begleitet Colberts Team, aber nicht als Hauptfigur in dieser Geschichte, die eigentlich keine Hauptfigur hat. Wenn auch ein besonderer Fokus auf Colberts Team liegt, so bekommen doch auch die anderen Soldaten die Möglichkeit, einen Eindruck zu hinterlassen: seien es Lt. Nathaniel Fick, Lt. Col. Stephen “Godfather” Ferrando (Chance Kelly), Capt. Dave “Captain America” McGraw (Eric Nenninger) oder aber Sgt. Rudy Reyes aka Fruity Rudy – ein echter Marine-Soldat und Berater der Produktion, der hier sich selbst spielt: auf Oprah, Kampfsportarten, östliche Philosophie und Cappuccino schwörend und trotzdem eine in jeder erdenklichen Hinsicht gut geölte Tötungsmaschine.
Diese Figuren also hinterlassen, wie fast alles in Generation Kill, bleibende Eindrücke. Seiten und Seiten könnten darüber geschrieben werden, und ich bin durchaus nicht sicher, ob ich mit diesem Text der Serie gerecht werde.
People who can’t kill will always be subject to those who can
Genauso wie es mit The Wire war, ist Generation Kill eine Erzählung, die von einem Besitz ergreift, die man immer wieder anschauen und über die man immer wieder nachdenken kann. Sie bleibt im Kopf stecken. Und ebenso gut könnte man Generation Kill eine Comedy nennen. Obwohl es hinsichtlich der vulgären Sprache, der rassistischen, homophobischen und homoerotischen Witze wenig Zitierbares gibt, kann ich getrost zugeben, dass ich wegen Situationskomik und Sprachwitz selten mehr gelacht habe als bei dieser HBO-Produktion. Aber die Kunst bei Generation Kill liegt in der emotionalen Gratwanderung. In einem Moment lacht man über Rays beinahe poetische Ergüsse aus zynischen und sarkastischen Lebensweisheiten, und im nächsten fühlt man sich so, als wäre man gerade von einem Schrapnell in den Bauch getroffen worden. Ein gutes Beispiel: die Szene aus der dritten Episode, als zwei schwer verletzte Kinder zur Bravo Company gebracht werden, die Trombley in seiner Schusswut getroffen hat, ohne es überhaupt gemerkt zu haben. Lt. Nathaniel Fick (Stark Sands) fordert, dass ein Kind per Helikopter ins Krankenhaus transportiert wird; First Recons Kommandant Lt. Col. Stephen Ferrando (Chance Kelly) entscheidet sich zunächst dagegen, was zu immenser Spannung zwischen den Offizieren und ihren Vorgesetzten führt. People who can’t kill will always be subject to those who can, sagt Colbert.
Es fällt schwer, die HBO-Produktion als fiktionale Erzählung zu behandeln, wenn man bedenkt, wie nah sich die Serie an Wrights Buch bewegt. Doch abgesehen von tatsächlichen Ereignissen ist es ein subjektiver Blickpunkt, der hier das “Wie” kreiert. Wie kam es zu einem Ereignis, welche Auswirkungen, welche Emotionen und Gefühle rief es hervor? An diesem Punkt beginnt die wirkliche Arbeit Simons und Burns‘.
Die Mini-Serie wurde in Mosambik, Namibia und Südafrika gefilmt – für mehr als 50 Millionen Dollar. Regie führten Susanna White und Simon Cellan Jones. Das Ergebnis: Die Kamera zieht die Aufmerksamkeit nicht auf sich, es werden keine besonderen Eingriffe vorgenommen, um das Bild zu ‚stylen‘. Andererseits wiederum kann man auch nicht von dokumentarischen Aufnahmen sprechen: Viele Bilder gleichen kunstvollen Postkarten, die aber manchmal tödliche Nachrichten enthalten. Bis auf das Serienende mit dem Johnny-Cash-Song “The Man Comes Around” wird keine weitere Musik eingesetzt; lediglich die Marines selbst singen unterwegs berühmte Pop-Stücke, während sie sich Sorgen um Jennifer Lopez machen.
Loving You
Weder eine „richtige“ Hauptfigur gibt es noch eine „richtige“ Geschichte. “Gentlemen, from now on we’re going to have to earn our stories,” sagt Colbert, als die Offensive startet. Welche Geschichten aber werden das sein?
Schwer lässt sich Generation Kill eine „Aussage“ extrahieren, genauso schwer, wie das Wort “Sieg” zu definieren wäre in diesem Krieg – wenn Sieg überhaupt möglich ist. Fest steht: Irgendwie fühlt man sich mit jedem weiteren Kilometer Richtung Bagdad wohler in der Gesellschaft dieser Marines und sehnt sich nach mehr. Zwischen Lachen und Schaudern sitzen wir Zuschauer fest, ebenso hilflos wie die Marines im Irak – denn oft lässt uns die Serie nach einem Lächeln im nächsten Moment Schuldgefühle wegen dieser Sympathie empfinden: fehlerhafte Kommunikation, falsche Entscheidungen etc sind die Regel dieses Krieges. Unschuldige sterben. Trotzdem wird kurz darauf im Humvee gesungen, und man kann nicht umhin mitzuträllern…
Für den kompletten Zuschauergenuss empfehle ich die UK-DVD-Ausgabe der Serie, Evan Wrights gleichnamiges Buch, ein J.Lo-Foto und etwas Starkes, Klares zum Trinken.
“We have major activity on the wire!” Ob dieser Satz aus Generation Kill eine The Wire-Referenz sein soll, wird man nie erfahren. Fest steht aber, dass in diesem Jahr hier jede einzelne Episode von The Wire ihre Besprechung finden wird. Also macht euch bereit!
How copy?