Diese abschließende neunte Episode macht die leider einzige Staffel von HBOs Luck perfekt. Und mit “perfekt” meine ich wirklich: perfekt! Regisseurin Mimi Leder und Drehbuchautor Eric Roth liefern ein Finale, das die bisherige Erzählung abrundet und uns davon träumen lässt – von Pferden und von Glück. Letzteres währte nicht lange für David Milchs Schöpfung, aber ich werde mich in diesem letzten Review nicht wieder mit den Umständen der Absetzung beschäftigen und schon gar kein Wort über Organisationen wie PETA verlieren.
Nein, wir haben ganze zwei wichtige Rennen in dieser Episode, und die fordern unsere Aufmerksamkeit – zu Recht. Das erste Rennen findet zwischen Walter und Escalante statt, das zweite zwischen Ace und Mike. Von Anfang an vermochte Luck trotz kurzer Lebensdauer unsere Seelen durch die Staubwolken der Rennbahn schweben und dann erzittern zu lassen von den ersten Tropfen Morgentau, die auf uns fallen, als die Pferde auf einen großen Tag vorbereitet werden. Luck hat sich nicht um verstrickte Handlungsstränge bemüht, darum, dass etwas passiert. Es geht vielmehr ums Verweilen: die Suche nach einer Möglichkeit, im Glück zu verweilen, diese wenigen Sekunden auskosten zu dürfen, eben: die Seele schweben zu lassen.
Am Tag des großen Western Derby hoffen alle Betetiligten auf dieses Glücksgefühl. Das erste Rennen bestreitet Rosie auf Mon Gateau, und die vier Gambler sind dabei, ihre Wetten zu platzieren. Aber sie sind nicht mehr ganz dieselben Menschen, die wir in der Pilotepisode sahen. Renzos Mutter, die für das Rennen zu Besuch kommt, drückt es vor Marcus am besten aus: Sie sei froh, dass die vier einander gefunden hätten. Und Escalante ist letztendlich froh, Jo gefunden zu haben: die Chance auf eine Familie. In der schönen kleinen Szene mit Ace (Dustin Hoffman) im Stall sagt er indirekt, dass er bereit sei.
Eigentlich sprechen die beiden über Pint Of Plain und das Rennen, als Escalante seine Gedanken zu Jo schweifen lässt. Die Worte, die er zum Pferd sagt, übersetzt Ace im Kontext des Rennens mit “Du bist bereit”, doch im Weggehen korrigiert ihn Escalante: Er habe gesagt, er selbst sei bereit. Damit meint er Jo, das Kind und die Familie. Auch für Ace gibt es eine Familienüberraschung, als plötzlich sein Enkel auftaucht – dank Mikes perfidem Schachzug. Zunächst scheint Ace für Familie nicht bereit zu sein, aber eigentlich liegt genau dort das Glück, nach dem er sucht.
Gus’ Glück liegt darin, Ace in Sicherheit zu wissen. Dafür hat er eigenhändig und mit Hilfe eines kleinen Teams gesorgt, das er wegen der Auftragskiller zusammengestellt hat. Er setzt Mikes Leute außer Gefecht. Die Szene auf der Restaurant-Toilette ist nicht nur bedrückend intensiv, sondern zeigt auch, dass Gus immer noch im Rennen ist, auch wenn er am Ende außer Atem gerät.
Der Kampf zwischen Ace und Mike ist noch längst nicht entschieden. Wir werden von Aces Plan nie erfahren, aber nach Mikes Vorhaben zu urteilen – nämlich Aces Projekt zu übernehmen und daraus etwas Anderes zu machen – will ihn Ace genau dorthin bringen: ihn in Probleme mit dem Gesetz hineinmanövrieren und schließlich ins Gefängnis befördern. Mike hat gut erkannt, welche Liebe Ace inzwischen mit den Pferden verbindet. Eine interessante Frage wäre, ob nicht Ace selbst etwas gefunden hat – Pint of Plain, Claire, das Rennen -, das seinen ursprünglichen kalt ausgeklügelten Plan in Gefahr bringt. Was wenn er wirklich die Rennbahn, dieses Leben will und nicht nur Rache an Mike?
Diese Fragen und Gedanken werden natürlich von den beiden Rennen beinahe überschattet: Das erste gewinnt Rosie; das zweite, spektakulärer inszeniert als Vieles, was man im Fernsehen und im Kino zu sehen bekommt, wird per Foto-Finish entschieden. Sowohl Walter als auch Escalante nehmen sofort an, dass sie verloren haben, aber Pint of Plain geht als Sieger aus dem Kampf hervor. Trotzdem war dies nicht das letzte Treffen der beiden. Escalante und Jo verlieren zwar das Baby, aber nicht einander: Das Glück liegt noch immer in ihrer Reichweite.
Die vier Gambler gewinnen wieder, aber werden sie ihr Geld halten können, auch wenn sie darin baden wie Jerry und Naomi? Dire Straits’ Money for Nothing begleitet die letzten Szenen. Es ist nicht so wichtig, welche Hand wir bekommen, sondern wie wir sie spielen. Aces Worte an seinen Enkel lauten: „Whatever complications, this is where we are. What we have to make our lives with. Hands are dealt. We get to see how we play’em. Feeling lucky, kid?“
Dann betrachten Gus und Ace Pint of Plain durch die Webcam. Als vorsichtig und langsam auf Aces Gesicht gezoomt wird, sehen wir, wie ein Lächeln es erstrahlen lässt. Das nächste Bild zeigt Pint of Plain. Das Pferd bewegt seinen Kopf zur Seite, und für einen kurzen Augenblick entsteht der Eindruck, als würde das Tier Aces liebevollen Blick erwidern.
Um Aces Frage zum Schluss zu beantworten:
Ja, ich fühle mich gerade glücklich – darüber, dass es so eine Serie wie Luck gab, wenn auch nur kurz. Ich werde sowohl die kleine Ziege im Stall als auch das Glücksgefühl beim Zuschauen vermissen. Aber so ist das Glück: Es währt oft nicht lange… Marcus erklärt Renzos Mutter: „You run your horse where it fits.“ Solche kunstvolle Kreationen wie Luck passen heutzutage eigentlich nirgendwo mehr hin. Aber sie machen, wenn auch heimlich, das Rennen!