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Luck: Episode 9

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Diese abschließende neunte Episode macht die leider einzige Staffel von HBOs Luck perfekt. Und mit “perfekt” meine ich wirklich: perfekt! Regisseurin Mimi Leder und Drehbuchautor Eric Roth liefern ein Finale, das die bisherige Erzählung abrundet und uns davon träumen lässt – von Pferden und von Glück. Letzteres währte nicht lange für David Milchs Schöpfung, aber ich werde mich in diesem letzten Review nicht wieder mit den Umständen der Absetzung beschäftigen und schon gar kein Wort über Organisationen wie PETA verlieren.

Nein, wir haben ganze zwei wichtige Rennen in dieser Episode, und die fordern unsere Aufmerksamkeit – zu Recht. Das erste Rennen findet zwischen Walter und Escalante statt, das zweite zwischen Ace und Mike. Von Anfang an vermochte Luck trotz kurzer Lebensdauer unsere Seelen durch die Staubwolken der Rennbahn schweben und dann erzittern zu lassen von den ersten Tropfen Morgentau, die auf uns fallen, als die Pferde auf einen großen Tag vorbereitet werden. Luck hat sich nicht um verstrickte Handlungsstränge bemüht, darum, dass etwas passiert. Es geht vielmehr ums Verweilen: die Suche nach einer Möglichkeit, im Glück zu verweilen, diese wenigen Sekunden auskosten zu dürfen, eben: die Seele schweben zu lassen.

Am Tag des großen Western Derby hoffen alle Betetiligten auf dieses Glücksgefühl. Das erste Rennen bestreitet Rosie auf Mon Gateau, und die vier Gambler sind dabei, ihre Wetten zu platzieren. Aber sie sind nicht mehr ganz dieselben Menschen, die wir in der Pilotepisode sahen. Renzos Mutter, die für das Rennen zu Besuch kommt, drückt es vor Marcus am besten aus: Sie sei froh, dass die vier einander gefunden hätten. Und Escalante ist letztendlich froh, Jo gefunden zu haben: die Chance auf eine Familie. In der schönen kleinen Szene mit Ace (Dustin Hoffman) im Stall sagt er indirekt, dass er bereit sei.

Eigentlich sprechen die beiden über Pint Of Plain und das Rennen, als Escalante seine Gedanken zu Jo schweifen lässt. Die Worte, die er zum Pferd sagt, übersetzt Ace im Kontext des Rennens mit “Du bist bereit”, doch im Weggehen korrigiert ihn Escalante: Er habe gesagt, er selbst sei bereit. Damit meint er Jo, das Kind und die Familie. Auch für Ace gibt es eine Familienüberraschung, als plötzlich sein Enkel auftaucht – dank Mikes perfidem Schachzug. Zunächst scheint Ace für Familie nicht bereit zu sein, aber eigentlich liegt genau dort das Glück, nach dem er sucht.

Gus’ Glück liegt darin, Ace in Sicherheit zu wissen. Dafür hat er eigenhändig und mit Hilfe eines kleinen Teams gesorgt, das er wegen der Auftragskiller zusammengestellt hat. Er setzt Mikes Leute außer Gefecht. Die Szene auf der Restaurant-Toilette ist nicht nur bedrückend intensiv, sondern zeigt auch, dass Gus immer noch im Rennen ist, auch wenn er am Ende außer Atem gerät.

Der Kampf zwischen Ace und Mike ist noch längst nicht entschieden. Wir werden von Aces Plan nie erfahren, aber nach Mikes Vorhaben zu urteilen – nämlich Aces Projekt zu übernehmen und daraus etwas Anderes zu machen – will ihn Ace genau dorthin bringen: ihn in Probleme mit dem Gesetz hineinmanövrieren und schließlich ins Gefängnis befördern. Mike hat gut erkannt, welche Liebe Ace inzwischen mit den Pferden verbindet. Eine interessante Frage wäre, ob nicht Ace selbst etwas gefunden hat – Pint of Plain, Claire, das Rennen -, das seinen ursprünglichen kalt ausgeklügelten Plan in Gefahr bringt. Was wenn er wirklich die Rennbahn, dieses Leben will und nicht nur Rache an Mike?

Diese Fragen und Gedanken werden natürlich von den beiden Rennen beinahe überschattet: Das erste gewinnt Rosie; das zweite, spektakulärer inszeniert als Vieles, was man im Fernsehen und im Kino zu sehen bekommt, wird per Foto-Finish entschieden. Sowohl Walter als auch Escalante nehmen sofort an, dass sie verloren haben, aber Pint of Plain geht als Sieger aus dem Kampf hervor. Trotzdem war dies nicht das letzte Treffen der beiden. Escalante und Jo verlieren zwar das Baby, aber nicht einander: Das Glück liegt noch immer in ihrer Reichweite.

Die vier Gambler gewinnen wieder, aber werden sie ihr Geld halten können, auch wenn sie darin baden wie Jerry und Naomi? Dire Straits’ Money for Nothing begleitet die letzten Szenen. Es ist nicht so wichtig, welche Hand wir bekommen, sondern wie wir sie spielen. Aces Worte an seinen Enkel lauten:
 „Whatever complications, this is where we are. What we have to make our lives with. Hands are dealt. We get to see how we play’em. Feeling lucky, kid?“

Dann betrachten Gus und Ace Pint of Plain durch die Webcam. Als vorsichtig und langsam auf Aces Gesicht gezoomt wird, sehen wir, wie ein Lächeln es erstrahlen lässt. Das nächste Bild zeigt Pint of Plain. Das Pferd bewegt seinen Kopf zur Seite, und für einen kurzen Augenblick entsteht der Eindruck, als würde das Tier Aces liebevollen Blick erwidern.

Um Aces Frage zum Schluss zu beantworten:

Ja, ich fühle mich gerade glücklich – darüber, dass es so eine Serie wie Luck gab, wenn auch nur kurz. Ich werde sowohl die kleine Ziege im Stall als auch das Glücksgefühl beim Zuschauen vermissen. Aber so ist das Glück: Es währt oft nicht lange… Marcus erklärt Renzos Mutter: „You run your horse where it fits.“ Solche kunstvolle Kreationen wie Luck passen heutzutage eigentlich nirgendwo mehr hin. Aber sie machen, wenn auch heimlich, das Rennen!

Luck: Episode 8

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Das Schicksal liebt die Ironie, oder? Eine Serie namens Luck wird vom Glück verlassen und muss das Rennen um die Spitzenplätze der Seriengeschichte früh abbrechen. Boten die Ereignisse einen willkommenen Anlass für HBO, dem auch in den Ratings glücklosen Projekt den Gnadenschuss zu verpassen? Darüber kann man nur spekulieren – genauso wie darüber, wer die Schuld trägt am Tod dreier Pferde während der Dreharbeiten. Und spekulieren möchte ich nicht. Dafür bin ich doch zu betroffen von HBOs Entscheidung. ABER: Ich verstehe sie vollkommen.

Eine Serie, die sich der Liebe zum Pferderennen und zu den Tieren verschrieben hat, kann unter solchen Umständen nicht fortgesetzt werden. Über Organisationen wie PETA brauchen wir nicht zu sprechen: um sie geht es hier nicht, auch wenn sie sich einbilden, Pferden Reden und Schreiben beibringen und in naher Zukunft mit Hühnern über Kognition und Emotionen diskutieren zu können. Es geht um unsere Emotionen als Zuschauer und die der Beteiligten an dem Projekt. Nach den Ereignissen wird das Unbehagen diese Gefühle dominieren, sei es beim Zusehen oder beim Arbeiten an der Serie.

Vielleicht lohnt es sich jetzt nicht mehr, über die ohnehin abgesetzte Serie zu schreiben. Aber ich habe immer gern über Luck geschrieben, denn die HBO-Serie wusste zu inspirieren, was heutzutage viel zu wenige Serien fertigbringen. Von daher ist es besonders traurig, dass ausgerechnet im Kabelsektor, wo sich TV-Kunst wohl zu fühlen schien, mit Rubicon, Terriers und jetzt Luck in relativ kurzer Zeit drei hervorragende Projekte nach nur einer Staffel abgesetzt wurden. Unglücklich? Ja und nein.

Die Gründe kann man lange abwägen, gar den Großteil der Zuschauer als The Watching Dead bezeichnen, Senderpolitik kritisieren etc., aber das wollen wir uns ersparen – und statt dessen mit den den letzten zwei Reviews über Luck schlicht betonen, dass es einfach schön war, diese Serie gesehen zu haben. Ihrerseits wollte die Serie genau dies: schön sein bzw. die in der Luft schwebende Schönheit unserer menschlichen Existenz in den sich langsam legenden Staubwolken auf Santa Anita festhalten. Wenn sie sich gelegt haben, bleibt ein strahlender Himmel, von dem wir in dieser Episode mehrere Aufnahmen zu sehen bekommen.

Aber wolkenlos bedeutet nicht unbedingt ungefährlich. Die Episode baut sich zum großen Teil um drei metaphorische Rennen auf (Escalantes, Aces und Walters), deren Ausgang auf der Hand zu liegen scheint, dessen Ergebnis sich aber dennoch als sehr fragil erweist. Man hat beim Zusehen das Gefühl, die Luft würde für kurze Zeit angehalten – so, als zöge sich das Wasser zurück, bevor die Tsunami-Welle kommt. Man erwartet, dass jeden Moment etwas passieren wird, vor allem in der Ace-Rache-Story… und es passiert nichts. Noch nicht. Eine Welle braucht Zeit, um sich aufzutürmen. Als Ace (Dustin Hoffman) mit Sicherheit weiß, dass Mike Israel getötet hat, holt er zum Gegenschlag aus, aber auf seine Art: auf stille Art.

Die Bedrohung wächst aus der Stille heraus, wie DiRossi feststellen muss, als er für gewisse Zeit in einem Stall gemeinsam mit einem schweigsamen Gus eingepfercht wird. Währenddessen stellt Ace Mike ein Ultimatum: „You are out.“ Dann erzählt er ihm von dem As in seinem Ärmel, das er gegen Mike ausspielen kann. Aber ob Mike sich einschüchtern lässt? Walter gewinnt zwar die nächste Auseinandersetzung mit Mr. Bowman, aber auch hier scheint das Spiel noch nicht beendet. Ganz anders sieht es für Leon aus: Er muss erneut aus dem Sattel, da sein Gewicht nicht stimmt. Rosie wiederum bekommt die Möglichkeit, beim Rennen direkt vor dem Big Western Derby Mon Gateau zu reiten.

Ronnie zeigt beim Rennen der Woche, dass Walter nicht umsonst Vertrauen in ihn gesetzt hat. Aber wird er auch im Derby gegen Pint of Plain als erster durchs Ziel gehen? Wird Jos Schwangerschaft ein glückliches Ende nehmen, nachdem ein Pferdetritt sie ins Krankenhaus befördert? Escalante steht an Jos Seite, während Massive Attacks dieser Episode den perfekten Schlusspunkt setzt: mit “Paradise Circus” dem Titelsong in BBCs Luther. Gewinnen und Verlieren liegt so dicht beieinander, dass man die Grenzlinie kaum ausmachen kann…

Luck: Episode 7

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Die siebte Episode wirkt im Vergleich zu den vorherigen sechs wie ein ganz normales Pokerturnier im Vergleich zu einem Hyper-Turbo-Event. Beim ersten sind die einzelnen Levels 15 Minuten lang, beim zweiten nur drei. Das heißt, alles geschieht schneller, gar rasant – und man muss versuchen, etwas zu erreichen mit den Händen, die man bekommt, auch wenn es nicht die besten sind. Manchmal aber hat der Gegner doch die Gewinnerhand, es sei denn, er lässt sich weg-bluffen… Trotz etlicher Ereignisse und Entwicklungen, die diese Episode füllen, lässt sie sich wie immer die Zeit, jedes Wort gleichsam durchzufühlen, es auf die Probe zu stellen – oder, mit Mike gesprochen: „Syntax is how I know! Syntax!“ Die Worte verraten sich selbst, den eigenen Inhalt; und sie verraten uns, unsere Hoffnungen und unsere Träume, unsere Ansprüche, wer wir sind und wer wir sein wollen.

Jede/r erhebt Anspruch auf etwas bzw. auf sich selbst: Anspruch darauf, etwas zu sein, etwas zu können. Aber können die Beteiligten diesen Ansprüchen gerecht werden? Können sie sich selbst gerecht werden? Ronnie will Gettin’ Up Mornin’ reiten – und Walter gibt ihm grünes Licht. Allerdings hatte er durch Joeys unüberlegten Eingriff in Rosies Auftrag zu wenig Zeit zum Nachdenken. Die Bedingung allerdings steht fest: Finger weg von Drogen und Alkohol, ein Anspruch, dem Ronnie doch nicht gerecht werden kann.

Lonnie will mehr sein als einer der vier in Foray Stables; er möchte Gesprächen beiwohnen, die ihn nicht betreffen. Also versucht er, ein weiteres Pferd zu bekommen. Aber die Stute, die während des Rennens ironischerweise von Leo geritten wird, verletzt sich. Der zweite Unfall für Leo – aber dieses Mal kann er das Pferd rechtzeitig ausbremsen, bevor es sich eine tödliche Verletzung zuzieht. Auch Walter scheint sein Pferd behalten zu dürfen, aber irgendwie bin ich mir sicher, dass in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch lange nicht gesprochen wurde…

Genauso gehört Lonnie die laut Escalante nicht mehr wettbewerbsfähige Stute und sie kann ihm in Zukunft mehrere Champions bescheren. Ein falscher Schritt muss nicht unbedingt das Ende, sondern kann in Zukunft eine zweite Chance bedeuten – oder gar erst recht zum Erfolg führen: zu dem, was man Glück nennt, zum Erfüllen eines Traums. Trotz seiner schlechten Erfahrungen mit Cash Game Poker macht Jerry weiter und versucht sich im Turnierpoker. Gibt es einen Unterschied? Ja, einen großen!

Jerry scheint das Spiel besser zu gelingen, als er in einem Qualifikationsturnier das Ticket für das Hauptturnier der Poker-Weltmeisterschaft (WSOP Main Event) in Las Vegas gewinnt. Und nicht nur das: Er gewinnt auch Naomi, die Dealerin aus seinen epischen Cash-Game-Pokerrunden. Aus dem Turnier wirft er sie hinaus, mit einem Vierer-Pärchen gegen ihre As-König-Hand, aber sie landet direkt in seinem Bett bzw. Auto – wo es dann, um Jerrys Metaphorik gerecht zu werden, geteiltes Vergnügen für beide gibt: Split Pot.

Im Mike-Komplott hingegen wird nur Israels Kopf “split”, gespalten, als er sich mit seinen Worten verrät und Ace zitiert: „Answers a question with a question!“ So liegt für Mike auf der Hand, wem Israels Loyalität gilt, nämlich Ace (Dustin Hoffman). „Syntax is how I know! Syntax!“ Israels Tod (es sah danach aus) ist kein von Ace geplanter Schritt, und man darf wirklich gespannt sein auf Aces Anblick, wenn ihn dieser falsche Schritt aus seinem Ritt bringt. Bernstein verbringt die meiste Zeit der Episode mit Claire und lässt sich das Projekt zeigen, für das er die große Summe spendiert hat. Sowohl Claire als auch Ace wirken in der Umgebung, zwischen den Pferden, entspannt und glücklich.

Im Grunde benutzt Luck Aces Besuch bei Claire und die Nebenhandlung um den kleinen Jungen, den sein “unangenehmer” Onkel bei Escalante und Jo “vergisst”, als eine Art Spiegelung ihrer gegenwärtigen Situation, ihrer emotionalen Verfassung. Denn Jo erzählt Escalante von der Schwangerschaft, während Ace mit dem Pferd im Ruhestand – es ist ungefähr 70 Menschenjahre alt – eine Herz erwärmende Begegnung erlebt. Aber in beiden Fällen handelt es sich um spiegelverkehrte Geschichten: Escalante nimmt die Nachricht gut auf, und Ace ist weit entfernt davon, in Rente zu gehen. Nein, er sitzt mitten in der Nacht wach auf seinem Bett und betrachtet seine Träume…

Luck: Episode 6

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Die sechste Luck-Episode steckt voller Nachrichten und Erschütterungen. Erstere und Letztere sind nicht unbedingt miteinander verbunden, aber man kann schon behaupten, dass gewisse Nachrichten unausweichlich Erschütterungen mit sich bringen. Das ist keinesfalls negativ gemeint, denn Erschütterungen können uns die Augen öffnen für neue Möglichkeiten, neue Wege. Allerdings muss man dafür empfänglich sein. Nachdem Joey endlich seine Ex-Frau gesprochen hat und um so schneller abgespeist wurde, sieht er nur eine einzige Möglichkeit für sich, nämlich keine mehr zu haben: Er will Selbstmord begehen.

Dennoch bekommt er seine Chance, denn die Gegend um Santa Anita wird von einem Erdbeben erschüttert: Die Kugel nimmt einen anderen Weg als den in Joeys Kopf und streift nur seine Wange. Eine Art Zeichen, wenn man es religiös ausdrücken will. Joey wird die Wahl gegeben, einen anderen Weg einzuschlagen – und er trifft sie, sogar sein Stottern ist plötzlich weg. Aber nur für kurze Zeit. So funktioniert Glück: nur für kurze Zeit, wenn man nicht selbst daran arbeitet. Die Szene im Krankenhaus, als Joey anfängt, seinen Namen zu wiederholen und von dem Hemd-Etikett vorliest, ist eine der besten der Episode. Die von der Kugel gestreifte Wange dient ihm fortan vielleicht als Zeichen, als Mahnung, nicht immer wieder Anderen die andere Wange anzubieten.

Er ist nicht wie durch ein Wunder ein anderer Mann geworden. Aber er könnte es von sich aus werden. Als wir das Erdbeben auf der Rennbahn beobachten, können wir nicht umhin, an die Schicksale dieser Menschen (und Pferde) zu denken, die hier auf dem Spiel stehen und die regelmäßig erschüttert werden: An einem Tag scheint alles möglich, und am nächsten wird man unerbittlich in die eigenen Grenzen zurückverwiesen… Was bleibt, ist das Echo dieser Erschütterungen, die Art und Weise, wie durch sie Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Die Erschütterung ist eine Erinnerung: an die Tatsache, dass es mehr als eine Möglichkeit gibt, mehr als nur einen Weg. Was wäre, wenn… ? Dies der Satz, den Claire bei ihrem ersten offiziellen Date mit Ace ausspricht – in einer weiteren großartigen Szene dieser Episode.

Alles ist möglich – und doch nicht. Aber ist es nicht die erste Hälfte des Satzes, die die Lebensgeister allererst bewegt? Die Münzen, die wir in Lucks Vorspann in die Luft aufsteigen sehen, bilden ein ergänzendes Gegenbild zu der wählbaren Chance der Erschütterungen, die wir eben besprachen. Münzen haben zwei Seiten, aber die gelten uns alles andere als gleich: Wir wünschen und hoffen, dass die Münzen auf eine bestimmte Seite fallen. Und falls das nicht klappt, brauchen wir jemanden, der uns selbst auffängt, so wie Jo die uns unbekannte Stahlarbeiterin in die Arme nimmt, als sie nach einem Telefonat plötzlich zusammenbricht. Solche Reaktionen, solcher Kontakt, die Beziehungen, die wir mit anderen eingehen, sind es, die alles möglich machen.

Das Glück liegt zunächst im Anderen. Unser Glück sind unausweichlich die Anderen, und wir können niemals beides: sie in uns einlassen und gleichzeitig uns selbst in Schutz nehmen. Sie werden uns ändern, im Guten oder im Schlechten: das steht auf dem Spiel, nicht direkt das Rennen. Die Pferde sind hier die Träger, die Übermittler – und gleichzeitig, mit ihren großen Augen, die Beobachter dieses Rennens um die Seelen der Beteiligten, die zwischen Tag und Nacht schweben. Die Pferde spüren die Erschütterungen kommen, bevor die Menschen es tun. Tag und Nacht. Luck erschüttert erneut die eigene dramaturgische Struktur, die wir erkannt zu haben glaubten, demonstriert aber damit meiner Meinung nach eindrucksvoll eine der eigenen Hauptaussagen: nämlich, dass unsere Existenz sich in jedem Sinne zwischen Tag und Nacht, zwischen Höhen und Tiefen, zwischen Neuanfang und Rückkehr abspielt.

Es scheint, als hätte Israel diesbezüglich den schwersten Job, denn er steht plötzlich im Mittelpunkt der brenzligen Beziehung zwischen Mike & Co und Ace Bernstein (Dustin Hoffman). Ace schickt Israel zu Mike und seinen Partnern, damit er sich von ihnen kaufen lässt und einen falschen Eindruck davon erzeugt, wen Ace in der Tasche hat und wen nicht. Währenddessen trifft sich Ace mit dem Inhaber Santa Anitas, der sich – genauso wie Aces Parole Officer – sicher ist, dass es für Ace um Persönliches geht. Dieser Inhaber wird übrigens gespielt von Jürgen Prochnow (Das Boot).

In dieser Episode sind es zwei Rennen, denen wir beiwohnen. Im ersten trägt Mon Gateau den Sieg davon, während Gettin’ Up Mornin’ im zweiten die Konkurrenz um Längen hinter sich lässt. Luck findet nach wie vor Wege, jedem Rennen eine persönliche Note zu verleihen und Variationen in der emotionalen Reaktion aller Beteiligten zu kreieren. Trotz Walters Anweisungen kann sich Rosie in der Hitze des Gefechts nicht bezähmen und sichert sich den Sieg, indem sie von der Gerte Gebrauch macht, was bei Walter einen Wutanfall auslöst. Auch Mon Gateaus Sieg, mit Leon als Jockey, gelingt mit ‚Unterstützung’: mit Hilfe eines angeblich versehentlichen Schubsers nämlich, so dass die Kommission über die Rechtmäßigkeit des Sieges entscheiden muss.

Nicht den Pferden, sondern den Menschen fehlt es hier an Vertrauen. Zwar versöhnt sich Walter mit Rosie, aber er hat mit viel schwerer wiegenden Problemen zu kämpfen, die ihm in einem Brief am Anfang der Episode bereits angekündigt wurden und sich an ihrem Ende materialisieren. Und Ace sitzt dieses Mal allein da mitten in der Nacht, da Gus viel zu müde ist, um Gesprächspartner zu sein. Ace kann nicht schlafen, er denkt an Pferde, an Claire… und erschüttert sich selbst mit dem Satz: „What the fuck is wrong with me?“

Luck: Episode 5

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Da Luck mit dieser fünften Episode dem eigenen Ablauf untreu wird, erlaube ich mir, sie von hinten aufzuzäumen und mit dem Ende anzufangen: mit Ace Bernstein (Dustin Hoffman), der schläft und von Pferden und Glück träumt, während im Off Devendra Banhart “Now That I Know” singt. Die Kamera zeigt uns ein extremes Close-Up vom Auge Pint Of Plains, des Pferdes, das Gus und Ace gehört. Denn Ace schläft im Stall, auf einem Stuhl in der Nähe des Pferdes.

Pint weckt ihn mit einem kleinen Stups. Es folgt ein extremes Close-Up von Aces Augenpartie. Die Kamera verbindet Mann und Pferd: zwei, die Rückschläge einstecken können, die nicht aufgeben, sich nicht beirren lassen und das Rennen mit dem Sieg beenden wollen. Für Ace ist es noch nicht so weit – doch Pint hat gerade sein erstes Rennen gewonnen, obwohl ihm das abgefallene Hufeisen (CGI nicht wirklich überzeugend) eines anderen Pferdes eine Platzwunde am Bein verursacht hat. Ironischerweise bedeutet ja das Hufeisen eigentlich Glück…

Zwei Augen – des Mannes und des Pferdes, so fern und doch so nah. Eine stille Liebkosung. Zwar wird sie von uns beobachtet, aber dennoch vermittelt die Szene das Gefühl einer in sich geschlossenen, intimen Begegnung. Das Teilen von Glück mit jemand anderem: eigentlich eine Liebesszene, wie sie Ace mit Claire in dieser Episode nicht erlebt, obwohl sie für längere Zeit an seiner Seite ist.

Dustin Hoffman in der Rolle des Ace Bernstein nimmt, so könnte man sagen, langsam Fahrt auf. In dieser Episode steht Ace mehr oder weniger im Mittelpunkt: nicht nur gemessen an seiner Screentime, sondern auch wegen Hoffmans Performance – von der begeistert-erschrockenen Schusseligkeit, mit der er im Bademantel Claire empfangen muss, über das amüsierte Lächeln, als Gus über sie beide, Freunde und Partner und das kommende Rennen spricht, bis hin zu dem durchbohrenden Blick im Gespräch mit Escalante und schließlich der liebevollen Szene am Ende der Episode.

Diese fünfte Episode paraphrasiert den geflügelten Spruch über geteilte Freude bzw. Glück: Nicht geteilte Freude / geteiltes Glück ist nur halbe Freude / Glück. Aber vor allem zeigt sie uns das dritte wichtige Pferd in Aktion, nämlich Pint Of Plain, der genau wie Mon Gateau und Gettin’ Up Mornin’ sein Rennen (mit Hindernissen) gewinnt. Vermutlich erwartet uns im Finale einen Begegnung der drei auf der Rennbahn.

Und die ist wieder einmal phantastisch fotografiert – vor allem die Morgengrauen-Aufnahmen, nachdem sich Gus und Ace überraschend in der Mitte der Episode schlafen legen, die zwei Tage anstatt nur einen umfasst.

Wir sehen den Vorbereitungen auf das Rennen, den Alltagstätigkeiten zu: in den Pastellfarben eines langsamen Wachwerdens. Als wäre die Farbe am Malerpinsel noch nicht getrocknet, erschaffen die ersten Sonnenstrahlen neue, noch zu entdeckende Details im Bild. Dieses Erwachen spiegelt die Erzählung an sich, die Sanftheit, mit der Details über die Figuren mitgeteilt werden – sei es Joeys (Richard King) langsame Auflösung, als er vergeblich mit seiner Ex-Frau sprechen will und nur den Anrufbeantworter erreicht, oder aber Marcus und seine gesundheitlichen Probleme.

Ein Teil dieser Probleme ist Stress, sagt der Arzt und gibt ihm Valium. Als hätte man die Vorhänge vor dem eigentlichen Marcus zur Seite gezogen, sehen wir und Jerry nun, was dahinter steckt: nämlich ein gestresster Marcus – gestresst aus Sorge um seinen geliebten Freund Jerry. Nein, Marcus wird nicht zu den „fag wheelchair Olympics“ fahren, wie Jerry es ausdrückt. Dafür aber zur Rennbahn: mit seinen Freunden (in den neuen “Foray Stables”-Shirts), mit denen er Glück und Freude teilt.

Und wenn er ein Gegenüber zum Reden braucht? Nun, da findet sich immer jemand, wie auch bei allen anderen Beteiligten. „You have somebody to talk to?“ fragt der Arzt Marcus. Nach kurzem Überlegen antwortet er: „A horse…“

Luck: Episode 4

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Mit dieser für meinen Geschmack phantastischen vierten Episode hat Luck definitiv auch die letzten Ich-warte-ab-was-passiert-Zuschauer verloren. Weder gibt es ein Zurück für diejenigen, die seit Anfang der Serie dabei sind, noch einen Neueinstieg für weitere Zuschauer. Die dramaturgische Struktur der einzelnen Episoden, über die wir letztes Mal sprachen, hat sich etabliert, und jeder weitere Schritt bzw. Ritt führt immer tiefer hinein in diese Welt und in die Seelen der Figuren, die sie bevölkern.

Ihrer sind nicht wenige, und man muss es der David-Milch-Erzählung hoch anrechnen, mit welcher Liebe zum Detail, zu den kleinen Augenblicken im Leben des Einzelnen sie den Zuschauer durch die Episoden führt. Es gibt unterschiedliche Strategien, um eine breit gefächerte Geschichte aufzuziehen. Luck wählt die für ein Massenpublikum “unpassendste”, indem die Serie anstatt großer Ereignisse Stück für Stück Details preisgibt: über die Figuren, ihr Leben und wie und warum sie es so führen und nicht anders. Slow Motion: davon macht die Serie Gebrauch, sowohl im technischen als auch im metaphorischen Sinne.

Sehr bezeichnend ist da natürlich die Pferderennen-Musikmontage in der Mitte der Episode. Trotz zunehmender Geschwindigkeit der Pferde wird alles immer langsamer, die Kamera streicht über die Gesichter sämtlicher Beteiligter – ganz egal, ob sie sich gerade in der Nähe oder ganz woanders befinden. Denn in Gedanken sind sie alle immer dort: an der Rennbahn. Jede kleine Regung auf diesen Gesichtern versucht man einzufangen, als ob man Angst hätte, etwas Wichtiges zu verpassen, was wir über diese Figuren wissen müssen.

Rosies Sieg hat definitiv etwas Rührendes an sich, etwas Befreiendes: eine Sekunde Glücksgefühl darüber, dass überhaupt jemand gewonnen hat in einer Welt, wo eigentlich niemand wirklich gewinnt. Gettin’ Up Mornin’ ist nicht Walters Pferd, sondern es ist Walter selbst, es sind alle.

Die Bilder fangen die ultimative Schönheit eines Gefühls ein, das uns nur unsere Obsessionen geben. In diesem Augenblick gehört der Sieg irgendwie allen, deren Geschichten wir vor und nach dem Rennen wieder separat voneinander betrachten dürfen. Denn sie alle sind allein – manche gar verloren, wie zum Beispiel Jerry. Er kann nicht vom Poker wegkommen und lässt sich auf ein Heads-Up-Match mit Leo ein. Im Cash Game zwei Buben preflop wegzuwerfen, zeugt nicht von Besserung, Jerry! Obwohl die Hand mit dem Siebener-Pärchen bitter war – bitterer noch als mein später Ausstieg gestern Nacht in Party Pokers 200K-Turnier…

Aber Luck erzählt nicht davon, wie Jerry sein Pokerspiel verbessert, sondern davon, wie er sich dabei fühlt – und von seiner Hoffnung, dass es besser wird. Vielleicht steht das Glück ja doch einmal auf seiner Seite? Während Rosie das Glück in der eigenen Überzeugung, in ihrer Leidenschaft und in einem Gebet sucht – und es dann auch findet, sowohl auf Gettin’ Up Mornin’ als auch auf Leon -, ist Ace Bernstein (Dustin Hoffman) weiterhin damit beschäftigt, sein Glück zu erzwingen bzw. das Rennen gegen seine alten Komplizen zu machen. Denn vor allem mit den kleinen Szenen um Leon und mit Joeys pathetischem Monolog lehrt uns Luck, dass wir unsere Chance ergreifen müssen, wenn sie da ist: egal wie klein.

Andernfalls sind wir selbst schuld. An Aces Schicksal freilich trägt jemand eine besondere Schuld, nämlich Mike (ein großartiger Michael Gambon). Mit ihm trifft sich Bernstein, um ihm einen Teil des zukünftigen Glücks anzubieten: einen Teil von seinem Projekt. Mike ist durchaus interessiert, aber mehr daran, wie Ace ihn aufs Kreuz legen will. Es sieht nach einem gefährlichen Katz-und-Maus-Spiel aus, das noch nicht einmal richtig angefangen hat, aber den Beteiligten alles abfordern wird. Ace ist bereit, eine hohe Geldsumme in Claires Projekt zu investieren. Kann Claire zu seinem Glück beitragen? Oder ist er nur auf seinen Plan fixiert? „Answers a question with a question“, würde Bernstein antworten, bevor er und Gus dem Schlaf zum Opfer fallen und träumen: von Pferden und vom Glück.

Luck: Episode 3

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Wenn Massive-Attack-Songs in TV-Erzählungen benutzt werden, stellt sich bei mir stets das Gefühl ein, in einen hypnotisch sicheren Zustand gewiegt zu werden. Man lässt sich treiben, ohne zu merken, wie der Boden unter den Füßen verschwindet. Umso passender, dieses Gefühl in einer Serie über das Glücksspiel zu erzeugen. Wie schon mehrmals angemerkt wurde, richtet sich Luck an diejenigen, die sich auf die Erzählung über diese Welt einlassen wollen oder aber selbst einmal mit ihr in Berührung gekommen sind.

Luck nimmt sich auch in dieser dritten Episode Zeit, um in diese Welt einzuführen und über das Spiel mit dem Glück und das Glücksspiel zu berichten. Erfolgreiches Spiel und freier Fall liegen dicht beieinander, wie wir sehen. Manche sind der Geschwindigkeit des Spiels nicht gewachsen, andere fordern ihr Glück zu sehr heraus, und wieder andere wählen nicht unbedingt die richtige Herangehensweise – oder sogar alles auf einmal. Doch gleichgültig, wer wie handelt und wer welchen Zweck verfolgt: Jeder darf an dem Spiel teilnehmen. Und es geht nicht nur um Pferdewetten.

Als Gus (Dennis Farina) etwas später in der Episode dem jungen Finanzgenie seine Frage, ob er das Bad benutzen dürfe, beantwortet mit: „America, kid“, so sagt er damit etwas über das “Spiel” an sich. Übrigens erinnert mich dies an die Eröffnungssequenz einer anderen HBO-Serie, an einen TV-Roman: The Wire, die beste TV-Serie, die ich bisher gesehen habe. An ihrem Anfang also spricht Detektiv McNulty mit einem der Straßendealer über den Mord an Snotboogie: „I got to ask you. If every time Snotboogie would grab the money and run away, why’d you even let him in the game?“ Zeuge: „What?“ McNulty: „If Snotboogie always stole the money, why’d you let him play?“ Zeuge: „You got to, this America, man.“ Das kann man nur mit einem anderen geflügelten Satz aus The Wire kommentieren, der von Omar Little stammt: „All in the game, yo, all in the game.“ In dem Spiel, das die Luck-Autoren aufziehen, zeichnet sich ein deutliches Muster ab, das wir schon letztes Mal angesprochen haben.

Orientierungspole scheinen Ace Bernstein (Dustin Hoffman) und Walter (Nick Nolte) zu sein, zwischen denen sich der Rest bewegt; in der Mitte jeder Episode findet ein Rennen statt. Am Anfang der Episode werden Ace und Walter in aufeinander folgenden Szenen aus derselben Kameraperspektive gefilmt, was die Verbindung zweier älterer Männer hervorhebt, die ihre Leidenschaft fürs Spiel niemals aufgeben. Wie schon erwähnt, werden wir in dieser Episode Zeugen eher vom Fallen als vom Rennen.

Zwei männliche Jockeys erleben einen rein physischen Fall, einer auf der Rennbahn und ein anderer nach dem Sauna-Besuch. Winkt Rosie die Chance, das Rennen mit Walters Pferd zu machen? Wir werden sehen. Die Gambler-Welt mag hypnotisch und eintönig erscheinen, aber schneller als überall sonst kann sich das Glück im Handumdrehen ändern – und damit ein ganzes Leben und die Schicksale aller, die mit dieser Welt in Verbindung stehen. Wie Tag und Nacht. Vom Morgen bis zum Abend, wie die Dauer der Luck-Erzählung pro Episode.

Aufwachen und Einschlafen gleichen einander insofern, als sie Hoffnung in sich bergen – zumindest für die vier frisch gebackenen Millionäre und ungleichen Partner: Hoffnung vielleicht auf mehr als nur die bisherige Existenz. Sie schaffen es, dem Cowboy das Pferd abzukaufen und zum Training zu Escalante zu geben. Besonders rührend wirkt die Szene, als sich die vier mit kindlicher Freunde und Angst zugleich dem Pferd nähern, um es zu streicheln. Ein Traum scheint in Erfüllung zu gehen.

Wovon träumt Ace Bernstein? Er ist zu müde, um noch darüber zu sprechen. Die Episode endet wieder mit ihm und Gus, die, auf dem Bett und im Sessel, über die Ereignisse sprechen. Aber nicht lange, denn sie schlafen ein und träumen… von Pferden und Glück.

Luck: Episode 2

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Obwohl bislang nicht viele Zuschauer ein Auge auf Luck werfen wollten, setzt HBO auf dieses Pferd. Wie bei einem echten Pferderennen fließen mehrere Faktoren in die Wette ein, und manchmal kann sogar das Glück entscheiden. Was aber ist Glück? Existiert es tatsächlich? Oder wurde das Wort von den Verlierern erfunden, um ihre Niederlagen zu rechtfertigen?

Luck handelt zwar von Glück – aber nicht davon, ob man es hat oder nicht, sondern von der Zusammensetzung dessen, was wir Glück nennen. Lässt sich Glück erzwingen, und wenn ja, um welchen Preis? Lässt sich präzise Vorbereitung auf einen Erfolg als Glück verkaufen? Und warum? Im Vergleich zur Pilotepisode verbringen wir diesmal weniger Zeit auf der Rennbahn – aber doch genug, um dank dieser Aufnahmen wieder das halluzinatorische Gefühl von Ohnmacht, völliger Vergessenheit und gleichzeitig Glückseligkeit aufkommen zu sehen: wie die kleinen Staubpartikel, die in der Nachmittagssonne aufgewirbelt werden, um dann wieder zurück zu Boden zu sinken.

Genauso wirbelt Luck in dieser zweiten Episode mehr aus den Geschichten der einzelnen Beteiligten auf, sei es durch einen eindringlichen Monolog, einen Pferdekauf, ein Pokerspiel oder “die Stimme aus der Hose”. Jede/r will das eigene Glück versuchen, ob mit Frauen, Wetten, Poker oder als Jockey. Alle werden getrieben von Leidenschaft, von Liebe – zur Rennbahn zwar, aber letztendlich gilt die Liebe jenem Gefühl, das ich oben beschrieben habe. Für manche ist dieses Gefühl eine Erinnerung, oft eine schmerzvolle; so etwa für Nick Noltes Walter, der in einem wunderschönen Monolog dem Jockey-Veteran Ronnie vom Tod des Pferdes Delphi erzählt („Kentucky quality killed Delphi“).

Die tiefe Trauer dieser Geschichte trifft Ronnie stärker als die Tatsache, dass beim nächsten Rennen er und nicht Rosie Walters Pferd reiten wird. Rosie (Kerry Condon) bleibt nach wie vor die einzige Frau, die in Luck über ein bloßes Auftauchen im Bild hinauskommt. Wenn sie auch in dieser Männerwelt vorerst verloren scheint, spürt man ihre leidenschaftliche Energie und ihr Suchen nach ihrer Möglichkeit. Wenn man dann aber einmal diese Möglichkeit bekommen, den Durchbruch geschafft, Glück gehabt hat – was macht man daraus?

Diese Frage verbindet alle Beteiligten. Lebt man für immer in den Erinnerungen daran, oder plant man für die Zukunft, um eine Wiederholung jenes Glücks zu erzwingen? Luck setzt die vier Jackpot-Gewinner aka „gambling degenerates“ um Marcus (Kevin Dunn) ein, um einen Blick auf diese Frage zu werfen. Während Marcus, die Seele des Teams, mehr ist als ein erhobener Zeigefinger, nämlich eher eine Maschine für trostlose und präzise Schimpftiraden, hegen die restlichen drei eigene Vorstellungen davon, wie sie mit dem Gewinn umgehen sollen.

Man muss sagen, dass die Szenen mit Lonnie und den zwei Frauen, die ihn umzubringen versuchen, die humorvolle Note nicht trifft, falls eine solche beabsichtigt war. Im Gegensatz dazu erscheinen die Geschichten um Jerry und vor allem Renzo umso gelungener. Renzo versucht trotz seiner kindlichen Art als Einziger, aus dem Gewinn etwas zu machen – nicht nur für sich, sondern für die ganze Gruppe. Er will ein Pferd kaufen. Obwohl der Versuch misslingt, bringt uns diese Nebenhandlung tiefer in diese Welt hinein und erklärt uns Abläufe und Gegebenheiten.

Jerrys Pokersucht (schlechter Call, Jerry, nur die Dame getroffen auf diesem Board…), die er in vollen Zügen auslebt, zeigt, dass Glück bei einer Gambling-Art nicht automatisch Glück bei einer anderen bedeutet. Es kommt auf die Fähigkeiten an. Und Poker, umstritten in Medien und Meinungen, gibt eine gute Metapher dafür ab, dem eigenen Glück auf die Sprünge helfen zu können. Glücksspiel oder nicht? Ace Bernstein (Dustin Hoffman) wäre bestimmt meiner Meinung: Zwar ist durchaus Glück im Spiel, aber letztendlich hängt es von den eigenen Fähigkeiten ab, ob man als Gewinner oder Verlierer aus der Sache hervorgeht. Disziplin und Langzeitplanung zahlen sich aus – und die Scharfsinnigkeit, die Züge Anderer zu erkennen: „Looks like you took a beat on a game you ran“, sagt Ace zu Escalante.

Er durchschaut Escalantes (John Ortiz) Spielchen, Kalkulation als Glück aussehen zu lassen und so die Odds zu Gunsten seiner eigenen Wetteinsätze zu treiben. Wir wiederum erhalten erste Einblicke in Aces Plan, sich an DiRossi, Cohen und Mike zu rächen. Obwohl auf den ersten Blick unauffällig, spürt man buchstäblich, wie Aces Präsenz an Gewicht zunimmt. Offenbar verwenden David Milch & Co die ruhigen Szenen zwischen Ace und Gus (Dennis Farina) im Hotelzimmer als dramaturgischen Eingriff zum Abschluss einer jeden Episode, um die Ereignisse zusammenzufassen, darüber zu philosophieren und zu zeigen, dass diese alten Männer ihr Glück zu erspielen wissen.

Luck: Episode 1

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Ein Pferdeauge, Schweißtropfen, hastige Bewegungen vor dem Hintergrund der aufgehenden Sonne, die in unscharfen Kontrasten das Bild in Orange und Gelb taucht. Dabei das Gefühl von Unausweichlichkeit voller menschlicher Gier und Melancholie. So kann man den Eindruck des neuen HBO-Piloten zusammenfassen – und warten, bis im Januar das Bild deutlichere Umrisse bekommt. Obwohl ich, ehrlich gesagt, bezweifle, dass sich Luck um klare Umrisse und deutliche Kontraste dreht; es sieht sehr nach einer Serie aus, die ihre Kraft aus dem wechselnden Fokus schöpft, aus dem Überlappen und Verwischen.

Dafür verfügt man über einen ziemlich großen Cast: Wir bekommen eine Menge Figuren zu sehen – manchen Zuschauern dürften es zu viele gewesen sein. Und es dauert seine Zeit, bis man überhaupt herausfinden kann, worum es hier geht. Kreiert von David Milch (Hill Street Blues, Deadwood), wendet sich Luck mit seiner Pilot-Episode nicht unbedingt an die breite Masse, sondern an ein Publikum, das weiß, was es zu erwarten hat und bereit ist, Geduld und Mitarbeit zu investieren, um den Zugang zur Serienwelt zu finden. Denn Lucks Welt ist, als wir sie betreten dürfen, fertig, mitsamt Geschichten und Konflikten.

Der Kontext bleibt oft vage, viele Bemerkungen scheinen auf den ersten Blick nur für andere Figuren Sinn zu ergeben. Oft springen wir mitten in eine Konversation hinein – oder der Austausch verläuft wortlos, aber emotional, etwa zwischen einem Jockey und seinem Pferd. Man versteht einander – und für uns Zuschauer besteht die genussvolle Herausforderung darin, ebenfalls zu diesem Verständnis zu finden. Regisseur Michael Mann („Heat“, Miami Vice) hat sich darum gekümmert, dass die Bilder das Sprechen übernehmen. Die visuelle Gestaltung der Episode ist grandios und erzählt mehr als die Worte selbst. Bilder liefern die Erklärung für die Faszination dieser Welt als einer Kombination aus Geld, von Adrenalin triefender Begeisterung und… Schönheit.

Die Kamera fängt das alles ein, sei es die Musikmontage am Anfang oder aber die vielen wechselnden Close-Ups von Menschen- und Pferdeaugen bei den Pferderennen. Die Kamera nimmt sich viel Zeit für die Pferde, so, als wären sie den menschlichen gleichwertige Figuren in dieser Serie. Die mit Abstand rührendste Szene ereignet sich natürlich, als sich ein Pferd im Rennen das Bein bricht und nachher eingeschläfert werden muss.

Auch versetzt uns der subjektive Blickwinkel der Kamera sowohl in die Perspektive eines rennenden Pferdes als auch in die unterschiedlicher Figuren, wie zum Beispiel am Ende der Episode, als wir mit Gus’ Augen Ace auf dem Bett liegen sehen. Zwischen den Adrenalinschüben, die die Pferderennen bieten, treffen wir auf eine Menge interessanter Figuren. Chester “Ace” Bernstein (Dustin Hoffman) wird gerade entlassen – nach drei Jahren Haft, die er absaß, um andere “Kollegen” vor dem Fall zu bewahren. Sein Fahrer, Freund und vermutlich rechte Hand Gus (Dennis Farina) holt ihn ab.

Die Beziehung der beiden Männer besitzt eine Selbstverständlichkeit, die ungezwungen daherkommt und tief in vergangenen Ereignissen zu wurzeln scheint. Dabei ist Ace in jeder Hinsicht zurückhaltend (bis auf eine Szene), so sehr, dass man überhaupt nicht mit ihm “warm” werden kann. Das Gefühl, das er in uns hervorruft, lässt sich wohl am besten als “vage” beschreiben – ob eher positiv oder eher negativ konnotiert, kann ich nicht sagen. Genauso unschlüssig fühlt man sich bezüglich des Pferdetrainers Escalante (John Ortiz), des Jockeys Goose (Jeffrey Woody Copland), seines Agenten Porky Pig (Richard Kind) und “The Old Man” (Nick Nolte).

Eigentlich verbringen wir die meiste Zeit mit dem Quartett aus „gambling degenerates“ (Selbstbeschreibung), in dessen Zentrum Marcus (Kevin Dunn) mit seiner Sauerstoffmaske im Rollstuhl sitzt. Alle vier bilden eine schwarzhumorige Metapher darüber, wie Glück und Unglück gleichzeitig dasselbe bedeuten können – und diese Metapher dürfte nach dem großen Gewinn, den sie landen, in Zukunft noch schwärzer werden… An der Frauenfront wäre zu kritisieren, dass abgesehen von der Tierärztin (Jill Hennessy, Crossing Jordan) und dem weiblichen Jockey weit und breit nichts zu sehen ist…

Aber es ist bisher ja nur eine Episode gewesen, und außerdem scheint Luck eine Serie über kauzige, vorwiegend ältere Männer zu sein, die einen Kampf um das führen, was mal war und was noch werden soll. Obwohl schon im Piloten Einiges geschieht, ist Luck im Moment noch der Dampf, den man von den Pferdekörpern hochsteigen sieht: ein Versprechen von Glück, Begeisterung und Schönheit.