Judgment Day ist als Finale tatsächlich ein Höhepunkt: nicht nur der dritten Staffel, sondern der USA-Serie insgesamt. Warum? Nicht wegen der Kombination aus allen Elementen, die eine Fall-der-Woche-Episode genießbar machen, sondern vor allem wegen der Situation, in die alle Figuren manövriert werden. Sie müssen sich entscheiden: aufgrund der kompletten Vorgeschichte ihrer Beziehungen. Also heißt es, alles Revue passieren zu lassen, um Konsequenzen ziehen, bevor es zu spät ist. Ich fand den Ablauf der Episode sehr gelungen, der hin- und herwechselt zwischen den Aussagen aller Personen aus Neals (Matt Bomer) Umfeld und der tatsächlichen Lage, in der sich Neal gerade befindet. Somit bilden die Gespräche bei der Anhörung eine Art Rahmen, innerhalb dessen das Gemälde im Minutentakt seine Farben ändert. Eigentlich hat die Bildmetapher für White Collar als Ganzes immer gut gepasst, und Judgment Day stellt das erneut unter Beweis.
Neal versucht eher, sich mit dem Rahmen seiner Vergangenheit zu arrangieren, als unbedingt aus ihm auszubrechen: Was er will, ist ein Stillleben. Und wie es Peter am Ende in seiner Aussage so schön fasst, muss man Neal die Möglichkeit geben, seine Farben zu zeigen. So lange er wie das Raphael-Gemälde in einem Karton “verpackt” bleibt, wird man sich nie das buchstäbliche Bild von ihm machen können. Agent Kramer allerdings hat sich dieses Bild schon ausgemalt. Wie er zu Peters Entsetzen im Gespräch gesteht, will er Neal weiterhin offiziell ans FBI “gebunden” halten, wie einen Hund an der Leine. Und der Hund soll ihm dienen und nicht Peter.
Im Grunde macht Kramer (Beau Bridges) einen ganz persönlichen Zug: Weil Peter die Beziehung zu seinem Informanten, Helfer und Mitarbeiter Neal anders erfährt, als es in Kramers Leben geschehen ist, versucht er Peter diese Freundschaft wegzunehmen. Jeder teilt hier mit jedem eine Geschichte, die die momentane Verfassung der Beteiligten und die daraus resultierenden Entscheidungen beeinflusst. Welche Geschichte teilt nun aber Neal mit einer gewissen Ellen Parker, die, wie wir erfahren, im Rahmen des Zeugenschutz-Programms auf der Roosevelt-Insel wohnt? Dort nämlich hat Neal das Raphael-Gemälde versteckt – und dorthin geht er jetzt, um es zu holen.
Denn um Neal Zeit zu verschaffen, versichert Sara Kramer, dass ihre Firma im Besitz des Gemäldes sei und Neal deswegen nicht belangt werden könne. Das schöne visuelle Bildmotiv zieht sich durch sämtliche Szenen zwischen Neal und Ellen. Als er sie umarmt, sehen wir die beiden im eingerahmten Spiegel, als ob sie selbst ein Gemälde darstellen würden. Auch später auf der Terrasse nähert sich die Kamera den beiden von innen nach außen durch ein Fenster, das sie zwischen allen Blumen einrahmt. Ein Stilleben der Vergangenheit? Viel über dieses Innen-Stilleben erfahren wir nicht, nur die Bestätigung, dass Neals Vater tatsächlich ein korrupter Polizist wurde, dass Neal unbedingt auf die Polizeiakademie wollte und dass Ellen seit Jahren nichts von Neals Eltern gehört hat.
Lustigerweise zeigt das Raphael-Gemälde St. George, und wie wir hören, ist George Neals zweiter Vorname… Der Inhalt rahmt den Rahmen ein! Nachdem Diana, Peter und Sara Neal aus der Klemme geholfen haben, findet Kramer einen anderen Umweg, um an ihn heranzukommen. Nur ist Neal dank Peters Warnung nicht mehr da! Er sitzt mit Mozzie im Flugzeug, und die Sonne streicht über seine unentschlossenen Gesichtszüge – ein Lächeln, Trauer, Ungewissheit, Erleichterung… Freiheit? Die Zukunft scheint definitiv kein Stillleben zu werden. Und mit diesem Ende macht White Collar für die kommende vierte Staffel alles möglich.