Viele Zuschauer haben sich die Frage gestellt, wie es wohl Abu Nazir gelungen ist, amerikanischen Boden zu betreten? Die Frage ist: Das ist absolut irrelevant. Homeland ist keine Dokumentation über Terroristen, sondern eine fiktionale Erzählung. Andererseits – im “normalen” Leben sind schon Sachen geschehen, die sich ein Autor nie getraut hätte, als fiktionale Ereignisse niederzuschreiben, weil niemand es glauben würde. Der Logik zu folgen ist natürlich wichtig, aber man muss der Logik der Serie selbst folgen. Homeland hat uns erzählt, dass Abu Nazirs Organisation viel mächtiger ist, als ähnliche Organisationen im “realen” Leben. Aus diesem Grund braucht man keine Zeit vergeuden, um sich nach Abu Nazirs Ankunft Gedanken zu machen. Die Auswirkungen dieses Ankunft sind wichtig und die Frage, die sie aufwirft: Wie viel kann man über einen Menschen wissen, wenn man ihn auf Schritt und Tritt beobachtet? Alles?
Was ist, wenn er eine Rolle spielt? Und wenn diese Rolle ein Teil von ihm selbst ist? Erkennt man dann “das Spielen”? Wir als Zuschauer sehen auch Homeland Episode für Episode und versuchen herauszufinden, was das “Endgame” ist? Wissen wir alles über die Figuren und ihre Rollen? Nicht wirklich. Jeder ist ein Terrorist, bis das Gegenteil bewiesen ist. Das Thema der Überwachung beschäftigt die Menschheit seit langer Zeit, aber man stellt selten die Frage nach der Überwachung als Norm und nicht als Ausnahmesituation. Damit ist die Gesellschaft gemeint, in der Aufnahme und Übermittlung von bewegten Bildern Alltag ist, normal ist. Die Menschen sind sich ständiger Überwachung bewusst. Um zu Homeland zurückzukehren: Wenn Menschen damit rechnen, beobachtet und überwacht zu werden, verraten sie dann ihre wahren Ziele? Natürlich nicht.
Damit sind wir wieder an dem Punkt angelangt, mit dem Homeland so gern arbeitet: Paranoia. Verhandlungsexperten sagen, dass er unnötig ist mit einem paranoiden Menschen Freundschaft schließen zu wollen. Solche Menschen erwarten nie Gutes und versuchen immer herauszufinden, wie das Gegenüber sie über den Tisch ziehen will. Wenn eine Sportmannschaft vor dem Spiel im Stadion einen Kreis bildet, damit die Spieler sich gegenseitig anfeuern, ist der paranoide Mensch im Publikum derjenige, der denkt – die Sportler bilden einen Kreis, um über ihn heimlich zu reden.
Saul, Carrie, Quinn und Estes reden über Brodys Geschichte mit Abu Nazir, aber sie können sich trotz Carries Behauptungen nie wirklich sicher sein, was in Brody vorgeht und was wirklich war. Wir als Zuschauer glauben es zu wissen, aber haben wir nicht auch nur Ausschnitte gesehen?
Darin besteht die Arbeit von Saul und Carrie, nämlich solche einzelne Teile des Puzzels zusammenzustellen, so dass sie einen Sinn ergeben. Hier führt das Puzzeln zur Verhaftung von Roya und ihren Komplizen, aber Abu Nazir bleibt da draußen.
Roya gehörte im Prinzip zu der Reihe an Fragezeichen, was ihre Rolle im ganzen Spiel betrifft. Wie es aussieht, haben sich die Autoren doch dazu entschieden, keine Wendungen und Drehungen für Roya zu benutzen, bis vielleicht auf den kleinen Augenblick der Täuschung während des Verhörs.
Das andere große Fragezeichen ist Quinn gewesen. Und auch in diesem Fall bekommt man Klarheit. Quinn ist ein Profi-Killer, der Brody ausschalten muss, nachdem dieser nicht mehr gebraucht wird. Diese Tatsache bringt mehrere Probleme mit sich, wenn Saul mit Carrie seine Erkenntnisse teilen würde oder sie es von allein herausfindet. Der Versuch ihn umzubringen, könnte Brody wiederum zurück in die Arme von Abu Nazir schicken. Aber will er ihn wirklich zurück oder braucht er ihn nur für seinen Plan? Egal welche Entscheidung Brody trifft, ist er nicht einmal in Carries Armen sicher… Aber, um wieder zu den Anmerkungen vom Anfang des Reviews zurückzukehren, wir wissen nicht wirklich, was passieren wird, obwohl wir aufmerksam betrachten. Dazu lädt uns letztendlich Homeland ein, zu beobachten – Brody, Carrie, Saul, David, Quinn – in dem Versuch herausfinden, was in ihnen vorgeht…