Mit dem Schriftzug “The Nation Is An Open Wound” öffnet die neue AMC-Serie Hell on Wheels ihre Pforten zu der Hölle menschlicher Obsession: Rache, Gier, Betrug und die Unmöglichkeit des geraden Weges – auch wenn man den eigentlich geplant hatte. Der Weg verändert einen, zwingt den Gehenden zur Abschweifungen, zu Fehltritten, zum Verlust des Ziels, das einmal am Horizont zu glänzen pflegte. Wie sich die neue Eisenbahn über die Landkarte schlängelt, so sollen sich die Schicksale der in Hell on Wheels auftretenden Figuren schlängeln.
Um mit den eröffnenden Worten gleichzuziehen, präsentiert die Serie sehr rasch ihre Hauptfigur und belegt die offene Wunde mit Bildern. Cullen Bohannon (Anson Mount) ist ein ehemaliger Soldat auf der Suche nach den Männern, die im Krieg seine Frau töteten. Erste Station ist eine Kirche, in der Cullen die Beichte eines Soldaten abnimmt, bevor er ihm in den Kopf schießt. Ein spektakulärer Anfang – wenn auch etwas überspielt, wie in meinen Augen auch der gesamte Pilot daherkommt.
Viel zu oft schreit Hell on Wheels heraus: „Wir sind im Wilden Westen, und es wird blutig werden!“ Mit den ersten Sekunden bemüht sich die Serie, uns nicht nur mitzuteilen, worum es hier geht, sondern auch, wie wir das Gesehene empfinden sollen. Um möglichst viele Zuschauer mitzunehmen, muss man freilich Vieles schon im Piloten offen legen: sei es die Wunden der Protagonisten, sei es die Art, wie man die Erzählung konstruieren will.
In meinen Augen wählt Hell on Wheels einen interessanten Ansatz, und man kann nur hoffen, dass die AMC-Serie sich dem gewachsen zeigen wird. Obwohl sich Hell on Wheels nah am italienischen Western bewegt, was Atmosphäre und Figuren betrifft, setzt sich die Serie doch mit Geschichte auseinander. Man könnte vorsichtig behaupten, dass die AMC-Produktion eine Mischung aus beidem zu sein versucht.
Hell on Wheels legt den Finger genau an die richtige Stelle: an den Punkt nämlich, wo Zusammenbruch und Aufbruch Hand in Hand gehen. Aus Genre-Perspektive versucht die Produktion, angelehnt an die gewalttätige Sprache des Italo-Western und die düsteren Bilder des Spätwestern von Sam Peckinpah (The Wild Bunch), eine Erzählung zu schaffen, die die individualistische Suche nach Rache und Freiheit, den Wertezerfall und die brutale Gewalt umkreist, auf welcher die ‘Zivilisierung’ des Westens beruht.
Cullen Bohannan (Anson Mount) allerdings befasst sich vorerst weniger mit Werten und Fortschritt: Wenn er gerade einmal nicht betrunken mit dem Kopf auf dem Tisch liegt, sucht er nach den Mördern seiner Frau. Mount gefällt mir gut in der Rolle, und seine Inszenierung weckt teilweise alte Django-Gefühle. Auch die Gesamtinszenierung ist solide, die ausgeblichenen Farben tun ihren Job, auch wenn es manchmal – vor allem in den Waldszenen – aussieht, als wären die Blätter von Schnee bedeckt.
Die Suche des ehemaligen Südstaatensoldaten führt ihn zu dem Camp “Hell on Wheels”, das wie eine Stadt auf Rädern der für die Indianer höllischen Eisenbahn den Weg bereitet. Koste es, was es wolle. Union Pacific wird von Thomas “Doc” Durant (Colm Meaney) geführt, der zu allem bereit ist, um seine Taschen zu füllen; auffälliger Weise neigt er in diesem Piloten zu ewig langen Monologen. Manche davon, wie am Ende der Episode, finden auch im leeren Raum statt und richten sich nur an uns Zuschauer.
Obwohl Meaney eine an sich gute Performance abliefert, inszeniert ihn die Serie etwas „over the top“. Es erscheint überflüssig, uns die offene Wunde immer wieder zu zeigen, uns daran zu erinnern, welch harten Zeiten wir gerade beiwohnen und wie in solchen Zeiten verfahren wird. Es ist, als würde man alles zusammenfassen, was geschah und noch geschehen wird, alle Moralprobleme, alle Emotionen, die jene Zeiten mit sich bringen und die Hell on Wheels hiermit verspricht. Die Frage ist, ob und wie die AMC-Serie das Versprechen halten wird.
Nach dem Piloten käme ein Urteil zu früh, denn hier bewegt sich Hell on Wheels auf der sicheren Seite und tut alles, was man von einem Western erwartet. Das ist nicht unbedingt schlecht, sobald wir mehr über die Nebenfiguren erfahren und mehr Handlungsstränge aufgebaut werden. Im Piloten sehen wir nur einen Hauch davon, da dieser zu viel Zeit fürs Vor- und Versprechen verbraucht.
Die Figur des ehemaligen Sklaven Elam Ferguson (Common), der mit Bohannon über die Ermordung des Hell on Wheels-Kommandanten Daniel Johnson eine Verbindung aufbaut, weckt Interesse. Etwas pathetischen und aufgesetzten Unterhaltungen zum Trotz – etwa Bohannon: You got to let go of the past. Ferguson: Have you let it go? – ist die Chemie zwischen den beiden vorhanden. Johnson gehört übrigens zu den Männern, die Cullens Frau töteten, und verrät ihm vor seinem Tod, dass es da noch den „Hauptbösewicht“ gibt: den Anführer der damaligen Soldatengruppe.
Ohne weitere Hinweise wird sich Cullen schwer tun, jemanden zu finden, von dessen Existenz er vorher nichts wusste. In der Zwischenzeit lernen wir einen von Durants Leuten kennen, der die Eisenbahn-Streckenkarten erstellt, und seine Frau Lily Bell (Dominique McElligott). Ein kurzes Vergnügen für ihn (immerhin aber ein Vergnügen mit Lily im Zelt in der Nacht davor), denn Indianer, die leider wie Karikaturen ihrer selbst durch die Gegend laufen, greifen das Lager an und töten alle.
Bis auf Lily, die verletzt fliehen kann. Also wird sie auch weiterhin eine Rolle spielen – die irischen Brüder Sean und Mickey McGinness (Ben Ester, Phil Burke) vermutlich ebenfalls, die Cullen im Zug trifft, und auch der zum Christentum konvertierte Indianer Joseph Black Moon (Eddie Spears), der mit Reverend Nathaniel Cole (Tom Noonan) in Hell on Wheels eintrifft. Gern zeigt Hell on Wheels Silhouetten seiner Protagonisten – und Silhouetten bleiben sie in diesem Piloten. Ich bin gespannt, wie sich die AMC-Produktion weiter entwickeln wird.