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The State Within

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In einem Artikel aus dem Jahre 2003 spricht der damalige britische Umweltminister Michael Meacher von „Bush’s war on terror“ als Krieg um Öl. Er legt nahe, dass die 9/11-Attacke hausgemacht gewesen sei, um den Grund für einen Krieg zu liefern. Neben dem Öl sei es natürlich, so Meacher, auch um den Wiederaufbau und die damit verbundenen Milliarden-Verträge für Bauunternehmen gegangen. Der Irak-Krieg zeuge von einer ähnlichen Motivation seitens Großbritanniens und den USA, die sich zu jenem Zeitpunkt in starker Abhängigkeit von den Öl-Ressourcen des Nahen Ostens befanden.

Hinter diesen Kriegen steht laut Meacher nichts anderes als der Kampf internationaler Konzerne um Markt- und Preiskontrolle, vor allem, was den lukrativen US-Markt betrifft; denn die Statistik zeigt, dass die US-Amerikaner nur fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, aber fünfundzwanzig Prozent der Ölressourcen konsumieren. Was wir in etlichen Verschwörungstheorien und ihren audiovisuellen Umsetzungen – wie etwa „The State Within“ – sehen und hören, käme dann in der Realität ganz unmaskiert daher.

Ein einfaches Beispiel wäre der Fall Dick Cheneys, des damaligen US-Vizepräsidenten, der vor Amtsantritt im Vorstand des Konzerns Halliburton saß: eines Konzerns, der Öl verarbeitende Unternehmen beliefert. Nach dem Irak-Krieg bekam derselbe Konzern unter Cheneys Vizepräsidentschaft etliche millionenschwere Staatsverträge im Nahen Osten. Beinahe zu offensichtlich, um spannenden Verschwörungsstoff für Filme und TV-Serien zu liefern!

Bevor ihr Leser euch wundert, wovon dieser Text eigentlich handelt, beseitige ich etwaige aufsteigende Ängste: Es geht um die BBC-Serie „The State Within“ und nicht (direkt) um Politik. Diese Einführung aber präsentiert einen politischen Kontext, auf den diese Serie referiert – um ihre Wirkung besser demonstrieren und erklären zu können. Denn so ein Kontext ist wichtig. Ein einzelnes Ereignis kann unterschiedliche Wirkung entfalten, je nachdem, in welchen Kontext es gestellt wird. Dasselbe gilt für die Handlungen einzelner Personen. Genau darum geht es in „The State Within“, und die britische Mini-Serie weiß das hervorragend umzusetzen. Sie erzählt von Kontexten: politischen, persönlichen – und von allem, was sich dazwischen befindet.

Dieses Dazwischen ist die Unmöglichkeit eines objektiven Blickwinkels, die Tatsache, dass jede richtige Entscheidung falsch ist und umgekehrt – je nachdem, wie sich der Kontext verschiebt. Und der verschiebt sich in The State Within gnadenlos und rasant, so dass man als Zuschauer die erste Serienhälfte lang keine Sicherheit darüber erlangen kann, wer welche Ziele verfolgt und wie die Stückchen von Figuren-Vergangenheit, die wir erzählt bekommen, zusammengepuzzelt vielleicht aussehen könnten.

Das bringt uns auf eine wichtige Komponente: „The State Within“ ist keine Serie zum Nebenbeischauen. Sie fordert absolute Aufmerksamkeit des Zuschauers, um ihn dann mit dem Genuss des Gesehenen zu belohnen. Schnelle Schnitte, kurze Sequenzen, Handkamera-Einsatz, unruhige Bilder, von plötzlichen Schwenks dominiert. Diese Schwenks sind sporadische Zuckungen, nicht zu Ende ausgeführt, genauso wie die Zooms kurz vor ihrem Ziel innehalten und unseren Blick doch auf einer gewissen Distanz hängen lassen. Das Visuelle ahmt so den unruhigen, unverlässlichen Informationsfluss nach, der den Zuschauer am Anfang überwältigt.

Jede Wahrheit ist nur halbe, einseitige Wahrheit, nur eine sporadische Zuckung in eine Richtung, die keine Gewissheit bringt. Ich würde sogar behaupten, dass sich die audiovisuelle Gestaltung im Laufe der Serie zwar verändert, aber dem Handlungsverlauf diametral entgegengesetzt – was uns Zuschauer erst recht jedes Mal an die Erzählung fesselt. Am Anfang erfahren wir trotz hektischer Ereignisse und genauso hektischer Bilder herzlich wenig über die Story, die den Hintergrund dieser Hektik bildet: Sie entwickelt sich langsam.

Ab Mitte der siebenteiligen Serie kommen viel häufiger Close-Ups, ruhigere Kameraführung, längere Szenen zum Einsatz, die teilweise Kammerspielcharakter haben – während die Story zu explodieren scheint. In Sekundenschnelle fallen Teile an ihren Platz und kreieren ein Bild mit der Höchstgeschwindigkeit der Kugel, die aus einem Maschinengewehr herausgeflogen kommt. Geschossen wird dabei selten in „The State Within“. Die Schüsse gehören hier meistens der Vergangenheit, der Erinnerung an. Es gilt zu rekonstruieren, von wo aus geschossen wurde und wen die Kugeln trafen.Das Warum, das sich hier hinter den Kulissen zu verstecken versucht, wird in emotional aufgeladenen verbalen Kämpfen ausgefochten. In deren Zentrum steht Sir Mark Brydon (Jason Isaacs, „Case Histories“), der britische Botschafter in Washington. Im Laufe der Ereignisse muss er feststellen, dass seine viel versprechende politische Karriere seit ihrem Beginn auf einer Verschwörung aufruht, deren Instrument er wurde. Da „The State Within“ die meiste Zeit über auf amerikanischem Boden spielt, bekommt es Sir Mark mit den Vertretern der US-Regierung zu tun – vor allem mit U.S. Verteidigungsministerin Lynne Warner (Sharon Gless).

Man kann bei „The State Within“ schwer von einer Hauptfigur sprechen: Wenn Mark auch im Mittelpunkt steht, sind doch alle Figuren nicht nur interessant konzipiert, sondern werden auch grandios dargestellt. Jedes Mal jedoch, wenn Isaacs und Gless in derselben Szene zu sehen sind, scheint die Wucht dieser Begegnung den Raum sprengen zu wollen, auch wenn es sich um eine stille Unterredung handelt. George Bernard Shaw hat einmal von Großbritannien und Amerika als „two nations separated by a common language gesprochen“ (das Zitat wird übrigens auch Oscar Wilde zugeschrieben).

Sir Mark und Lynne sprechen dieselbe Sprache: die der Differenz. Während er immer etwas Anderes meint mit dem, was er sagt, spricht Lynne das Gemeinte direkt aus – womit die “typischen” Kommunikationsrollen von Mann und Frau vertauscht werden. Mark bedient sich des Flüsterns, Lynne der erhöhten Lautstärke. Beide stehen einander im Weg. Die Frage ist: Können sie aneinander so vorbei gehen, einander so umgehen, dass beide ihre Positionen, ihre Stellungen und ihre Gesichter (be)wahren? Für Mark kristallisiert sich nach und nach das Ausmaß des Komplotts heraus, und er zögert nicht, die Beteiligten mit seinen Schlussfolgerungen zu konfrontieren.

Nur für die Wenigsten ist das Bild in seiner Gesamtheit zu erfassen, obwohl alle wie kleine Rädchen an der Maschinerie beteiligt sind. Es verhält sich oft so wie in der Anekdote über Picasso und den Nazi-Offizier, der den Maler in seinem Pariser Atelier besuchte und dort das fertige Bild “Guernica” erblickte. Schockiert fragte der Offizier: „Did you do this?“ Picassos Antwort lautete: „No, you did this!“ Man kann diese Haltung ungefähr so beschreiben: Ich weiß, aber ich will nicht wissen, dass ich weiß, also weiß ich nicht.„The State Within“ eröffnet seine Erzählung mit einer Katastrophe. Ein britischer Muslim bringt an Bord des Flugs von Washington nach London eine Bombe zur Explosion, und kein einziger Passagier überlebt. Die Straße, auf der Mark gerade zur Botschaft gefahren wird, ist mit Trümmern übersät. Die politischen Beziehungen zwischen Großbritannien und den USA gleichen dieser Straße, als nach dem Attentat Paranoia ausbricht: Beispielsweise befiehlt der Gouverneur von Virginia die Verhaftung mehrerer britischer Muslime.

Auch für einen anderen britischen Bürger spitzt sich die Situation zu: für den Ex-Soldaten Luke Gardner (Lennie James, „Jericho“, „The Prisoner“), der in Florida im Gefängnis sitzt und auf die Vollstreckung des Todesurteils wartet, für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Seine Vergangenheit wirft ihre dunklen Schatten: Ganz andere Verbrechen verstecken sich dort und suchen Luke heim. Seine Erinnerungen bilden den Schlüssel, der die Pforte des politischen Purgatoriums aufschließen könnte. Und das geschieht auch: dank der Menschenrechtlerin Jane Lavery (Eva Birthistle), die mit Lukes Verteidigung befasst ist.

„The State Within“ weiß eine Schicht nach der anderen zu entblößen, so dass nicht nur die Ereignisse Sinn ergeben, sondern jede Figur bis zum Hals in die Geschichte verwickelt wird. So ergeht es zum Beispiel auch Marks Berater Nicholas Brocklehurst (ein großartiger Ben Daniels), der mit dem MI6 zusammenarbeitet und mit Lynns rechter Hand Christopher Styles liiert ist. In der Mitte der Konspiration steht das zentralasiatische Land Tyrgyztan, deren Regierung um den Präsidenten Usman dank ökonomischen Interessen Amerikas und Großbritanniens an die Macht kam.

Sogar Mark Brydon sah sich damals gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, die sich als falsch erwies. Vor allem der US-Konzern Armitage, deren CEO Lynne Warner früher war, scheint hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen. Wenn sich schließlich sogar der britische Botschafter seines Lebens nicht mehr sicher sein kann – wie sieht es dann für einen Ex-Botschafter aus, Marks ehemals besten Freund James Sinclair (Alex Jennings), dessen Sohn Marks Patenkind ist?

Sieben Episoden lang webt „The State Within“ sehr geschickt das Netz dieses Spiels und konfrontiert die Protagonisten mit der Aussage, dass das Spiel kein Ende haben und sein Sinn stets verschoben sein wird. Oder, um das Ganze mit einem Zitat von Paul Auster abzurunden: „The question is the story itself, and whether or not it means something is not for the story to tell.

Für Serienfans, die „The State Within“ noch nicht kennen, eine absolute Empfehlung.